Gut zwanzig Jahre nach Antritt der ersten rot-grünen Stadtregierung scheint der genossenschaftliche Wohnungsbau nun vor dem Durchbruch zu stehen. In den kommenden Jahren wollen verschiedene Genossenschaften mehr als 2500 Wohnungen neu errichten; davon sind 567 derzeit bereits in Bau oder stehen kurz vor einem Baubeginn. Zum Vergleich: In den vergangenen zehn Jahren haben die 35 Münchner Genossenschaften lediglich 870 Wohnungen neu geschaffen.
Der Grund für diese Renaissance liegt zum einen an den Genossen selbst: Künftig wollen nicht nur die drei in den letzten zwei Jahrzehnten neu gegründeten und besonders aktiven Genossenschaften bauen, sondern auch sieben der sogenannten Alt-Genossenschaften, die zumeist vor rund 100 Jahren entstanden sind. Und es ist die Stadt, die nun den lobenden Worten für das Engagement der Genossen auch mehr Taten folgen lässt und ihnen mehr Grundstücke zu bezahlbaren Preisen in Aussicht stellt. Vor allem auf ehemaligen Militärflächen (etwa Funk-, Bayern- und Prinz-Eugen-Kaserne) sowie in Freiham sollen sie zum Zuge kommen.
Stadtbaurätin Elisabeth Merk (parteilos) räumte bei einem Pressetermin ein, dass es ein "Umdenken" in der Stadtverwaltung gebe und man inzwischen "flexibler" auf die Bedürfnisse der Genossenschaften eingehe. Demnächst will die Stadt eine eigene Beratungsstelle für sie schaffen. Während in den vergangenen Jahren fast nur Wogeno (gegründet 1993), Wagnis (2000) und Frauenwohnen (1998) neu gebaut haben, waren die "Alten" ganz mit dem Erhalt ihres Bestands beschäftigt.
Merk wünscht sich deshalb ein noch stärkeres Engagement aller Genossenschaften: Sie schüfen "Mehrwert" in einem Quartier, "den man von den ganz normalen Immobilienwirtschaftlern so nicht kennt". Damit spielt die Stadtbaurätin auf das bürgerschaftliche Engagement der demokratisch organisierten Genossenschafen an, die mit ihren Angeboten für die Nachbarschaft das Miteinander fördern, gerade in Neubaugebieten. Bestes Beispiel ist Wagnis, das mit seinen vielfältigen Aktivitäten den Ackermannbogen entscheidend prägt.
Hintertürchen für Genossen-Wohnungen
Die Stadt will künftig 20 bis 40 Prozent der Flächen eines neuen Quartiers Genossenschaften zum Verkehrswert zur Verfügung stellen, also billiger als zu Marktpreisen. Nur rund 20 Prozent (das entspricht etwa 140 Wohnungen) sind aber ausgerechnet im "Kreativquartier" an der Dachauer Straße eingeplant, obwohl Merk gerade die innovativen Ideen der Genossenschaften lobt, was der Stadt "sehr, sehr gut tut". Im Kreativquartier sei die Planung aber noch längst nicht abgeschlossen, erklärt Merk und öffnet so ein Hintertürchen für mehr Genossen-Wohnungen. Sie könne sich für dieses Gelände auch eine Neugründung vorstellen: Genossen, die Wohnen und kreatives Arbeiten verbinden wollen.
"Wir könnten uns mehr vorstellen", sagt Christian Stupka zum Flächenbedarf an der Dachauer Straße. Er ist als Vorstand der Wogeno und der Genossenschaftlichen Immobilienagentur Gima, die sich zusammen mit der Vereinigung Münchener Wohnungsunternehmen um eine bessere Zusammenarbeit der Genossen bemüht, einer der treibenden Kräfte hinter dem Boom des solidarischen Bauens. Genossenschaften seien "Selbsthilfeorganisationen", in denen die Bewohner Vermieter und Mieter gleichzeitig sind, und finanzielles Gewinnstreben keine Rolle spiele. Stupka lobt die Stadt für ihren inzwischen genossenschaftsfreundlicheren Kurs. Müsste man Grundstücke auf dem freien Markt erwerben, läge der Mietpreis am Ende bei 16 bis 18 Euro pro Quadratmeter. "Das geht nicht", sagt Stupka.
35 000 Wohnungen besitzen die Genossenschaften derzeit. Der aktuelle Run darauf ist auch darin begründet, dass die Bewohner sicher vor Kündigungen sind, bei Planung und Gestaltung ihrer Anlage mitreden dürfen und die Miete etwas unter dem Münchner Durchschnitt liegt. Eine dieser begehrten Wohnungen zu ergattern, ist aber nicht einfach: Ein Interessent muss zunächst Mitglied werden, eine Einlage leisten - und dann viel Geduld haben. Stupka vergleicht das Warten auf eine Genossenschaftswohnung mit dem Warten auf einen Trabbi in der DDR.