Wohnen in München:Schwanthalerstraße ist auf dem Weg zur Prachtmeile

Wohnen in München: Kreuz und quer: Tausende Fußgänger überqueren täglich die Schwanthalerstraße.

Kreuz und quer: Tausende Fußgänger überqueren täglich die Schwanthalerstraße.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viel Beton, viel Verkehr, wenig Grün - das zeichnete die Straße bislang aus. Doch die Aufwertung hat längst begonnen.

Von Thomas Anlauf

Sie ist keine Schönheit. Man mag sie gar Schlund schimpfen, vollgestopft mit Autos. Die Baustelle links quetscht die Trasse ein, der Laster rechts blinkt warnend auf der Straße, fünf Radler schlängeln sich durch den Stau. An der Schillerstraße laufen Fußgänger in Massen über diese Schneise, tagsüber sind es im Schnitt 1100 Menschen pro Stunde. Jeder will hier irgendwohin, in die Altstadt, zum Hauptbahnhof oder fort von dort. Alexander Miklosy sitzt wie ein Ruhepol in diesem Treiben an einem Wirtshaustisch auf dem Gehweg, der Verkehr rauscht und röhrt. Miklosy sagt einen erstaunlichen Satz: "Die Straße verliert mehr und mehr ihr Schmuddelimage."

Es ist etwas im Gange in der Schwanthalerstraße, dieser großen Verkehrsstraße zwischen Theresienhöhe und Sonnenstraße, zwischen Münchner Westen und der Altstadt. Alexander Miklosy, der Vorsitzende des örtlichen Bezirksausschusses, blickt hinüber auf die andere Straßenseite, wo gerade Handwerker auf Gerüsten letzte Arbeiten erledigen. Die München Bau hat hier einen großen Wohnkomplex hochgezogen, zur Straße hin eckige Erker, dicke Schallschutzfenster, nach hinten ein großer Innenhof. 119 Wohnungen sind entstanden, in den kommenden Wochen ziehen hier Menschen ein. Ein gutes Zeichen für die Gegend, findet Miklosy. Denn in der Schwanthalerstraße ist vor allem Gewerbe zu Hause: Hotels, Geschäfte, Spielhallen und Wettbüros. "Dort, wo Wohnen ist, schauen die Leute noch auf ihre Nachbarn", sagt der Lokalpolitiker.

Ein paar Tage zuvor ist es ein junges Paar, das an einem der braunen Wirtshaustische gegenüber dem neuen Wohnkomplex sitzt. Die beiden lächeln. Gerade haben sie ihre künftige Wohnung besichtigt. "Theater Suiten" nennt sich die Wohnanlage, in der die beiden Münchner ein Appartement bekommen haben. Zwei Zimmer, 60 Quadratmeter. Die beiden haben endlich eine Wohnung gefunden nach langer vergeblicher Suche. Doch das gemeinsame Heim hat seinen Preis: 25 Euro Miete pro Quadratmeter.

"Lifestyle im Zentrum von München wartet auf Sie." So warb die München Bau für die "Theater Suiten", mit Erfolg. Die Apartments waren nach einigen Monaten weg, weit vor der Fertigstellung. "Wir hatten ursprünglich vor, die Wohnungen einzeln zu verkaufen", sagt Friedrich Neumann, Bauherr und Firmengründer der München Bau. Doch dann habe sich die Möglichkeit ergeben, "das Objekt global zu verkaufen", an einen Münchner Privatinvestor. Mit den jetzigen Mietpreisen hat die München Bau deshalb auch nichts mehr zu tun. Neumann wirkt überrascht, als er von dem Quadratmeterpreis von 25 Euro erfährt. Vor einem Jahr sagte Neumann beim Richtfest zu Architekten und Bauarbeitern: "Gemeinsam tragen wir zur Entspannung des Münchner Wohnungsmarktes bei." Das Ziel des Münchner Unternehmens sei es, "lebenswerten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen".

1,1 Kilometer

lang ist die Schwanthalerstraße zwischen Sonnen- und Martin-Greif-Straße. Dort verläuft sie als breite Verkehrstraße durch die Ludwigsvorstadt. Dahinter, im Stadtbezirk der Schwanthalerhöhe, verändert sich ihr Charakter grundlegend: Bis zu ihrem Ende an der Ganghoferstraße 650 Meter weiter westlich wird die Schwanthalerstraße zur Tempo-30-Zone und zum Teil sogar zur Einbahnstraße.

Christoph Krautbauer vom IKM Immobilien Kontor München meldet sich am Telefon. Er räumt ein, dass die Mietpreise in der neuen Wohnanlage im Schnitt "deutlich über 20 Euro liegen", es seien aber auch Wohnungen für deutlich unter 20 Euro pro Quadratmeter im Angebot gewesen. "Immer noch ein stolzer Preis, bei dem man sich immer bewusst sein muss, dass ein Mieter die Miete erst verdienen muss", so Krautbauer. Er betont aber, dass nicht nur die zentrale Lage in unmittelbarer Nähe zur U-Bahnstation Theresienwiese einen höheren Mietpreis rechtfertige, sondern preist auch die effizient geschnittenen Wohnungen mit hohem Nutzwert. Außerdem seien nur zehn Prozent der Apartments vom Lärm der Schwanthalerstraße betroffen, die anderen in Innenhoflage "mit teils idyllisch anmutenden Ausblicken".

Die neuen Mieter zahlen den Preis und die Schwanthalerstraße wird mehr und mehr zum teuren Pflaster. Für die München Bau ist die Gegend so attraktiv, dass sie in der Nachbarschaft ein weiteres Wohngebäude gebaut hat. Der Prokurist eines anderen Münchner Bauträgers räumt im Gespräch ein, dass seine Firma es leider versäumt habe, hier in der Ludwigsvorstadt zu investieren.

Die eine Schwanthalerstraße gibt es dabei gar nicht. Oben im Westend ist längst die Gentrifizierung im Gange, es gibt angesagte Lokale, im Sommer sitzen junge Menschen mit ihren Getränken am Straßenrand am Boden, wenn vor den Kneipen kein Sitzplatz mehr frei ist. Im riesigen Wohn- und Einkaufskomplex an der Theresienhöhe entsteht gerade das "Forum Schwanthalerhöhe" mit modernen Geschäften, die kürzlich eröffnete "L'Osteria" ist innerhalb weniger Tage zu einem brummenden Restaurant geworden mit Blick hinunter in die Schwanthalerstraße.

Unten im Paulsviertel beginnt nun auch spürbar die Aufwertung. Das alte Wirtshaus "Zur Festwiese", bis zum Pächterwechsel vor einem Jahr vor allem Stammkneipe für Anwohner oder uriges Lokal für verirrte Touristen, zieht nun sogar Münchner an, die sonst eher im Glockenbachviertel ausgehen. Um die Ecke gibt es nun einen kleinen, feinen Weinladen, der auch in Haidhausen liegen könnte. In den vergangenen Jahren wurden in der Schwanthalerstraße auch noch mehr Hotels hochgezogen. Wo jahrzehntelang Elektro Fröschl seinen Stammsitz hatte, ist jetzt eine schicke Herberge. An der Ecke zur Paul-Heyse-Straße war einst ein bekanntes Fischlokal - heute ebenfalls ein Hotel. Fast zwei Drittel aller Münchner Hotels liegen in der Schwanthalerstraße und Umgebung. Das verändert das Gesicht der Straße massiv.

"Das sind große Häuser, alle seriös, aber sie bringen nichts fürs Viertel", sagt Fritz Wickenhäuser. Er war selbst Gründer und Betreiber von zwei Hotels in der Schwanthalerstraße, seit mehr als einem Jahrhundert lebt und arbeitet seine Familie hier. Erst waren die Wickenhäusers Autohändler, später eben auch Hoteliers im Familienbetrieb. Doch die Entwicklung der internationalen Hotellerie sieht er mit viel Skepsis. Der Bedarf an Betten im Bahnhofsviertel sei längst gesättigt, sagt der Mann mit dem grauen Schnauzer. Und die Hotels, so schick sie auch aussehen mögen neben den alten, teils grauen Gebäuden in der Straße, sie bringen kein Leben ins Viertel. Im Erdgeschoss, wo sich sonst Läden oder Lokale ansiedeln könnten, sind die Lobbys oder Hotelrestaurants für die Gäste. Und draußen auf der Straße hält sich ohnehin kaum ein Mensch länger auf, als er muss.

In der Konzeptstudie des Planungsreferats wird die Schwanthalerstraße als "stark verkehrsbelastet" bezeichnet. Die Stickstoffdioxid-Konzentration durch den vielen Verkehr ist entlang der drei- bis vierspurigen Trasse eine der höchsten im gesamten Innenstadtbereich, entlang der Schneise zwischen Martin-Greif- und Sonnenstraße säumt kein Baum die Straße.

Es muss nicht schlecht sein, wenn eine Straße aufgewertet wird

Das war einmal anders. Als der Maler und Mitbegründer des Blauen Reiter, Franz Marc, seine Jugend in der Schwanthalerstraße verbrachte, standen hier noch zahlreiche Bäume, die schönen Stadthäuser, von denen heute nur noch wenige existieren, hatten oft Vorgärten. Die Nationalsozialisten verwandelten in den Dreißigerjahren die einst grüne Vorstadt in die zubetonierte Schneise, wie man sie heute kennt. Fritz Wickenhäuser kämpft als Vorsitzender des Vereins südliches Bahnhofsviertel seit Jahren dafür, dass die Schwanthalerstraße wieder viele Bäume erhält und mehr Platz für Menschen, damit die sich auch mal hinsetzen können, ohne gleich etwas kaufen zu müssen.

Stattdessen droht noch mehr Ödnis: die vielen Hotels, all die Wettbüros und Spielhallen in Richtung Sonnenstraße. "Wenn ein Laden schließt, kommt meist entweder ein Wettlokal oder eine Shisha-Bar", sagt Wickenhäuser. Und es schließen immer wieder Geschäfte. Elektro Zelko etwa, seit fast zwei Jahrzehnten in der Schwanthalerstraße beheimatet, Ende des Jahres wegen Geschäftsaufgabe.

Ein paar Meter weiter steht Luigi de Leo in seinem Laden, der Schlüsselzentrale Pankofer. Seit 21 Jahren arbeitet er hier, "die alten Geschäfte sind alle verschwunden", sagt der Verkaufsleiter. "Ich finde es schon schade, wie sich das Viertel entwickelt hat." Wenn das Gebäude, in dem die Schlüsselzentrale ihren Sitz hat, nicht der Firma gehören würde, "hätten wir wohl schon aufgegeben", sagt de Leo.

Ein Stück weiter die Straße hinunter sind unter Arkaden ein paar Läden, die immer noch leben. "Diamant Damenmode" zum Beispiel, handschriftlich steht auf dem Schaufenster etwas auf Arabisch, drinnen hängen konservative orientalische Kleider. Nebenan verkauft Aytac Zagreb Koffer in allen möglichen Farben und Formen, Gürtel, Pfeifen, Kram. Doch wie lange noch? Der Gebäudekomplex, in dem die Läden zu Hause sind, wurde verkauft.

Die Credit Suisse Asset Management Global Real Estate hat Anfang des Jahres die riesige Immobilie erworben. Der 45 000 Quadratmeter große Gebäudekomplex zwischen Schwanthalerstraße, Paul-Heyse- und Bayerstraße gehörte bis dahin der Postbank. "Die Lage direkt am Hauptbahnhof in Verbindung mit der Dimension des Objektes bietet enormes Potenzial", teilte die Credit Suisse im Januar mit. Was mit der markanten Immobilie namens "Correo" mit ihren Läden, Büros, Lokalen und Arztpraxen geschehen soll, ist bislang nicht bekannt. Das Unternehmen "möchte sich derzeit nicht zu Correo äußern", teilt die Credit Suisse mit.

Wohnen in München: Abends vor dem Deutschen Theater geht es beschwingt zu.

Abends vor dem Deutschen Theater geht es beschwingt zu.

(Foto: Stephan Rumpf)

Es muss nicht schlecht sein, wenn eine Straße aufgewertet wird. Das Deutsche Theater zieht nach der jahrelangen Generalsanierung abends wieder ein ganz anderes Publikum an. Vor den Aufführungen stehen Theatergäste im schönen Innenhof, der Faunbrunnen rauscht und Gläser klingen. Tagsüber gehen nebenan die Händler ihren Geschäften nach, sie verkaufen Uhren, Schmuck, Obst und Gemüse. Hier in "Klein-Istanbul" geht es tagsüber so exotisch zu wie sonst nur noch in der Landwehrstraße. "Das ist hier der einzige großstädtische Bereich in ganz München", sagt Alexander Miklosy.

Er meint damit nicht nur die kleinen Läden, die es immer schwerer haben, die steigenden Mieten zu zahlen. Da sind auch die vielen sozialen und politischen Institutionen: das Eine-Welt-Haus als Diskussionsplattform und Treffpunkt für Menschen vieler Kulturen, dann ist da der große Riegel des Münchner Gewerkschaftshauses, vor dem immer wieder auch Demonstrationen starten wie kürzlich gegen den Münchner Mietwahnsinn. Hier in der Straße ist das Zentrum für Migration in Bayern (ZIB) ebenso zu Hause wie die Münchner Aktionswerkstatt Gesundheit (MAGS).

Und natürlich sind da noch die Menschen, die zum Teil seit Jahrzehnten hier leben: die alte Dame, die einst aus Griechenland nach München kam und dank eines freundlichen Vermieters immer noch so günstig wohnen kann, dass ihre schmale Rente noch reicht. Oder der Mann mit den weiten Pluderhosen, tagein tagaus geht er auf seinen Stock gestützt langsam die Straße entlang. Können sich solche Menschen auch dann noch die Miete leisten, wenn die Immobilienmakler in der lauten Schwanthalerstraße das große Geld wittern?

Bauherr Friedrich Neumann ist sicher, dass seine Theater Suiten "der Schwanthalerstraße gut tun werden". Die Straße habe sich doch bereits "gewaltig verändert, wie viele anderen Straßen in München auch". Der Wandel von einer schmuddeligen Verkehrsschneise zu einem begehrten Wohnviertel sei nicht aufzuhalten und werde sich bis zur Sonnenstraße fortsetzen, meint Friedrich Neumann. Und dann sagt er einen bemerkenswerten Satz: "In zehn bis zwanzig Jahren wird das eine Prachtstraße sein."

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