Wohnen:Milieuschutz wird zum Streitfall

Für die Stadt ist sie eine Möglichkeit, etwas gegen horrende Mietpreise zu tun: die Erhaltungssatzung. Investoren jedoch wollen die rigiden Regeln nicht hinnehmen und klagen nun

Von Anna Hoben

Die Erhaltungssatzung, die Mieter vor Gentrifizierung und Vertreibung schützen soll, wird zum juristischen Streitfall. Vor einem Jahr sind die Regeln für Investoren in diesen Gebieten des sogenannten Milieuschutzes deutlich verschärft worden - nun ziehen die ersten Käufer dagegen vor Gericht. Der Eigentümer eines Anwesens in der Dreimühlenstraße hat seine Mieter informiert, dass er die Abwendungserklärung "für nicht gesetzeskonform" erachte und "daher vor dem Verwaltungsgericht überprüfen" lasse.

Nach einer langen Debatte hatte die SPD im Stadtrat im Juli 2018 gemeinsam mit den Grünen und gegen ihren Kooperationspartner CSU eine Reform der sogenannten Abwendungserklärung in diesen Gebieten beschlossen. 23 davon gibt es zurzeit in München, mit rund 281 000 Bewohnern, die in 160 000 Wohnungen leben. Vereinfacht gesagt geht es darum, dass Mieter dort besser geschützt sein sollen. Luxussanierungen und die Aufteilung von Miet- in Eigentumswohnungen waren dort schon immer verboten. Seit der Verschärfung gilt zusätzlich bei Neuvermietung ein Mietendeckel, die Nettokaltmiete darf nicht mehr als 11,50 Euro betragen. Neue Mieter müssen die Voraussetzungen für das München-Modell erfüllen, dürfen also nicht zu viel verdienen. Eigenbedarf kann nur für höchstens eine Wohnung angemeldet werden. Und Staffelmietverträge sind nicht zulässig. SPD und Grüne im Stadtrat sahen in den neuen Regelungen eine der letzten Möglichkeiten der Stadt, auf die hohen Mietpreise einzuwirken. Die CSU dagegen fürchtete Klagen vor Gericht - und dass die Stadt sich verschulden werde.

Wohnen: Eine imposante Fassade in der Dreimühlenstraße, unweit der Isar: Die Gegend ist eine, die aktuell unter die städtische Erhaltungssatzung fällt.

Eine imposante Fassade in der Dreimühlenstraße, unweit der Isar: Die Gegend ist eine, die aktuell unter die städtische Erhaltungssatzung fällt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Zumindest die erste Befürchtung bewahrheitet sich nun. Neben der Klage des Eigentümers in der Dreimühlenstraße sei noch eine weitere Klage anhängig, bestätigt das zuständige Kommunalreferat. Die Rechtsabteilung habe die neue Abwendungserklärung geprüft, "dennoch stellen wir fest, dass viele Käufer die neuen Vorgaben kritisch beurteilen", so Sprecherin Birgit Unterhuber. Die Stadt werde innerhalb der gesetzten Frist auf die Klage erwidern. Ein Verhandlungstermin ist laut Stadt noch nicht anberaumt. Die Wirksamkeit der Abwendungserklärung insgesamt bleibe bestehen, "selbst wenn das Verwaltungsgericht wider Erwarten einzelne dieser Klauseln für unwirksam erachten sollte". Die Parteien hätten sich "bezüglich der gerichtlich gegebenenfalls problematisierten Klausel zu Nachverhandlungen verpflichtet", so Birgit Unterhuber.

Das Verfahren dürfte richtungsweisend sein für die Zukunft der Erhaltungssatzung.

Nachdem die Bewohner des Vorderhauses in der Dreimühlenstraße keine Information darüber erhalten hatten, dass die Abwendungserklärung unterzeichnet wurde, hatte der Bezirksausschuss dies angemahnt. Daraufhin verschickte der neue Eigentümer einen Brief, durch den die Mieter von der Klage erfuhren. "Wie Sie bereits wissen, haben wir das Anwesen (...) vom Voreigentümer erworben", schrieb er. Auf vier Seiten führte er die Klauseln der Abwendungserklärung auf und schrieb: "Bis zu einer etwaigen zu unseren Gunsten ausfallenden Entscheidung werden wir uns aber selbstverständlich Ihnen gegenüber an die oben einzeln ausgeführten Verpflichtungen halten." Welche Klauseln er im Einzelnen anficht, dazu äußerte sich der Investor bis zum Redaktionsschluss gegenüber der Süddeutschen Zeitung nicht.

Seit der Reform muss die Stadt ihr Vorkaufsrecht verstärkt ausüben, weil viele Käufer die Erklärung nicht mehr unterschreiben. In 19 Fällen kaufte der Investor trotzdem, in 16 Fällen musste die Stadt zugreifen. Das kostete sie 2018 rund 230 Millionen Euro. 2019 hat die Stadt bislang zehn Mal ihr Vorkaufsrecht ausgeübt und für diese Bestandswohnungen rund 79 Millionen Euro bezahlt - viel Geld, das auch in Neubau gesteckt werden könnte.

Unstrittig ist, dass die verschärfte Abwendungserklärung es Investoren schwerer gemacht hat, ihre Geschäftsziele zu erreichen. Im jüngsten Frühjahrsgutachten, das der sogenannte Rat der Immobilienweisen im Auftrag des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft erstellt hat, ist in einer Tabelle das Verhältnis der "Muss-Miete" zur "Ist-Miete" aufgeführt. In München müsse ein Investor demnach nach dem Kauf eines Miethauses die Mieten um etwa 70 Prozent erhöhen, um "eine gerade auskömmliche Bruttorendite von vier Prozent" zu erzielen. Anders gesagt: damit sich der Kauf aus Investorensicht lohnt.

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