Wohnraum für Migranten:"Üble Abzocke"

Die Zimmer in der Pilgersheimer Straße 42 sind winzig, die Möblierung spartanisch.

Die Zimmer in der Pilgersheimer Straße 42 sind winzig, die Möblierung spartanisch.

(Foto: Angelika Bardehle)

790 Euro für zwölf Quadratmeter - und keine Hoffnung auf ein besseres Angebot: Viele Zuwanderer aus osteuropäischen EU-Ländern haben auf dem Münchner Wohnungsmarkt keine Chance. Ein Fall aus Giesing zeigt, wie geschäftstüchtige Vermieter das ausnützen.

Von Stefan Mühleisen

Sie haben in München kaum Chancen auf Wohnraum: Migranten aus EU-Ländern, die vor dem Elend in ihrem Heimatland flüchten. Ein eklatanter Fall aus dem Stadtteil Giesing legt nahe, dass diese Armutsflüchtlinge in ihrer Notlage oft überteuerte Mieten zahlen, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Vermieter nutzen dabei ein Schlupfloch im Mietrecht. Der Münchner Mieterverein spricht von "übler Abzocke".

Aktuell wurden die Stadtteilpolitiker Melanie Kieweg (parteilos) und Brar Brarem (Grüne) vom Bezirksausschuss Harlaching-Untergiesing auf die Situation von Bewohnern eines Apartmenthauses in der Pilgersheimer Straße 42 aufmerksam. Die SZ begleitete die beiden durch das Haus, sprach mit Bewohnern und sichtete Mietverträge. Kieweg fassungslos: "Hier werden die Ärmsten der Armen ausgebeutet."

Als Generalvermieter firmiert die Global Businessapartment Immobilienverwaltungs GmbH (GBI), ansässig in der Landwehrstraße. Das Haus besteht aus 48 Apartments, davon sind nach Firmenangaben 15 Wohnungen. In jeder Etage gibt es Gemeinschaftsduschen und -toiletten sowie eine einfache Küchenzeile mit Herdplatten in einer Nische auf dem Gang. Die GBI schließt mit jedem Bewohner befristete Verträge für ein möbliertes Zimmer "zum vorübergehenden Gebrauch", wie es in den Mietverträgen heißt, von denen mehrere der Süddeutschen Zeitung vorliegen.

"De facto ist das eine Riesenschweinerei"

Der Vertrag einer rumänischen Kleinfamilie mit einem 20 Monate alten Kind ist gestaffelt: bis April 2014 zahlen sie 700 Euro monatlich, von Mai bis Oktober 2014 setzt der Vertrag 750 Euro Pauschalmiete im Monat fest. Die Möblierung in dem Zimmer umfasst offenbar nur eine Matratze am Boden sowie ein Kästchen, darauf steht ein kleiner Fernseher. "Maximal eine Person" solle in die Mietsache einziehen, steht in dem Schriftstück. "Jede weitere Person wird mit einer monatlichen Mietzahlung in Höhe von 270 Euro (. . .) berechnet." Schüchtern erzählt die junge Frau, dass ihr Mann etwa 1000 Euro im Monat verdiene, als Aushilfe in einem Schnellrestaurant. Darüber, wie sie neben der Mietlast ihrem Lebensunterhalt bewältigen kann, will sie nichts sagen.

Im dritten Stock lebt ein osteuropäisches Paar mit Tochter in einem laut Vertrag zwölf Quadratmeter großen Zimmer. Als Vermieter trat zum Unterzeichnungstermin am 29. August 2012 die "Easyapartment Haus Kolumbus Betriebsgesellschaft mbH" auf, die laut Handelsregister am 4. Februar 2012 aber schon aufgelöst worden war. "Beide Parteien sind sich darüber einig, dass je maximal 2 + 1 Kind Person(en) in die Mietsache einziehen", heißt es in dem Vertrag. Die Pauschalmiete von 690 Euro monatlich galt bis 28. Februar dieses Jahres. Nach der "Ausübung der Option für Vertragsverlängerung" muss die Familie jeden Monat 790 Euro zahlen.

"Das ist eine üble Abzocke", sagt Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München und SPD-Stadträtin. Sie hat für die SZ die Verträge geprüft. Der Knackpunkt: Alle stützen sich auf Paragraf 549 II, Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Diese Regelung gilt, wenn "Wohnraum zum vorübergehenden Gebrauch" vermietet wird. Dieser umfasst etwa Hotel- und Pensionszimmer, Ferienwohnungen oder Unterkünfte für Geschäftsaufenthalte. "Hier gelten viele Bestimmungen für Kündigungsschutz und Mieterhöhungen nicht", sagt Zurek.

Der Vermieter könne einen Mietpreis festsetzen, der allerdings an die Leistung gekoppelt sein müsse. "Wenn diese Miete für ein Apartment mit Küche, Klo und Bad sowie Zimmerservice verlangt wird, würde das Preis-Leistungsverhältnis stimmen. Doch hier herrscht offensichtlich ein eklatantes Missverhältnis", sagt Zurek.

Nach ihren Worten werde mit der Befristung eine Übergangslösung nur suggeriert. "De facto ist das eine Riesenschweinerei. Denn die Leute aus Osteuropa wollen ja dauerhaft hier bleiben. Da sie keine Wahl haben, zahlen sie diesen hohen Preis." Zurek glaubt: Ein Gericht würde unter den vorliegenden Umständen wohl zu dem Schluss kommen, dass die Mieter einen "sittenwidrigen Wucherpreis" zahlen.

"Wir sind in der Stadt die günstigsten auf dem Markt"

Der Vermieter, die GBI, weist die Vorwürfe vehement zurück. "Wir sind keine Abzocker und zwingen niemanden, Mietverträge zu unterschreiben", sagt Prokurist und Firmensprecher Daniel Haban. Von Wucher könne keine Rede sein. Schließlich seien in der Pauschalmiete sämtliche Nebenkosten enthalten; er nennt Heizung, Wasser, Strom, Mobiliar, Bettwäsche, Internetanschluss, Reinigung sowie die Benutzung der Gemeinschaftsbereiche. "Wir sind in der Stadt die günstigsten auf dem Markt", sagt Haban.

Die Menschen, die bei der GBI vorstellig würden, bekämen nirgendwo anders einen Wohnraum, da sie oft arbeitslos seien. "Wir finden mit diesen Leuten immer moderate Lösungen, etwa, dass die Kaution in Raten gezahlt werden kann." Manche, so beschreibt es GBI-Sprecher Haban, würden "bitten und betteln, dass sie ein Zimmer bekommen". Nach seinen Worten werden die Mietverträge verlängert, wenn der Mieter dies wünsche. Und er betont: "Die Leute kommen immer mit einem Dolmetscher. Wir machen mit keinem einen Vertrag, der den Inhalt nicht versteht." Er verstehe nicht, wo das Problem liege. "Die Leute wissen doch, was sie bezahlen müssen. Wir zwingen niemanden, dort zu wohnen."

Die Stadtteilpolitikerin Melanie Kieweg will jetzt mit einem Antrag im örtlichen Bezirksausschuss erreichen, dass die Stadt die Zustände in dem Haus überprüft. "Die verheerende Wohnsituation muss geändert werden", sagt sie. Doch das Sozialreferat sieht sich derzeit nicht in der Lage zu handeln. "Es gibt massenhaft unsoziales Verhalten, gegen das wir nichts machen können, weil es die Gesetzeslage erlaubt", sagt Behördensprecher Andreas Danassy. Die Betroffenen müssten einen Antrag auf Prüfung ihres Falles stellen. "Sonst sind uns die Hände gebunden."

Doch die Betroffenen gingen so gut wie nie zu einem Rechtsanwalt. Das berichtet Andrea Untaru, Leiterin vom "Schiller 25", eine Migrationsberatungsstelle für Wohnungslose des Evangelischen Hilfswerks und Zentrale des Münchner Kälteschutzprogramms. Sie kennt zwar die GBI nicht, hat aber von vielen Klienten aus Rumänien und Bulgarien erfahren, dass diese bei anderen Vermietern hohe Mieten zahlen müssten. "Sehr wahrscheinlich wird hier die Notlage der Menschen bewusst ausgenutzt", vermutet sie.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: