Bauprojekt in NeuhausenKreativ arbeiten und kooperativ wohnen

Lesezeit: 4 Min.

Im Kreativquartier an der Dachauer Straße ist die Baugrube für das genossenschaftliche Projekt bereits ausgehoben.
Im Kreativquartier an der Dachauer Straße ist die Baugrube für das genossenschaftliche Projekt bereits ausgehoben. (Foto: Stephan Rumpf)

An der Dachauer Straße wird der Grundstein für ein besonderes Projekt gelegt. Dort entsteht das erste gemeinnützige, von einer Genossenschaft betriebene Haus, das neben Wohnraum fast ebenso viele Gewerbeflächen bietet. Pilotcharakter hat das Vorhaben auch aus anderen Gründen.

Von Ellen Draxel

Die Baugrube ist ausgehoben, auf dem Grundstück türmen sich Erdhaufen neben Stahlträgern. In wenigen Tagen will die Genossenschaft „Das große kleine Haus“ im Kreativquartier in Neuhausen mit dem Bau ihres ersten Projektes beginnen. Vorgesehen sind eineinhalb Jahre Bauzeit, im August 2026 sollen die ersten Bewohner und Bewohnerinnen in ihr neues Domizil einziehen können.

Es ist ein besonderes Wohnbauprojekt, das da gegenüber der Ecke Heß-/Günter-Behnisch-Straße entsteht. Und das liegt nicht nur an der zentralen Lage inmitten der vier Teilbereiche des Kreativquartiers. Dieses Haus ist das erste gemeinnützige, von einer Genossenschaft betriebene Projekt in München, das neben Wohnraum fast ebenso viele Gewerbeflächen im Angebot hat – im Verhältnis 60 zu 40. Als einziges Wohngebäude ist es im kultur- und kreativwirtschaftlichen Teilgebiet Kreativlabor des Kreativquartiers angesiedelt, während alle anderen im benachbarten Kreativfeld zu finden sind.

„Wir wollten etwas bauen, das atmet, was Kreatives mit Künstlern“, sagt Rainer Hofmann. Der Architekt ist einer der sechs Vorstände der Genossenschaft und im Hauptberuf einer der Geschäftsführer von Bogevischs Büro aus München. Sein Team hat bereits mehrere Genossenschaftsprojekte in der Stadt geplant, doch dem Büro fehlt es inzwischen an Platz. „Im Moment sind wir auf zwei Standorte verteilt – und das ist Quatsch.“

Hofmann, sein Co-Chef Hans-Peter Ritzer und Prokurist Julian Klaffke wandten sich deshalb an ihre Kollegen vom Architekturbüro Teleinternetcafe aus Berlin. Die Berliner haben das städtebauliche Konzept für die Bebauung des gesamten Kreativquartiers entwickelt. Die Idee, genossenschaftliches Bauen neu zu definieren, die Pläne partizipativ mit den Mitgliedern, zu denen viele Kreative zählen, reifen zu lassen, schweißte die Architekten und Stadtplaner zusammen. 2018 gründeten die Münchner und Berliner „Das große kleine Haus“ mit dem Ziel, „gemeinsam neue Gebäude zu bauen, zu betreiben und zu nutzen, in denen kreativ gearbeitet und kooperativ gewohnt wird und die mit ihrer Nachbarschaft in einen produktiven Austausch treten“, wie es auf der Webseite heißt.

29 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe, allesamt barrierefrei und altengerecht, soll der neue Komplex hinter dem Pathos-Theater beherbergen. Von Kleinstwohnungen bis zu Familienapartments. Dazu ein Coworking-Raum, ein Gästezimmer, eine sogenannte Multihalle, eine sogenannte Bibliothek der Dinge, wo es Bohrmaschinen oder Fahrradwerkzeug auszuleihen gibt, einen Werkraum und einen Toberaum für Kinder im Keller – alles mitfinanziert von den Wohnmietern. „Die Wohnungen waren innerhalb einer Woche vergeben“, sagt Hofmann. Die Miete ist gedeckelt nach den städtischen Regeln des München-Modells oder des Konzeptionellen Mietwohnungsbaus. „Zum Glück haben wir noch die Zuschüsse der Stadt und die KfW-Förderung bekommen – ohne die würde es nicht gehen.“

Alte Stahlträger sollen zu einem optischen Aushängeschild des Projekts, einer Außentreppe, umfunktioniert werden.
Alte Stahlträger sollen zu einem optischen Aushängeschild des Projekts, einer Außentreppe, umfunktioniert werden. (Foto: Stephan Rumpf)
So soll das Haus, das auch drei Aussichtsterrassen bietet, aussehen.
So soll das Haus, das auch drei Aussichtsterrassen bietet, aussehen. (Foto: Teleinternetcafe/Bogevischs Büro)
Die Außentreppe aus alten Stahlträgern soll zum optischen Aushängeschild werden.
Die Außentreppe aus alten Stahlträgern soll zum optischen Aushängeschild werden. (Foto: Teleinternetcafe/Bogevischs Büro)

Der soziale, integrative Fokus des Projekts spiegelt sich auch in der Wahl des gewerblichen Ankermieters wider. Der Verein Cooperative Beschützende Arbeitsstätten, der es sich zur Aufgabe macht, Menschen mit Lernschwierigkeiten, geistiger Behinderung, psychischer Erkrankung sowie leichteren körperlichen Einschränkungen ins Arbeitsleben zu integrieren, wird seine Bürozentrale und den Gebäudereinigungsbetrieb Putzblitz in den Neubau verlegen. Auch ein Café soll der Verein betreiben. 1100 Quadratmeter umfassen die Gewerbeflächen, Ateliers sind darunter, und natürlich Bogevischs künftiges Büro. Eine Gewerbeeinheit, rund 70 Quadratmeter groß, ist noch frei.

Pilotcharakter hat das Bauvorhaben aber auch aus architektonischer Sicht. „Unser Gebäude“, betont Hofmann, „soll Dinge am Bau einfacher machen.“  Um Vorschriften zu entschlacken und Baukosten wie Bauzeiten zu senken, hat der Freistaat Bayern vor Kurzem die Regeln vereinfacht: Bei 19 Projekten will man bewusst von bisherigen gesetzlichen, nicht sicherheitsrelevanten Bestimmungen abweichen, etwa beim Schallschutz, den Vorgabe zu alternativen Baustoffen oder beim Stellplatzschlüssel. Gebäudetyp E nennt sich das Programm. „Unser Haus gehört dazu und ist das erste, das jetzt auf die Piste kommt.“ Aus diesem Grund werden bei der Grundsteinlegung an diesem Montag auch das Ministerium und Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk mit dabei sein.

Ein Beispiel: die Wahl und Nutzung des Baumaterials. Wände, Decken und Dächer des neunstöckigen Hauses bestehen aus Holz. „Wir weichen insofern von den Vorgaben ab, als wir einen einfachen Holzbau ohne Verkapselungen machen“, erklärt Hofmann. „Dafür mussten wir die Schallschutznorm DIN 4109 ein bisschen unterschreiten – mit Zustimmung der Lokalbaukommission und der Ministerien.“ De facto orientiere sich das neue Gebäude damit – ganz pragmatisch – an sanierten Altbauten. Ein anderes Beispiel: die Anbringung der Heizkörper an den Innen- statt den Außenwänden. Diese Lösung spart Leitungsstränge.

Relevant auch der Nachhaltigkeitsgedanke. Ein Kollege von Hofmann entdeckte in einer Halle der Stadtwerke alte Stahlträger, 90 Tonnen insgesamt. Ein Drittel davon, 30 Tonnen, sollen nun zu einem der optischen Aushängeschilder des Bauprojekts umfunktioniert werden – zu einer schwungvollen, kommunikationsstiftenden Außentreppe, von den Bewohnern „Chaostreppe“ getauft. Involviert in diese Konstruktion ist unter anderem die Technische Universität wiederum mit einem Modellprojekt, denn diese Träger lassen sich nicht, wie sonst üblich, schweißen.

Trotz der ermöglichten Standardunterschreitungen ist Architekt Rainer Hofmann davon überzeugt, dass ein qualitativ hochwertiges Haus entsteht.
Trotz der ermöglichten Standardunterschreitungen ist Architekt Rainer Hofmann davon überzeugt, dass ein qualitativ hochwertiges Haus entsteht. (Foto: Catherina Hess)

Standardunterschreitungen zu ermöglichen sei, um Projekte wie dieses im Kreativquartier überhaupt noch realisierbar zu machen, „essenziell“, findet Architekt Rainer Hofmann. Zumal die Gebäude dabei nichts von ihrem Wert einbüßten. „Wir bauen trotzdem noch ein tolles, qualitativ hochwertiges Haus.“

Mit drei großen Dachterrassen, die höchste auf 30 Metern Höhe mit Alpenblick. Von dort aus lassen sich auch die Fortschritte der benachbarten Wohnbauten auf dem Kreativfeld beobachten. Das Vorhaben der Postbaugenossenschaft, die 56 Wohnungen samt Gästeapartment, großem Gemeinschaftsraum im Keller und grünem Hof als Treff für alle in der Siedlung errichtet, soll bereits in diesem Jahr fertig werden. Und das der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Münchner Wohnen mit ihren 184 Wohnungen 2027. Die junge Genossenschaft „Wohnt Urban“ startet mit dem Bau ihrer 35 Wohnungen wie „Das große kleine Haus“ noch in diesem Jahr, das konzeptionelle Mietwohnungsbauprojekt der Gewoo Wohnungsgesellschaft beginnt Anfang 2026 mit seinem Gebäudekomplex. Zur Gewoo gehören die Genossenschaften Stadtimpuls und Progeno, das Klinikum rechts der Isar und der Verein HPKJ, entstehen sollen auf deren Areal bis Mitte 2028 rund 80 Wohnungen, darunter etwa 50 für Klinikmitarbeiter sowie ausreichend Raum für eine teilbetreute Wohngruppe für junge Erwachsene.

2025 werden außerdem der Abbruch der Bestandsgebäude und die Planungen für den Wohnungsbau der Stadtwerke fortgeführt, die Fertigstellung ist für 2030 geplant. Das Bauprojekt des Baureferates zu Sanierung und Umbau der denkmalgeschützten Tonnen- und Jutierhalle im Kreativlabor soll 2028 abgeschlossen sein. Und auch die Vorbereitungen des Baureferates für die Herstellung der öffentlichen Grünanlage im Kreativpark werden in diesem Jahr weitergeführt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Immobilien in München
:Der Makler mit den Tattoos und den kurzen Hosen

In der Münchner Immobilienszene ist Michael Perkmann eine ungewöhnliche Erscheinung. Dennoch – oder deswegen? – laufen seine Geschäfte. Dabei helfen ihm auch Kontakte aus dem Nachtleben.

SZ PlusVon Thomas Becker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: