Wohnen in Obergiesing:Warum Giesing?

Dem Viertel eilt der Ruf voraus, laut, arm und weit draußen zu sein. Warum trotzdem Leute in Obergiesing wohnen? Wir haben nachgefragt.

Sarina Pfauth

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Dem Viertel eilt der Ruf voraus, laut, arm und weit draußen zu sein. Warum trotzdem Leute in Obergiesing wohnen? Wir haben nachgefragt.

Günter Huber, Jahrgang 1937, wohnt seit 45 Jahren in Giesing. Aufgewachsen ist er in der Nähe des Gärtnerplatzes, als Junge jagte ihn der Polizist noch über den Platz, weil er freihändig Fahrrad fuhr.

Heute findet man dort keinen Parkplatz mehr - in Giesing ist das zwar auch schon schwierig, aber immer noch besser. Das ist schon mal ein Pluspunkt. In das gelb getünchte Haus in der Hohenwaldeckstraße zog er 1964, als einer der ersten. Siemens hatte hier Arbeiterwohnungen gebaut - und Günter Huber, selbst Siemensianer, konnte von seiner Werkstatt über den Bahngleisen direkt in Küche und Kinderzimmer seiner Wohnung schauen. Seitdem hat er viele Mieter ein- und ausziehen sehen, ein paar von den Alten sind aber immer noch da. Und auch mit den neuen Mitbewohnern ist es ein gutes Miteinander: "Wenn man mal was braucht, Mehl oder so."

"Ich liebe an meinem Viertel, dass die Leute gemütlich sind und wenn immer man Lust hat zu ratschen, dann findet man auch jemand. Zum Beispiel die zwei Herren von 'Farben Tela'. Das ist auch gut an Giesing, dass man hier alles findet, was man braucht. Auch was Spezielles."

Allerdings habe sich das Viertel sehr verändert in den vergangenen Jahrzehnten: Als er kam, standen gegenüber Obstbäume und nebenan eine alte Villa. Neben der heutigen Garage stand eine Sargschreinerei. Heute: Alles voller Wohnblocks.

Foto: privat Text: Sarina Pfauth/sueddeutsche.de

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Ein Teig ist ein Lebewesen, sagt Gerhard Angerbauer, und wer das nicht kapiert hat, der kann kein guter Bäcker sein. Er selbst hat sein Handwerk in Wien gelernt, und er macht immer noch alles so wie damals. Jede einzelne Breze, jede Semmel ist Handarbeit - eine Teigmaschine ist ihm bislang noch nicht ins Haus gekommen, und Fertigmittel kommen ihm auch nicht in die Backstube.

Die Bäckerei ist ungefähr 110 Jahre alt, und Gerda und Gerhard Angerbauer sind auch schon einige Zeit hier in der Unteren Grasstraße, Hausnummer elf, und zwar seit 1983. "Giesing ist nicht mehr wie früher", sagt Gerhard Angerbauer zwar, "aber die Leute sind immer noch ganz gemütlich."

In anderen Stadtvierteln sei das nicht so. Die ruhige, fast dörfliche Stimmung schaffen die behaglichen Altbauten, die es in Alt-Giesing noch gibt, denkt er.

Außerdem würden hier viele Alteingesessene wohnen - und wer dazu ziehe, integriere sich schnell, "weil die Leute diese Gemütlichkeit mögen".

Fotos und Text: Sarina Pfauth/sueddeutsche.de

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Wenige Häuser weiter wohnt Nikola Malatesinic, der in Kroatien geboren wurde, im zweiten Stock eines beige gestrichenen Altbaus. Im Erdgeschoss betreibt er zusammen mit seinem Sohn eine Fachwerkstatt, in der sie antike Möbel restaurieren. "Wir kennen hier in der Straße viele. Die Leute kommen zu mir, weil sie einen Schraubenzieher oder eine Bohrmaschine ausleihen wollen, oder sie kommen einfach zu Besuch. Die Tür geht immer wieder auf", erzählt Malatesinic. Seit 1980 wohnt er mit seiner Familie in Obergiesing. Davor hat er in Schwabing gelebt: Viele Künstlerkneipen, eine lebendige Restauratorenszene, viele junge Leute. Von dort ins Arbeiterviertel umziehen, das war erst einmal hart, erzählt er. "Von der Schellingstraße hierher, das hat mir nicht gepasst." Aber in Obergiesing hat er eben eine Werkstatt gefunden, da blieb ihm nichts anderes übrig. "Und jetzt, wo ich hier bin, bin ich gerne hier." Es sei viel ruhiger als in Schwabing, aber auf die Großstadt müsse er trotzdem nicht verzichten: "Wir sind hier öffentlich gut angeschlossen, das ist praktisch", sagt Malatesinic. Und außerdem habe Giesing einen unschlagbaren Vorteil gegenüber Schwabing: "Wir sitzen gleich am Starkbier".

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Josefine Schamriss, die in der Nähe des St.-Quirin-Platzes wohnt, lebt seit 28 Jahren in Giesing. "Man ist gleich draußen", antwortet die alte Dame auf die Frage nach dem, was sie an Giesing mag. Und: "Ich kenn nichts anderes mehr."

Genervt sei sie von den Kindern, die ihr Spielzeug am Abend nicht vom Hof wegräumen würden und von den Eltern, die nichts dazu sagen und gleich schlechte Laune bekommen, wenn man sie darauf anspricht. Und die Gehwege sollten ihrer Meinung nach auch besser gereinigt werden, "da fühlt sich aber keiner zuständig". "Früher", sagt Josefine Schamriss, "war's ordentlicher hier".

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Einige Straßen weiter erzählt eine Giesingerin, die ihren Namen aber lieber nicht im Internet lesen wollen, über ihr Stadtviertel. Die Dame, blond, etwa 50 Jahre alt, zwei weiße Hündchen an der Leine, mag ihre Wohngegend überhaupt nicht: "Hier zu wohnen ist eine Katastrophe", sagt die gebürtige Ungarin, die seit 1994 in Obergiesing in der Nähe des Chiemgauerstraße wohnt.

Ein Mann, der in der Nähe steht und das Gespräch verfolgt, pflichtet ihr bei: "Das ist die schlechteste Lage in München", findet er. Hier seien die Wohnungen alt, die Autoabgase würden stinken, es gebe zu wenig Grünflächen. Warum sie trotzdem hier wohnen? "Die Wohnungen sind noch bezahlbar", sagt die blonde Frau.

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Ganz anders redet Andrea, die ebenfalls nicht ihren vollen Namen im Artikel lesen will, über ihren Stadtteil: "Ich wohne echt gerne hier", sagt die Mutter von drei Kindern, die zwölf, zehn und zwei Jahre alt sind. Die Familie ist vor zehn Jahren vom Gärtnerplatz-Viertel nach Alt-Giesing gezogen. Zwar gebe es in Giesing zu wenig Krippen und die Parkplatzsuche gestalte sich schwierig in ihrer Straße -aber die Vorteile überwiegen aus Andreas Sicht eindeutig.

"Giesing ist wie eine kleine Stadt mit vielen kleinen Geschäften und netten Cafés. Man kennt die Leute hier, und man ist nicht weit weg von der Innenstadt - die Verkehrsanbindung ist super." Außerdem sei man schnell an der Isar und die Kinder - und Jugendarbeit der Heilig-Kreuz-Gemeinde sei ganz hervorragend.

"Die Altersmischung im Viertel ist super: Es gibt alte Leute, die schon immer hier wohnen, junge Familien und Studenten." Und außerdem wären die Leute hier so angenehm normal, "nicht so durchgestylt, dass man sich kaum mehr auf die Straße traut."

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