Wohnen in München:Münchner verklagt den Freistaat wegen Schlamperei bei Mietpreisbremse

Nach Protesten wie hier in München hat die Staatsregierung die Mietpreisbremse eingeführt - doch die Bremse bremst nicht.

Die Mietpreisbremse war seit ihrem Bestehen bis Mitte 2017 unwirksam, befand das Münchner Landgericht.

(Foto: dpa)
  • Ein Münchner Mieter klagt wegen einer fehlerhaften Verordnung gegen den Freistaat.
  • Er ist der Meinung, einen Gerichtsprozess um zu viel gezahlte Miete deswegen verloren zu haben, weil das Justizministerium eine fehlerhafte Verordnung zur Mietpreisbremse erlassen hat.
  • Das Landgericht München hatte während seines Prozesses ein Urteil gesprochen, nach dem die Mietpreisbremse seit ihrem Bestehen bis Mitte 2017 unwirksam war.

Von Ralf Wiegand

"Amtshaftungsklage", das klingt nach einem Rezept tief aus dem Kochbuch der Bürokratie, abgeschmeckt mit einer Prise feinsten Juristendeutschs. Allerdings ist die Sache gar nicht so schwierig: Amtshaftung bedeutet, dass der Staat und seine Beamten für Schäden gerade stehen müssen, die ein Bürger dadurch erleidet, dass der Staat seine Pflichten verletzt hat. Der Staat muss seinen Bürgern anständige Gesetze und Verordnungen mit auf den Weg geben, auf die sie sich verlassen können. Entsteht aber jemandem ein Nachteil, weil er sich zum Beispiel vor Gericht auf eine Verordnung berufen hat, die sich im Nachhinein als ungültig erweist und er deswegen einen Prozess verliert - dann könnte der Staat dafür haftbar gemacht werden.

Genau das hat Matthias Kehr vor: Er verklagt den Freistaat Bayern. Der Münchner ist der Meinung, einen Gerichtsprozess um zu viel gezahlte Miete nur deswegen verloren zu haben, weil das bayerische Justizministerium eine fehlerhafte Verordnung zur Mietpreisbremse erlassen hat. Der Mieter, dem durch den verlorenen Rechtsstreit mit seinem Vermieter ein Schaden von knapp 10 000 Euro entstanden sein soll, wird bei seiner Amtshaftungsklage gegen den Freistaat vom Münchner Mieterverein unterstützt. Das, was das Land da abgeliefert habe, "war wirklich Murks", sagt Volker Raststätter vom Mieterverein.

Doch der Reihe nach. Matthias Kehr, ein Münchner Gastronom, bezieht im Juli 2016 eine neue Wohnung, 65 Quadratmeter, 1450 Euro kalt. Ein stolzer Preis - und viel zu viel, wie Kehr dämmert, als er erfährt, dass sein Vormieter deutlich weniger bezahlt hatte. Ein Fall für die Mietpreisbremse: Das Instrument, 2015 eingeführt, kann in bestimmten Fällen dafür sorgen, dass Wohnungen bei Mieterwechsel nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete kosten dürfen. Kehr müsste demnach 547,92 Euro weniger pro Monat zahlen. Er rügt seinen Vermieter, der Fall landet vor Gericht, wo ein Gutachten den überhöhten Mietpreis bestätigt. Im Dezember 2017 soll eine Entscheidung ergehen, Kehr rechnet mit einem Sieg und Rückzahlung der zu viel gezahlten Miete.

Wenige Tage zuvor jedoch ergeht unabhängig von Kehrs Verfahren eine Entscheidung des Landgerichts München, wonach die Mietpreisbremse seit ihrem Bestehen bis Mitte 2017 unwirksam war - also auch zum Zeitpunkt der Klage des Mieters Matthias Kehr. Grund für diese Unwirksamkeit war eine Verordnung des Freistaats Bayern, mit der die auf Bundesebene beschlossene Maßnahme im Land umgesetzt werden sollte. In dieser Verordnung fehlten nach richterlicher Meinung wichtige Angaben. Sie sei deshalb unwirksam - und damit auch die Mietpreisbremse.

Für den Münchner Matthias Kehr hatte das Folgen: Wenn keine Mietpreisbremse galt, konnte er sich auch vor Gericht nicht auf diese berufen. Er verlor. Neun Monate hatte er in der teuren Bude an der Münchner Freiheit gewohnt, fast 5000 Euro zu viel bezahlt, dazu Verfahrenskosten: Macht rund 10 000 Euro, die er nun vom Freistaat wiederhaben möchte. Das bayerische Justizministerium wollte sich auf Anfrage nicht äußern, da es sich um einen Einzelfall handele.

Freistaat verweist auf einen "Einzelfall"

Der Mieterverein München kennt nach eigenen Angaben bis zu zehn ähnliche Fälle, in denen Entschädigungen fällig werden könnten, sollte Kehr Recht bekommen. Der Umgang des Freistaats mit der Mietpreisbremse ist für die Mieterschützer ohnehin ein Ärgernis. Zwar besserte das Justizministerium die damals gerügte Verordnung Mitte 2017 nach, doch das war nach Ansicht von Mietervereins-Geschäftsführer Rastätter nicht genug: "Eine Verordnung, die einen Fehler enthält, ist nichtig. Das ist durch eine Ergänzung nicht zu reparieren." Die Juristen seines Hauses seien überzeugt, dass das Land Bayern die Verordnung ganz neu hätte erlassen müssen. "Wenn ich die Mieter wirklich schützen will", sagt Rastätter, "erlasse ich eine neue Verordnung", um Sicherheit zu schaffen.

So aber glaubt der Mieterverein, dass auch die aktuelle Verordnung vor Gericht gekippt werden könnte, die Mietpreisbremse also auch jetzt in Bayern nicht in Kraft ist - was Mieter abschrecke, überhaupt gegen ihre Vermieter mit dieser Begründung vorzugehen. "Wir können ihnen ja kaum dazu raten", sagt Rastätter. Im Zweifel würden die Mieter die Finger von einer Klage lassen, "idealer kann es für Vermieter nicht kommen", sagt Rastätter.

Das bayerische Justizministerium widerspricht dieser Ansicht vehement. Auf Anfrage der SZ teilte ein Sprecher mit, es sei lediglich in einem Einzelfall entschieden worden, dass die Mietpreisbremse nicht anwendbar sei. Weitergehende Wirkungen habe diese Entscheidung, "entgegen dem Eindruck, den der Mieterverein fälschlicherweise erweckt", nicht. Die Mietpreisbremse gelte in 137 bayerischen Städten und Gemeinden.

Welche Auffassung stimmt, könnten demnächst wieder Gerichte klären. Der Mieterverein wird voraussichtlich in Kürze die Klage einer Mieterin gegen ihren Vermieter wegen zu hoher Miete unterstützen. Im Rahmen dieses Verfahrens, hofft Rastätter, wird dann die Wirksamkeit der Verordnung zur Mietpreisbremse erneut hinterfragt werden.

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