Wohnen in München:Genossenschaften lassen Bagger rollen

Genossenschaftliches Wohnen in München, 2011

Die Anlage Barthblock der Wohnungsgenossenschaft West in der Schwanthalerhöhe.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Plötzlich treten in München ganz neue Immobilienakteure auf den Plan: Mehr als 2500 neue Wohnungen wollen die Genossenschaften bis 2020 bauen. Zum einen ermuntert sie die Stadt dazu, zum anderen ändert sich in der Szene gerade einiges.

Von Bernd Kastner

Sie sind die Stillen unter all den Lauten. Um sie herum wird das Tohuwabohu immer größer auf dem Markt der Immobilien. Immer höhere Preise locken immer mehr Geld nach München, die Mieter verzweifeln.

Und die Genossenschaften? Sie sind so leise und bescheiden, dass es ein Paukenschlag ist, wenn sie verkünden: Mehr als 2500 neue Wohnungen wollen wir bis 2020 bauen. Plötzlich nimmt München ganz neue Immobilienakteure wahr: Verein für Wohnungskultur, Beamtenwohnungsverein, Baugenossenschaft des Post- und Telegrafenpersonals.

Neu? Wohl nicht. Die Namen klingen nicht nur so, sie stammen auch aus einer Zeit, als Bayern noch eine Monarchie war. Knapp 40 Wohnungsbaugenossenschaften gibt es in München, ihnen gehören 37 000 Wohnungen, rund fünf Prozent des Gesamtbestands.

Und wenn man zuletzt von Baugenossenschaften gehört hat, dann vor allem von den drei jungen: Wogeno (gegründet 1993), Frauen-Wohnen (1998) und Wagnis (2000). Auf ihr Konto gehen etwa drei Viertel der 870 neuen Genossenschaftswohnungen der vergangenen zehn Jahre. Von den altehrwürdigen Genossenschaften hat kaum eine gebaut.

Die Mehrheit ist zufrieden mit dem Status quo

Jung gleich aktiv, alt gleich - ja, was eigentlich? Sind die klassischen Genossenschaften endlich erwacht? So eine Frage hört man nicht gern in der Szene, weil der Vorwurf mitschwingt, sie hätten all die Jahre geschlafen. Die meisten unter ihnen aber haben mit dem Erhalt ihres Bestands genug zu tun: Hier eine Wohnung sanieren, dort eine Fassade dämmen.

Das entspricht dem geringen Kapital der meisten Genossenschaften und dem Mehrheitswunsch ihrer Mitglieder, sprich: Eigentümer, die also ihre eigenen Vermieter sind. Und die Mehrheit ist meist zufrieden mit dem Status quo, der für sie mitunter atemberaubend günstige Mieten bedeutet.

Fünf, sechs, sieben Euro pro Quadratmeter sind keine Seltenheit in den Bestandshäusern der klassischen Genossenschaften, die kein Aufhebens um sich machen und fast ein wenig bieder daher kommen. Man kann das langweilig finden oder auch solide; jedenfalls merken immer mehr Münchner, was sie an einer Genossenschaftswohnung hätten: keine Mietmaximierung, lebenslangen Kündigungsschutz, und sie dürfen mitbestimmen, was im Haus und in der Firma geschieht.

Die Wohnungsbaugenossenschaft der Flieger und Kriegsgeschädigten in Bayern ist unter den Alten eine der Jüngsten, gegründet 1951 von einem General. 335 Wohnungen verwaltet Eleonore Moritz, Vorstand und einzige Ganztagskraft. "Wir bauen nicht neu", sagt sie, das würden sie mit ihrem Personal nicht schaffen.

"Der Letzte macht die Tür zu"

Dennoch ist die Genossenschaft offen für Neue, zumindest auf dem Papier. Bei den Fliegern wird nicht "vererbt", haben Familienangehörige also kein Erstzugriffsrecht auf eine freie Wohnung wie in vielen anderen Alt-Genossenschaften. Jeder muss auf die Warteliste. Auf der aber stehen 800 Namen.

"Der Letzte macht die Tür zu", so beschreibt ein Branchenkenner etwas sarkastisch die Mentalität in vielen alten Genossenschaften. Wer mal drin ist, hat kaum Interesse, aus Solidarität mit denen, die gerne rein wollen, mehr Miete zu zahlen, um einen Neubau zu ermöglichen. So wird eine Genossenschaft irgendwann zur geschlossenen Gesellschaft.

Bald aber wollen immerhin sieben der klassischen Genossenschaften die Bagger rollen lassen, sie wollen neue Quartiere wie die Prinz-Eugen-Kaserne prägen. Diese Renaissance hat viele Gründe. Zunächst ist da die Stadt München, die inzwischen die Genossen nicht nur lobt für ihre neuen Ideen; sie will das nachbarschaftliche Miteinander noch stärker als bisher fördern. Konzeptioneller Mietwohnungsbau heißt das Zauberwort.

Generationswechsel in den Führungen der Genossenschaften

Sie vergibt Grundstücke nicht zum (unbezahlbaren) Markt-, sondern zum Verkehrswert. Unter zwei Auflagen: Die Miete muss moderat sein, und die Genossenschaft muss etwas fürs Quartier zu tun, Gemeinschaftsräume schaffen etwa oder ein Car-Sharing anbieten. Solche Konzepte sind den meisten Genossen nicht fremd, und die Miete ist eh gering.

Es gibt aber interne Gründe fürs Aufleben des alten Modells des solidarischen Bauens. In den Führungen der Genossenschaften vollzieht sich ein Generationswechsel, in die Vorstände und Aufsichtsräte ziehen Mitglieder, die sich nicht mit bloßem Verwalten begnügen. Denn wie vor 100 Jahren oder nach dem Krieg herrscht wieder Wohnungsnot.

Zur neuen Generation gehören Christian Stupka und Jörg Kosziol. Letzterer führt nicht nur den Bauverein Haidhausen, der 2007/08 in der Messestadt neu gebaut hat und sich jetzt für die Prinz-Eugen-Kaserne interessiert. Kosziol ist auch Vize-Chef der Vereinigung Münchener Wohnungsunternehmen.

In der sind die sozialen Vermieter Münchens zusammengeschlossen, städtische und kirchliche Gesellschaften etwa und viele Genossenschaften. Ihre Mitgliedsunternehmen berät und koordiniert die Genossenschaftliche Immobilienagentur Gima. An deren Spitze steht mit Christian Stupka einer der innovativsten Köpfe der Münchner Immobilienszene, zugleich Co-Chef der Wogeno.

Die Alten werden ihre Wartelisten abarbeiten

Er und Kosziol versuchen sich als Starthelfer, um die Scheu der Alten vor Neuem zu überwinden: Wer lange nicht gebaut hat, muss schwierige Fragen beantworten: Woher ein Grundstück nehmen? Wie an Fördergelder kommen? Wie planen und bauen? Und wie die eigenen, eigentlich zufriedenen Bewohner überzeugen? Genossen mit Bauerfahrung verraten Tipps und Tricks - so sieht Münchner Solidarität im Jahre 2014 aus.

Die 2500 neuen Wohnungen lösen zwar nicht die Mietmisere in München und öffnen die Tür zu einer geschlossenen Gesellschaft auch nur einen Spalt breit. Aber immerhin, die Alten werden ihre Wartelisten abarbeiten und neue Mitglieder aufnehmen. Die bringen neue Ideen mit und Dankbarkeit. "Neue Genossen", sagt Kosziol, "wissen das Wohnen in einer Genossenschaft manchmal mehr zu schätzen als die, die nichts anderes kennen."

Etwa die Hälfte dieser neuen Wohnungen werden wieder die jungen Genossenschaften bauen. Wer sich bei ihnen ein Schnäppchen erhofft, der täuscht sich. Zwar liegt der Mietpreis bei der Wogeno etwa zehn bis 15 Prozent unter dem Mietspiegel. Dafür muss man eine stattliche Einlage leisten, das sind für familiengerechte 100 Quadratmeter locker mal 50 000 Euro, bei Wagnis sogar in etwa das Doppelte.

Wohin mit den Millionen?

Unverzinst. So werden die neuen Häuser finanziert. Dennoch sieht sich die Wogeno seit Jahren einem Ansturm von Mitgliedern ausgesetzt, und die wollen ihr auch immer mehr Geld anvertrauen. Auf sogenannte freiwillige Einlagen gibt es Dividende, derzeit 3,2 Prozent.

Allein, die Wogeno weiß nicht, wohin mit den Millionen. So schnell kann sie gar nicht bauen. Also hat sie vor Jahren einen Annahmestopp verhängt, und für die drei aktuellen Neubauprojekte mit 230 Wohnungen brauchen sie von den 11 Millionen in der Pipeline gerade mal die Hälfte.

Um nicht in einigen Jahren ins Phlegma der Zufriedenheit zu verfallen, hat die Wogeno schon bei der Gründung festgelegt, dass jeder Mitglied werden kann, auch wenn er über Jahre keine Wohnung kriegt. Deshalb sind die nicht-wohnenden Genossen in der Mehrzahl. Und weil die meisten von ihnen bald rein wollen in ein Wogeno-Haus, haben Neubauprojekte bei Abstimmungen immer gute Karten.

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