Süddeutsche Zeitung

Selfstorage:Zu wenig Platz fürs Leben

Lesezeit: 4 min

Wohnraum in München ist knapp und das stellt viele vor ein Problem: Wohin mit all den Sachen, die sich über die Jahre angesammelt haben? Ein kleiner Lagerraum könnte die Lösung sein. Doch die hat ihren Preis.

Von Anna Hoben

Eigentlich ist München nicht mehr sein Zuhause, schließlich wohnt René Gilfert nicht mehr hier. Das, was mal sein Zuhause war, verbirgt sich jetzt hinter blauen Türen auf zweimal fünf Quadratmetern in einem schmucklosen grauen Lagerhaus in Laim. Hier an der Landsberger Straße, zwischen Fitnessstudios, Hostel und Discounter, befindet sich die größte Münchner Filiale von MyPlace. 1400 Lagerabteile reihen sich im labyrinthartigen Inneren aneinander, zwei davon hat René Gilfert, 48, seit zwei Jahren gemietet. Wenn er hierherkommt, ist das für ihn "wie in den Keller gehen", sagt er. 300 Euro bezahlt er jeden Monat dafür.

Der Trend gehe zum Minimalismus, hört man immer wieder. Dazu, sich zu beschränken. Auszumisten und sich von unnötigem Ballast zu befreien, der einem den Raum zum Atmen und Denken nimmt. Das klingt zwar schön, allerdings spricht einiges dafür, dass es sich dabei eher um ein Nischenphänomen handelt. Die Tatsache etwa, dass es immer mehr Lagerhäuser gibt, in denen Leute ihr Hab und Gut aufbewahren. Zum Beispiel, weil sie sich in einer Stadt wie München mit ihren hohen Mieten nicht mehr Wohnraum leisten können. Self Storage nennt sich das.

Zwei große Anbieter gibt es laut dem Verband deutscher Self-Storage-Unternehmen in München: MyPlace und Zeitlager. MyPlace mit mittlerweile sieben Standorten, einer ist gerade neu eröffnet worden, Zeitlager mit drei. Ein weiterer, kleinerer Anbieter ist Lagerwelt, zusätzlich gebe es diverse Umzugsfirmen, die mit Lagerraum werben, weiß Christian Lohmann vom Verband. Die Nachfrage wächst und also auch das Angebot. Wobei natürlich auch die Unternehmen den Druck am Immobilienmarkt spüren. Wegen der hohen Preise finde man kaum geeignete Grundstücke oder Immobilien, die man umbauen könne, sagt Lohmann. Neueinsteiger in der Branche hätten es schwer, Fuß zu fassen.

Trotzdem stellen in München allein die beiden großen Anbieter zusammen insgesamt rund 50 000 Quadratmeter Lagerfläche zur Verfügung, so viel wie sieben Fußballfelder. Warum mieten Menschen Lagerräume? "Die größte Triebfeder ist die Verknappung von Wohnraum", sagt Lohmann. In Städten wie München könnten sich Normalverdiener keine größeren Wohnungen leisten, "und trotzdem sammeln sich Dinge an". München hat vieles - nur eben notorisch zu wenig Platz.

Hinter jeder blauen Tür an der Landsberger Straße verbirgt sich eine Geschichte. Es sind traurige Geschichten von Menschen, die ihre Wohnung verloren haben. Witzige Geschichten von Sammlern, die nicht wissen wohin mit dem Krimskrams. Und kuriose Geschichten wie die von René Gilfert, dem Globetrotter. Bei ihm war nicht der zu knappe Wohnraum ausschlaggebend dafür, Platz zu mieten. Er hat seinen Wohnraum absichtlich verknappt, "wegrationalisiert", nennt er das, und lebt nun ein Leben zwischen einer Dienstwohnung in London, Büro, Flughafen und Lagerabteil. Damals, vor zwei Jahren, tat sich für ihn eine berufliche Chance in der britischen Hauptstadt auf, bei der er nicht zweimal überlegen musste. In London bekam er eine kleine Wohnung gestellt, und dass er niemals seinen ganzen Hausrat dorthin bringen kann, war klar. Er zog trotzdem aus seiner Wohnung am Harras aus, "weil Männer pragmatisch sind".

Größere Möbel wie den drei Meter langen Wohnzimmertisch lagerte er bei einer Spedition ein, für die restlichen Dinge mietete er die beiden Abteile bei MyPlace. Er geht den Gang entlang und biegt um die Ecke, dann öffnet er das Schloss. In dieses Abteil schaut er sonst fast nie hinein, es sieht noch genauso aus wie vor zwei Jahren, bis oben hin voll mit Zeug. Nüchtern zählt er auf: Matratze, Gartenmöbel, Schneeketten, ein Bettgestell, ein Schrank, Weihnachtsdeko, Stühle. Sachen von der Tochter, Erbstücke von der Großmutter, Schallplatten von früher. Werkzeug, Bilder, ein Sitzsack. Bürokram. Und plötzlich bekommt er leuchtende Augen. Da, ganz vorne, der Grill. "Das ist jetzt das einzige, bei dem ich nostalgisch werde." Er erzählt, wie er den Grill einmal aufs Fahrrad gepackt und damit einen Ausflug in den Westpark gemacht hat. Schöne Zeiten. Wie die Leute geguckt haben, weil da einer seinen Grill spazieren fuhr. "Beim Grillen", sagt René Gilfert, "hört das Hotelkonzept auf." Dazu gleich mehr.

Etwa 80 Prozent der Lagerräume seien immer belegt, weiß Jutta Schmidt, die seit elf Jahren im Büro von MyPlace an der Landsberger Straße arbeitet. Von Firmen und Privatleuten. Paaren, die zusammenziehen und nicht alles doppelt brauchen. Berufstätigen, die eine Zeitlang ins Ausland gehen. Schmidt erzählt von einer Kundin, die ein ganz kleines Abteil als Kleiderschrank nutze: "Im Sommer bringt sie ihre Winterklamotten her und im Winter ihre Sommerklamotten." Manche kommen täglich vorbei, andere wissen nach Jahren gar nicht mehr, wo ihr Abteil ist. Mit der Zeit läppern sich die Summen, die sie dafür bezahlen. Und trotzdem sei es bei den Langzeitkunden oft so, sagt Schmidts Kollegin: "Letztendlich wird's entsorgt."

René Gilfert stammt aus Nordrhein-Westfalen, aber München ist bis heute seine Wahlheimat. Weil seine Tochter in der Nähe lebt und viele seiner Freunde hier sind. Weil er sich hier so frei fühlt, was mit der bayerischen Lebensart zu tun hat. Also fliegt er meist an den Wochenenden her. Er bucht seine 15-jährige Tochter und sich in einem Vier-Sterne-Hotel ein, "die sind hier erstaunlich erschwinglich". Und irgendwann während des Wochenendes geht er zum Hotel seiner Dinge und öffnet das Schloss zu seinem zweiten Lagerabteil. Dort hat er jene Sachen aufbewahrt, an die er öfter ran muss. Zwei Reisetaschen stehen da immer fertig gepackt, mit Geschäftsklamotten, Schuhen und Kulturbeutel für zwei Tage Dienstreise.

Geht es ihm nie so, dass er etwas vergisst, dass ihm plötzlich etwas fehlt, im Hotel oder in London? Gilfert schüttelt den Kopf. "Ich brauch' nicht viel, um mich wohlzufühlen." Seine Freunde fragen immer wieder, wie lange er sein Vagabunden-Leben noch aufrechterhalten wolle. Ihm gefällt es genau so. "Der Vorteil ist die Ungebundenheit. Der Nachteil ist, wenn man so will, das heimelige Gefühl, das fehlt."

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Quelle:
SZ vom 22.01.2019
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