Süddeutsche Zeitung

Wohnraum:"Platz da!": Organisationen wollen Flüchtlinge auch privat unterbringen

  • Während in anderen Bundesländer Flüchtlinge auch während eines laufenden Asylverfahrens privat wohnen dürfen, ist das in Bayern nicht erlaubt.
  • Fünf Flüchtlingsorganisationen wollen das mit ihrer Kampagne "Platz da!" ändern.
  • Sie argumentieren, dass sich die Flüchtlinge so leichter integrieren könnten und der Staat entlastet werde.

Von Inga Rahmsdorf

Seit einem halben Jahr unterstützt Angelika Schretter einen jungen Mann aus Afghanistan. Durch Zufall hat die 66-jährige Münchnerin den Flüchtling kennengelernt, die beiden haben sich auf Anhieb gut verstanden, seitdem hilft sie ihm bei Behördengängen, bei Arztbesuchen und bei der Arbeitssuche.

Der 27-Jährige, der nicht mit Namen in der Zeitung stehen will, hat einen Bachelor-Abschluss in Computerwissenschaften und spricht vier Sprachen. Er wurde einer Unterkunft in einem Dorf im Landkreis Rosenheim zugewiesen. Schretter hat Platz in ihrem Haus in München, er könnte sofort bei ihr einziehen, hätte unkompliziert sozialen Anschluss und Unterstützung. Doch er darf nicht. Flüchtlinge in Bayern müssen, solange ihr Asylverfahren läuft, in Gemeinschaftsunterkünften leben.

Der 27-Jährige will unbedingt Deutsch lernen und arbeiten. "Aber wie soll er auf dem Land einen Job finden?", fragt Schretter. Seine derzeitige Wohnsituation sei unzumutbar. Er könne dort nichts machen. Drei Stunden Deutsch hat er in der Woche. Schretter hat einen Sprachkurs für ihn in München organisiert, fünf Tage in der Woche. Doch das tägliche Pendeln ist zu teuer. Die Münchnerin hat vor sechs Wochen einen Antrag bei der Regierung von Oberbayern gestellt, damit er bei ihr einziehen darf. Bisher hat sie keine Antwort erhalten.

Solche Beispiele gibt es in Bayern viele. Eine private Unterbringung von Asylbewerbern ist im Freistaat nicht vorgesehen - und von der Politik nicht erwünscht, solange das Verfahren läuft. Und das kann sich über Monate oder Jahre hinziehen. Selbst wenn Flüchtlinge in dieser Zeit eine Wohnung finden, wenn ihnen ein Zimmer angeboten wird, wenn sie bei Freunden unterkommen können, dürfen sie dort nicht einziehen.

Auch Menschen, die nur eine Duldung erhalten, müssen noch vier Jahre nach Abschluss des Asylverfahrens in einer Unterkunft wohnen. Häufig mit vielen anderen gemeinsam in einem Raum, ohne Privatsphäre, nur durch Stellwände getrennt. Ausnahmen werden nur bei Krankheiten und bei Familien zugelassen oder wenn die Asylsuchenden ausreichend Geld verdienen. Aber selbst dann ist es oft ein langes und bürokratisches Prozedere, das nicht immer bewilligt wird.

Eine Regelung, die absolut unverständlich ist, wie einige Münchner Flüchtlingsorganisationen finden. Sie haben deswegen die Kampagne "Platz da!" initiiert und fordern, auch in Bayern eine private Unterbringung von Flüchtlingen zu ermöglichen - so, wie es in vielen Bundesländern bereits gehandhabt wird.

Wie die Organisationen ihre Initiative begründen

Auf die Frage, wo Flüchtlinge wohnen sollen und wie sie am besten integriert werden können, gibt es keine einfache Antwort. Das behaupten auch die fünf Münchner Organisationen nicht, die sich zu der Kampagne zusammengeschlossen haben: die Lichterkette, Bellevue di Monaco, Refugio, der Bayerische Flüchtlingsrat und der Verein für Sozialarbeit.

Aber sie sind der Überzeugung, dass es kaum eine bessere Form der Integration gibt, als wenn Flüchtlinge möglichst schnell raus aus der Traglufthalle ziehen können, wenn sie nicht mehr in großen Gewerbegebäuden schlafen, sondern stattdessen in Wohnungen oder privaten Zimmern leben. Am besten mit sozialer Anbindung. Die Initiatoren behaupten nicht, damit alle Probleme lösen zu können. Aber vieles ließe sich so ihrer Ansicht nach entschärfen und erleichtern.

Seit die Kampagne "Platz da!" Anfang Mai gestartet ist, sind mehr als 300 Unterstützer auf der Internetseite dem Aufruf gefolgt. Darunter auch bekannte Personen, vom Liedermacher Konstantin Wecker über den Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU), den Miesbacher Landrat Wolfgang Rzehak (Die Grünen) bis zur Schauspielerin Wiebke Puls. Die Zahl der Unterstützer steigt täglich. Die Initiatoren hoffen, so Druck auf die Politik auszuüben.

Das bayerische Sozialministerium verteidigt die bestehende Regelung damit, dass Asylbewerber für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) erreichbar sein müssen. Zudem bräuchten private Wohnangebote in Bayern nicht ungenutzt bleiben, sagt eine Sprecherin. Von den etwa 150 000 Asylbewerbern im Freistaat seien bereits 19 000 anerkannt und könnten jederzeit ausziehen. Viele würden jedoch auf dem angespannten Immobilienmarkt keine Wohnung finden. "Wir begrüßen daher jeden Beitrag, der es Flüchtlingen in Bayern ermöglicht, eine eigene Wohnung zu finden", so die Sprecherin.

So weit die Theorie. Tatsächlich aber geht es, wie im Fall von Angelika Schretter, häufig darum, einen Flüchtlinge aufzunehmen, den man bereits kennt, einen Freund, Verwandten oder einen Mitarbeiter - auch wenn sein Asylverfahren noch läuft. "Es will uns einfach nicht in den Kopf, warum eine private Unterbringung nicht möglich sein soll", sagt Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Andere Bundesländer haben das doch auch sehr viel pragmatischer gelöst."

Stattdessen zeige sich in Bayern eine absurde Situation, so Weinzierl. "Die Flüchtlingszahlen gehen zurück und wir erleben, dass die dezentralen Unterkünfte zugemacht werden und stattdessen bayernweit auf große Unterkünfte gesetzt wird. Dabei will kein Kommunalpolitiker große, isolierte Unterkünfte bei sich haben."

Und wer erst einmal lange Zeit in einer Leichtbau- oder Gewerbehalle gelebt hat, für den könne es schwierig bis unmöglich werden, sich zurechtzufinden und zu integrieren, sagt Anni Kammerlander, Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Refugio, dem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge. "In den Gemeinschaftsunterkünften hört, riecht und sieht man alles, was der Nachbar macht. Der einzige Rückzugsraum ist das Bett. Aber selbst da kommt niemand zur Ruhe, man hört die anderen nachts in den Albträumen schreien."

Sobald ein Flüchtling in einem Wohnumfeld lebe, gelinge die Integration sehr viel besser, sagt Johannes Seiser vom Verein für Sozialarbeit. Eine private Unterbringung wäre zudem eine Entlastung für den Staat. Und je mehr Kontakte da sind, desto schneller schwinden auch Ängste vor dem Fremden.

In einem nächsten Schritt geht es den Initiatoren nun darum, interessierte Vermieter und Flüchtlinge zusammenzubringen, eine Vermittlungsbörse zu schaffen. Wer ein Wohnungsangebot hat, kann das auf der Internetseite melden. Die Adressen werden vertraulich behandelt.

Mehr als 30 Menschen hätten schon freie Zimmer, Wohnungen oder Häuser in Bayern, vor allem in München, gemeldet, sagt Harriet Austen von der Lichterkette. Die Stimmung sei immer noch so, dass viele Menschen Asylsuchenden helfen wollen, sagt Weinzierl. Und da setze auch die Kampagne an. "Wir wollen eigentlich nur, dass etwas ermöglicht wird, was auf der Hand liegt." Es spreche nichts dagegen, dass Flüchtlinge privat wohnen. "Es sei denn, man möchte nicht, dass die Menschen integriert werden."

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Quelle:
SZ vom 05.07.2016/axi
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