Wohnen:Schutz für Mieter - wenn auch für viele zu spät

Proteste gegen Gentrifizierung in München, Lehel, Wohnen in München, Mieten

Die Gentrifizierung kann durch die Erhaltungssatzung verlangsamt werden.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Oberbürgermeister Dieter Reiter hat angekündigt, die Erhaltungssatzung zu reformieren.
  • Eigentlich soll diese Satzung Luxussanierungen und damit einhergehende Mietsteigerungen verhindern oder zumindest abmildern.
  • Doch bislang zeigt dies kaum Wirkung.

Von Anna Hoben

Ein zahnloser Tiger, ein stumpfes Schwert: Die Erhaltungssatzung, die in München dem Milieuschutz dienen soll, ist oft kritisiert worden. Die Kritik ist nun ganz oben im Rathaus angekommen; am 19. Juni will Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den Stadtrat über ein Reformpaket abstimmen lassen. Wenn in einem Erhaltungssatzungsgebiet ein Haus verkauft wird, soll der Käufer künftig mit deutlich strengeren Auflagen konfrontiert sein. So soll es etwa einen speziellen Mietpreisdeckel geben, ein Abbruchverbot und eine Absenkung der Modernisierungsumlage. Um im kämpferischen Bild zu bleiben: Der Tiger soll Zähne bekommen, das Schwert soll scharf werden.

Lob dafür kommt vom Mieterverein. "Ich glaube, das ist ein sehr guter Schritt, um der Erhaltungssatzung wieder größeres Gewicht zu geben", sagt dessen Vorsitzende Beatrix Zurek. Das Instrument müsse nachgeschärft werden, "um den tatsächlichen Milieuschutz zu gewähren". Rechtliche Bedenken gebe es bei solchen Reformen immer, "aber wenn man so denkt, kommt man nie vom Fleck". In München gibt es derzeit 21 Erhaltungssatzungsgebiete mit 262 000 Bewohnern. Das Instrument soll helfen, das angestammte Milieu in dem Gebiet zu bewahren.

Dass das allzu oft ein schöner Wunsch bleibt und Stadtviertel den typischen Weg der Gentrifizierung trotzdem gehen, dafür lassen sich in München viele Beispiele finden. Etwa die zwei Häuser in der Schwabinger Bauerstraße: Kurz vor Weihnachten 2016 erfuhren die rund 40 Mietparteien per Brief, dass ihre Häuser an einen Investor verkauft würden. Fortan waren sie in großer Sorge. Sollten ihre Häuser zu einem weiteren Beispiel für Gentrifizierung werden? Verkauf, Sanierung, astronomische Mieten, die sie nicht bezahlen können - sollte ihnen das alles bevorstehen? Sie gründeten eine Mietergemeinschaft und schrieben Briefe an Politiker. Dadurch, dass ihr Haus in einem Erhaltungssatzungsgebiet liegt, seien sie geschützt, dachten sie. Viele denken so.

Denn die Stadt hat in diesen Gebieten ein Vorkaufsrecht, von dem sie allerdings kaum je Gebrauch macht; 2016 tat sie es genau einmal, 2017 kein einziges Mal. Selber kaufen ist auch gar nicht ihr primäres Ziel. Vielmehr soll der Käufer dazu gebracht werden, eine sogenannte Abwendungserklärung zu unterschreiben. Darin verpflichtet er sich, sowohl die Umwandlung in Eigentumswohnungen als auch unangemessene Modernisierungsmaßnahmen, also: Luxussanierung, zu unterlassen - allerdings nur für einen Zeitraum von zehn Jahren. Das Fortschreiten der Gentrifizierung wird also allenfalls ein bisschen verlangsamt. Im Jahr 2016 unterschrieben Investoren in 50 Fällen eine solche Erklärung, 2017 waren es 36. Darunter die beiden Häuser in der Bauerstraße.

Über den Bezirksausschuss erfuhren die Mieter von den Bauplänen des neuen Eigentümers. Zwei neue Wohnriegel im Hinterhof, eine Tiefgarage. Freie Wohnungen lässt der Investor indes zunächst leer stehen. Ein 39-Quadratmeter-Apartment wird nun im Internet für eine Kaltmiete von 1100 Euro angeboten. So etwas soll nach der geplanten Reform nicht mehr möglich sein. Steht eine Wohnung während des Verkaufs leer, dürfte sie künftig beispielsweise nur noch bis zur Höhe des Mietspiegels neu vermietet werden.

Aber auch die bisherigen Bewohner bangen, ob sie sich ihre Wohnungen künftig noch leisten können werden - Abwendungserklärung hin oder her. Einige Mieter in der Bauerstraße sind schon ausgezogen, zu groß war ihnen die Unsicherheit. "Wir sitzen auf einem Vulkan", sagt eine Bewohnerin. Sie sorgen sich auch, dass ihre Häuser bald ganz aus der Erhaltungssatzung fallen. Dass es künftig eher weniger als mehr Milieuschutzgebiete geben wird, befürchtet auch Maximilian Heisler vom Bündnis Bezahlbares Wohnen - weil sich die Stadt bei der Überprüfung am Mietspiegel orientiere, der ständig steige. Dass die Reform kommen soll, begrüßt er aber, wenngleich sie "viel zu spät" sei. Generell gehen ihm die Pläne, etwa zur Modernisierungsumlage, nicht weit genug.

Sollten die Änderungen kommen, werden die Mieter in der Bauerstraße davon nicht profitieren. So geht es auch den Bewohnern eines Hauses in der Haidhauser Kirchenstraße. Bis vor Kurzem hegten auch sie noch Hoffnung. Doch nun hat die Erbengemeinschaft das Haus verkauft, wie üblich hat der Käufer die Abwendungserklärung unterschrieben. Weil es im Haus einen Renovierungsstau gibt, befürchten die Mieter nun drastische Maßnahmen und Mietsteigerungen. "Da wohnen Leute, die können sich nicht die dreifache Miete leisten", sagt ein Mieter. Doch Jammern liegt ihnen eigentlich nicht. Sie wollen einen Gutachter zu Rate ziehen, sich mit anderen Mietern vernetzen und weiter "ein Teil der Bewegung bleiben".

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