Süddeutsche Zeitung

Wohnen:Der Hausmeister, bei dem man immer klingeln kann

Wer etwas braucht, kommt zu Ewald Bojen. Er hält seit 40 Jahren in einem Münchner Mietshaus nicht nur alles am Laufen, sondern auch die Hausgemeinschaft am Leben.

Von Inga Rahmsdorf

Seinen ärgsten Feind hat er kürzlich erst besiegt. Obwohl der linke Fuß schmerzt und Ewald Bojen nicht mehr der Jüngste ist mit seinen 73 Jahren. Wenn er von seinem Triumph über die Tauben erzählt, kneift er das linke Auge zusammen, schmunzelt und zieht an seiner Zigarette. Jahrelang haben sie sein Haus verdreckt, hartnäckig von den Balkonen und Fensterbänken gekackt, immer auf den Bürgersteig vor dem Haus. Als wollten sie ihn ärgern. Hatte er die dicken Flecken weggeschrubbt, sah es am nächsten Tag wieder genauso aus. Jetzt aber hat er ihnen ein Schnippchen geschlagen. Jaja, sagt Ewald Bojen zufrieden.

Er hat eine Firma beauftragt, sie haben ein großes Netz entrollt und es vom Dachgeschoss hinunter bis zum ersten Stock an der Wand befestigt. Seitdem fliegen die Tauben am Haus vorbei und Bojen hat seine Ruhe. Die Mieter fühlen sich auf ihren Balkonen zwar, als lebten sie hinter dem Netz eines Fußballtors. Aber was tut man nicht alles gegen den Dreck. Und der ist schließlich immer mehr geworden, so im Vergleich zu früher. Jaja, so ist das, sagt Bojen und blickt stolz auf den nun sauberen Bürgersteig vor dem Haus. Dann ruft er Charly, seinen treuen Gefährten, einen schwarzen Schnauzermix, und zusammen steigen sie gemächlich das Treppenhaus hinauf.

Ewald Bojen ist Hausmeister. Aber nicht einer, der von montags bis freitags, acht bis 16 Uhr arbeitet. Sondern immer. Durch und durch. Seit fast 40 Jahren im gleichen Münchner Mietshaus in der Nähe vom Harras. An seiner Wohnungstür im vierten Stock glänzt ein Messingschild, auf dem steht: Hausmeister. Schließzeiten stehen dort keine. Bei Bojen kann man immer klingeln. Wenn die Waschmaschine übergelaufen, der Schlüssel verloren, die Toilette verstopft ist, wenn die Heizung nicht funktioniert oder der Briefkasten während des Urlaubs geleert werden muss, dann kommen sie alle hinauf in den vierten Stock, die jungen Paare, die Familien mit Kindern und die Studenten aus den Wohngemeinschaften, und klingeln bei Ewald, wie ihn alle im Haus hier nennen.

Hat er sich dann erst einmal durch die Last des Lebens, durch Widrigkeiten wie schludrige Handwerker, dreckige Fußböden und falsch geparkte Fahrräder hindurchgegrantelt, findet Bojen für alles eine Lösung. Er hat die nötigen Werkzeuge im Keller, ein beachtliches Ersatzteillager in seiner Wohnung und auf dem Speicher Schrauben und Nägel in allen Größen. Selbst wenn das rote Nähgarn fehlt, findet er noch irgendwo welches von seiner Frau. Und die Schlüssel von den Wohnungen, die hat er sowieso alle. Kommt Bojen mit seinem fast grenzenlosen Repertoire an Werkzeugen, Erfahrungen und Ratschlägen trotzdem einmal nicht weiter, dann ruft er eben den Hummel, den Meyer oder einen anderen Spezl an, jaja, ganz zuverlässige Firmen. Und noch ehe der Mieter wieder in seine Wohnung zurückgekehrt ist, steht schon der Handwerker vor der Tür.

In vielen Mietshäusern ist die Arbeit des Hausmeisters längst ausgelagert. Übergeben an irgendwelche Firmen, von denen der Mieter beim Einzug ein Schreiben erhält. Darin steht eine Telefonnummer, unter der man, wenn man Glück hat, zu Bürozeiten jemanden erreicht. Das geplatzte Wasserrohr oder die defekte Balkontür wird telefonisch aufgenommen, drei Tage später kündigt sich ein Handwerker an, zwischen sieben und 17 Uhr, genauere Eingrenzung nicht möglich. Der schaut sich alles erst einmal in Ruhe an und verabschiedet sich dann, weil ohne Rücksprache mit der Verwaltung sowieso nichts geht.

Im Mietshaus mit der Hausnummer eins in Sendling-Westpark läuft alles anders. Meist müssen die Mieter noch nicht einmal hinauf in den vierten Stock, um ihren Hausmeister zu treffen. Wahrscheinlicher ist es, dass sie ihn unten auf dem Bürgersteig vor dem Haus antreffen, dort sitzt er auf seinem Rollator, hat alles im Blick, raucht die eine oder andere Zigarette, grummelt nach rechts, grüßt nach links, unterhält sich mit der Dame aus dem Nachbarhaus, hat noch wichtige Neuigkeiten für den Mieter aus dem dritten Stock, und wartet darauf, dass Charly von seinem Spaziergang um den Häuserblock zurückkehrt.

Nichts entgeht Bojen. Kein Paketbote kann unkommentiert ein Päckchen abgeben, kein Besuch betritt ungesehen das Haus, kein Bewohner kommt ungegrüßt davon. Und wehe dem, der seinen Müll auf den Bürgersteig schmeißt. Nicht einmal die Einbrecher wollen sich mit Ewald Bojen anlegen. Nur in den Heizungskeller sei in all den Jahrzehnten einmal eingebrochen worden, erinnert er sich.

Das Wohnhaus mit der Nummer eins ist irgendwann um 1900 gebaut worden. Entscheidend ist, dass Ewald Bojen dort immer schon gelebt hat, zumindest gefühlt für alle Mieter. Niemand wohnt länger dort als er, niemand kennt sich so gut aus wie er in allen Wohnungen, im Keller, im Hof, mit all den Umbauten und Sanierungen. Ewald Bojen weiß, wo noch die Überreste der Fliegerbombe von 1944 auf dem Speicher liegen und wann in der Küche im Hochparterre die Holzdielen aufquollen, weil die Wasserleitungen verstopft waren. Er weiß auch, welcher Mieter zu viel Dreck, aber nicht genug Essig in seinen Abfluss gekippt hat, welche Wohnung mit einem Fluch belegt ist, und wie die jugendlichen Bewohner, die nun wilde Partys feiern, aussahen, als sie noch Windeln trugen.

Ewald Bojen ist 1981 seiner Frau Edith, die vier Jahre zuvor als Hausmeisterin dort eingezogen war, in das Haus gefolgt. Sie bauten die Wohnung im vierten Stock aus, zuvor hatte sie als Trockenraum gedient. Beide waren sie im Vertrieb von Zeitungen beschäftigt. 30 Jahre lang hat Bojen nur Nachtschichten geschoben. "Die Hausmeisterei, das haben wir noch nebenbei gemacht", sagt er. Und seine Frau hat neben der eigenen Tochter auch noch die anderen Kinder im Haus mit großgezogen, hat sie durch die Straßen geschoben und zur Kita gebracht.

Mit der Eigentümerin waren er und seine Frau eng befreundet. Als sie starb, erbten ihre Kinder das Haus, die bis heute zu jenen besonderen Vermietern in München gehören, die die Mieten nicht ins Maximale hochtreiben und einen zuverlässigen Hausmeister nicht rausgentrifizieren, nur weil sie seine Wohnung mit mehr Gewinn vermieten könnten.

Das Schönste im Leben eines Hausmeisters? "Ordnung und Sicherheit", sagt Bojen, kneift sein linkes Auge zusammen. "Und die Hausgemeinschaft." Der Zusammenhalt sei zwar nicht mehr so wie früher, jaja, als noch viel öfter Kellerpartys und Hoffeste gefeiert wurden. Aber herzlich geht es immer noch zu im Haus Nummer eins. Die eine Nachbarin backt Kuchen für Bojen, die anderen gehen mit seinem Hund spazieren, kochen für ihn oder kaufen ein. Und von seiner Frau, die vor acht Jahren starb, schwärmen die langjährigen Mieter noch immer. Nur in einer Sache, da konnte sie richtig wütend werden: Wenn sich jemand über Kinder beschwerte. Diese Einstellung hat Ewald Bojen von ihr übernommen und bis heute beibehalten.

Kürzlich empörte sich ein junger Mieter beim Hausmeister über die Kinder, die morgens wie eine Elefantenherde durchs Treppenhaus trampeln und ihn dabei, je nach Laune, Lieder schmetternd oder brüllend aus seinem Schlaf reißen. Ewald Bojen hörte sich die Beschwerde des 40 Jahre jüngeren Mieters an und beendete das ganze Thema dann entschieden mit dem Hinweis: "Wir sind doch kein Altersheim!"

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SZ vom 31.03.2018/bica/amm
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