Wohnungsmarkt:Stadt will Daten für Mietspiegel wegwerfen

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Für die neue Grundsteuer müssen in München mehr als eine halbe Million Immobilien neu bewertet werden, an die 300 000 Eigentümer sind betroffen. (Foto: Florian Peljak)

Das Papier basiert auf Interviews. Diese fanden diesmal während des Corona-Lockdowns statt, als Menschen in systemrelevanten Berufen wenig Zeit hatten. Die Folge: ein verzerrtes Bild der Realität.

Von Bernd Kastner

Corona könnte die Mieten stark nach oben treiben. Was zunächst seltsam klingt, ist gar nicht so abwegig, der Treiber wäre der 2021 erscheinende Mietspiegel. Denn für ihn wurden während des Lockdowns Daten erfasst, die sich hinterher als nicht repräsentativ herausstellten. Im Sozialreferat geht man davon aus, dass die im ersten Halbjahr erhobenen Mieter-Daten als Grundlage des neuen Werkes nicht valide sind: Es seien übermäßig viele Gutverdiener in eher teuren Wohnungen zu Interviews bereit gewesen, während Menschen in systemrelevanten Berufen und eher günstigen Wohnungen oft keine Zeit für die Befragung hatten. Dies hätte den Mietspiegel 2021 verzerrt, weshalb er nun auf Basis des letzten Werks von 2019 fortgeschrieben werden soll.

Der Mietspiegel ist relevant, um die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete zu berechnen, an der sich Mieter wie Vermieter orientieren, bei neuen Verträgen und bei Erhöhungen. Alle zwei Jahre wird eine aktualisierte Fassung des Mietspiegels veröffentlicht, die nächste ist für 2021 vorgesehen. Die Daten dafür wurden im ersten Halbjahr 2020 erhoben, in Gesprächen mit zahlreichen Mietern. Soweit, so üblich, reine Routine - wäre da nicht Corona.

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Statistiker der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) werteten die Daten aus, die ein privater Dienstleister für die Stadt erhoben hatte, und berichten nun von "Auffälligkeiten" in diesem Jahr. Sie raten davon ab, die Daten zu verwenden: "Aufgrund der Pandemie haben sich offensichtlich nicht alle relevanten Haushaltsarten an der Umfrage beteiligen können. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob das Mietspiegel-relevante Marktgeschehen abgebildet wird", heißt es in der Vorlage für den Sozialausschuss im Stadtrat, der sich an diesem Donnerstag damit befasst.

Zurückzuführen sei dies auf das abweichende Verhalten der Münchner in Zeiten der Pandemie. Zwei Drittel der rund 3000 Interviews fanden nach dem Lockdown im März statt. Während des Ausnahmezustands hätten sich überdurchschnittlich viele Mieter zu Interviews bereit erklärt, die in eher teuren Wohnungen leben, erklärt eine Sprecherin des Sozialreferats. Abzulesen sei das an drei Aspekten: der guten Ausstattung der Wohnungen, der zentralen Lage und an der kurzen Mietdauer. Letzteres lasse auf einen recht neuen Mietervertrag und damit eine höhere Miete schließen. Während in den 2019er-Mietspiegel zu 30 Prozent Daten aus Neuverträgen eingeflossen seien, liege dieser Wert bei den jüngsten Daten bei 44 Prozent.

Die Stadt will den gesetzlichen Spielraum nutzen

Auffällig sei laut Sozialreferat, dass Menschen aus systemrelevanten Berufen - sei es in der Krankenpflege oder im Supermarkt - eher selten zu Interviews bereit gewesen seien. Deren Stellen sind oft nicht gut bezahlt, weshalb sie in eher günstigen Wohnungen leben. Also seien diese in den Daten unterrepräsentiert. Die Forscher der LMU erklären sich dies damit, dass Menschen mit sehr belastenden Berufen selten Luft für ein Interview hatten, während eher Gutverdienende und im Homeoffice Arbeitende eher Zeit hatten.

Würde man die frischen Daten aus diesem Jahr verwenden, würde der nächste Mietspiegel und infolge dessen auch die Preise in München übermäßig steigen. Obendrein wäre die Grundlage dafür juristisch angreifbar, weil die Daten laut den Statistikern nicht valide seien. Also will die Stadt den gesetzlichen Spielraum nutzen: Jeder zweite Mietspiegel darf fortgeschrieben werden mithilfe des Preissteigerungsindex. Weil der letzte Mietspiegel auf frischen Daten beruhte, darf der für 2021 per Index berechnet werden. Und das bedeutet, dass das Mietspiegelniveau um 3,1 Prozent steigt und damit wahrscheinlich geringer ausfällt als es auf Basis der Daten geschehen wäre. Zum Vergleich: Die letzte Steigerung, von 2017 auf 2019, betrug laut Sozialreferat 4,1 Prozent. Der 2019er-Mietspiegel weist eine Durchschnittsmiete von 11,69 Euro pro Quadratmeter aus.

Dass der Plan der Verwaltung umgesetzt wird, gilt als sicher; die grün-rote Rathauskoalition will zustimmen. Die andere Variante könnte "zu großen Verwerfungen führen", erklärt Anne Hübner, Fraktionschefin von SPD/Volt. Bernd Schreyer (Grüne) erneuert die grundsätzliche Kritik am Mietspiegel, der auf bundesweiten Regeln basiert. Es müssten Bestandsmieten einbezogen werden, die in den letzten Jahren nicht erhöht wurden. Derzeit werden bestehende Verträge nur berücksichtigt, wenn die Miete in den letzten sechs Jahren erhöht wurde, was preistreibend wirke.

Gar nicht begeistert ist CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl vom Agieren der Verwaltung: "Es ist äußerst unbefriedigend, dass wir keine validen Daten haben." Jene, die den Mietspiegel schon immer angezweifelt haben, könnten sich nun in ihrer Ablehnung bestätigt fühlen. Es wäre Aufgabe der Verwaltung gewesen, trotz Corona brauchbare Daten zu beschaffen. Zustimmen werde die CSU dennoch der Index-Fortschreibung, sagt Pretzl, es bleibe ja gar nichts anderes übrig - ohne valide Daten.

Der Mieterverein begrüßt erwartungsgemäß, dass die fragwürdigen Daten weggeworfen werden: "Münchens Mieterinnen und Mieter müssen vor extremen Mietsteigerungen geschützt werden", sagt Geschäftsführer Volker Rastätter.

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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