Wohnen in München:Die Stadt, die uns lieb und teuer ist

Die Immobilienpreise sind hoch und krisenresistent, die Mieten steigen, der Wohnraum verdichtet sich - ein Blick in die Zukunft Münchens.

M. Ruhland

München wächst und wächst und wächst. Allein in den vergangenen zehn Jahren um 120000 Einwohner. Keine andere Großstadt in Deutschland zieht so viele junge und so viele gut ausgebildete Menschen an. Während sich im Osten ganze Landstriche regelrecht entvölkern, sagen Demographen der Landeshauptstadt auch für die nächsten 15 Jahre einen Boom voraus.

Längst haben sich die Münchner daran gewöhnt, dass ihre Stadt in Ranglisten ganz oben steht. Münchner leben am längsten, zeugen neuerdings sogar die meisten Kinder, werden wegen ihrer hohen Kaufkraft beneidet, und müssen sich, statistisch gesehen, am wenigsten Sorgen um ihre Sicherheit machen. Selbst der Rekordmeister FC Bayern schickt sich an, die hohen Erwartungen (wieder einmal) zu erfüllen. Alles Gipfelerlebnisse also?

Mit einem Superlativ dürften aber die meisten Münchner Probleme haben, und der ist direkte Folge des gewaltigen Sogs dieser Stadt: die deutschlandweit höchsten Mietpreise. Wer im vergangenen Jahr eine Altbauwohnung mit gutem Wohnwert (ruhige Lage, modern ausgestattet, aber nicht luxuriös) mieten wollte, musste durchschnittlich 13 Euro pro Quadratmeter hinblättern.

Wohlgemerkt als Nettokaltmiete für eine Dreizimmerwohnung, dazu kommen noch Nebenkosten. Zum Vergleich: Der bayerische Mittelwert lag 2009 bei 6,80 Euro. 13 Euro waren auch für Wohnungen in Neubauten zu berappen, Anlagen aus der Zeit nach 1949 kosteten mit 12 Euro pro Quadratmeter kaum weniger. Wie kommen die Münchner mit der Mietpreisspirale zurecht? Wer wohnt wie? Welche Stadtteile verändern ihre Struktur, weil Wohnungen teuer saniert werden?

Wie lebt es sich in einem Neubauviertel? Was tut die Stadt für den sozialen Wohnungsbau? Was können Genossenschaften leisten? Wie sieht das Innenleben von Eigentümergemeinschaften aus? Und warum kommt beim Bauen oft ein architektonischer Einheitsbrei heraus? Antworten gibt die Süddeutsche Zeitung in einer neuen Serie, die samstags, dienstags und freitags erscheint.

Die Schaltzentrale

Dass die Gesetze des Marktes den Preis diktieren, leuchtet ein: Viele wollen in München leben, das Angebot an Wohnraum ist begrenzt - also verteuern sich Boden- und Mietpreise ständig. Manchmal auch zu stark: Von 2000 bis 2002 kletterten die Mietpreise derart steil nach oben, dass sie mit der dann einsetzenden Wirtschaftskrise nicht mehr zu halten waren. Sie fielen wieder.

Doch kann die Stadt auch aktiv in den Markt eingreifen? Wer Antworten sucht, fährt am besten mit dem Paternoster in den 16. Stock des Hochhauses an der Blumenstraße 28. Das Arbeitszimmer von Stadtbaurätin Elisabeth Merk ist sehr geräumig, sehr weiß und sehr hell. Eine riesige Stehlampe aus Edelstahl wölbt sich in kühnem Schwung bedrohlich über ihren Schreibtisch. Es ist die Aufgabe der obersten Planerin Münchens zu verhindern, dass die Stadt vom enormen Bevölkerungszuwachs erdrückt wird.

Dabei geht es nicht nur darum, Wohnungen zu schaffen, sondern auch eine gesunde soziale Mischung zu garantieren. "Wir stellen gerade ein Programm zur langfristigen Siedlungsentwicklung auf", sagt Merk und weiß doch, dass es ihr wie in der Geschichte vom Hasen und Igel geht: So oft sich die Stadt mit neuen Wohngebieten und Förderprogrammen am Etappenziel wähnte, immer warteten da bereits noch mehr Leute, die bezahlbaren Wohnraum suchen.

Für 3500 Wohneinheiten will die Stadt jährlich Baurecht ausweisen, 7000 Wohnungen sollen insgesamt fertiggestellt werden - so lauten die selbst gesetzten Ziele. Im vergangenen Jahr erreichte sie gerade einmal 2280 respektive 4382. "Wir befinden uns auf einem aufsteigenden Ast", sagt die Stadtbaurätin und nennt die Funkkaserne (600 Wohnungen), den 4. Bauabschnitt Riem (880) sowie die Baierbrunner Straße (995) als aktuell große Projekte.

Das Planungsreferat geht davon aus, dass München bis 2025 um gut 80 000 Einwohner zunehmen wird. Durchschnittlich 1,9 Menschen leben in einem Haushalt, der Bedarf liegt also bei mehr als 40000 Wohnungen in den nächsten 15 Jahren. Gleichzeitig beanspruchen die Städter immer mehr Wohnraum, 1995 waren es 36,7 Quadratmeter pro Einwohner, inzwischen sind es fast 40 - der Trend zur Singlewohnung ist ungebrochen. Schon jetzt leben 54,2 Prozent der Münchner alleine (1980 waren es 41,7 Prozent).

Dieser größere Raumbedarf macht hochgerechnet noch mal gut 50000 Wohnungen aus, die bis 2025 gebraucht werden. Die Stadtbaurätin weiß, dass spätestens 2020 die Flächenreserven zur Neige gehen werden. Das Zauberwort heißt deshalb Nachverdichtung. Also enger, höher. Bekommt München eine neue Skyline? Merk winkt ab. "München wird keine Hochhausstadt."

Die Marktforschung

Für Stephan Kippes ist der Münchner Wohnungsmarkt ein spannendes Phänomen. Als Chef des Instituts des Immobilienverbands IVD blickt er seit Jahren auf die Preise. Sein Fazit: "Wer hier etwas kauft, kann nichts verkehrt machen." Soll heißen: Münchens Wohnimmobilienmarkt ist krisenresistent.

In regelmäßigen Abständen gibt der IVD Marktberichte heraus, der Tenor ist seit Jahren immer gleich: München bleibt teuerste Metropole in Deutschland, egal, ob es um Mietwohnungen, Reihenmittelhäuser oder Doppelhaushälften geht. Und weil München die hohe Nachfrage nach Wohnraum nicht befriedigen kann, wächst das Umland überproportional.

Für Münchens Mieter hält Kippes wenig erfreuliche Aussichten parat: Durch die Wirtschaftskrise warteten zum Beispiel junge Leute damit, von zuhause auszuziehen; Familien schöben den Umzug in die größere Wohnung hinaus. "Nachfrage-Rückstau" nennt Kippes das. Sobald die Wirtschaft wieder floriere, werde sich die Preisspirale erneut drehen. "München hat einfach ein zu geringes Wohnungsangebot."

Er sieht den Staat in der Pflicht. Der Wegfall der degressiven Abschreibung und der Eigenheimzulage habe Investoren die Lust am Bauen genommen. "Es fehlen Wohnungsbauprogramme." Und noch ein Trend dürfte gerade dem Sozialreferat nicht gefallen: Billige Wohnungen ohne Zentralheizung und mit Etagenklos verschwinden vom Markt. Sie werden saniert, wirklich günstige Mieten sind passé.

Trost bietet höchstens der Blick ins europäische Ausland. In London kostet in einem In-Viertel wie Kensington eine Dreizimmer-Wohnung schon mal 800 Euro - pro Woche. Kippes' Erklärung klingt plausibel. Ganz England ist auf London ausgerichtet, "da ist der Druck im Kessel noch viel größer".

Die soziale Frage

Der Druck, da sind sich Marktforscher und Lobbyisten einig, wird in München steigen. "Die weitere Öffnung der Einkommensschere könnte zu einer verstärkten Polarisierung und zu einer Verschärfung des sozialen Gefälles führen." Was sich liest wie eine Expertise des Departments für Geographie an der TU, stand so vor wenigen Monaten in einer Sitzungsvorlage des Planungsreferats.

Man kann den Akteuren also nicht vorwerfen, sie seien sich des spezifisch münchnerischen Problems nicht bewusst. Tatsächlich investiert die Stadt über das Programm Wohnen in München IV jährlich 125 Millionen Euro in den öffentlich geförderten Wohnungsbau. 1800 Wohnungen entstehen auf diesem Wege im Jahr.

Ein dickes Lob hierfür kommt vom Verband der Wohnungswirtschaft VdW, in dem bayernweit 470 sozial orientierte Wohnungsunternehmer organisiert sind. "Ich kenne keine Stadt in Deutschland, die mit eigenen Wohnbaugesellschaften so viel macht wie München", lobt Xaver Kroner, geschäftsführender Vorstand des VdW. Zwar fallen viele Sozialwohnungen derzeit aus ihrer befristeten Preisbindung.

Die Versorgung reiche aber aus. "Besorgniserregend ist die Gruppe derer, die knapp über den Einkommensgrenzen für Sozialwohnungen liegen." Im Bereich zwischen fünf und zehn Euro sei auf dem Münchner Mietmarkt so gut wie nichts zu haben. Und diese klaffende Lücke berge auf Dauer sozialen Sprengstoff, prophezeit Kroner.

Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte der genossenschaftliche Wohnungsbau sein. Immerhin 40 000 der rund 750 000 Münchner Wohnungen gehören insgesamt vierzig Genossenschaften. Seit Beginn der neunziger Jahre lebt der alte Genossenschaftsgedanke wieder neu auf. "Es ist die ideale Form für soziale und gemeinschaftsorientierte Projekte", sagt Christian Stupka, Vorstand der Wogeno. Genossenschaftliches Wohnen ist eine Zwischenform zwischen Miete und Eigentum.

Ein Mitglied zahlt eine Einlage, die Wohnung bleibt aber Eigentum der Genossenschaft. "Der Mieter hat ein lebenslanges Nutzungsrecht", erklärt Stupka. Entscheidender Vorteil: Die Miete ist vom Markt entkoppelt, bleibt also stabil. Spekulieren ist tabu. Rund neun Euro netto kostet der Quadratmeter in einer Wohnung. Kein Wunder, dass der Zulauf groß ist. 1300 Mitglieder zählt die Wogeno zurzeit, 400 sind mit Wohnraum versorgt.

Die Wartelisten sind also lang. "Unser Dilemma ist, dass die Stadt in den letzten beiden Jahren kaum Baurecht geschaffen hat", klagt Stupka. Dabei müsste München eigentlich ein großes Interesse am genossenschaftlichen Wohnen haben. Wer preiswert und in einer Gemeinschaft wohnt, braucht weder Wohngeld noch sonstige staatliche Hilfen. Stupka nennt das "soziale Rendite".

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