Wochen gegen Rassismus:"Wir sind die Mehrheit"

Gegen Diskriminierung, für Toleranz: Aktionswochen in München eröffnet. Bundesweit sind mehr als 1750 Veranstaltungen geplant

Von Martin Bernstein

"Das wird man doch noch sagen dürfen", heißt es oft. "Nein", sagt Dieter Reiter. Genau so fange es oft an - und genau darauf müsse man aufpassen. Der Münchner Oberbürgermeister betont am Montag im Rathaus, er sei froh, Teil einer Stadtgesellschaft zu sein, die aufpasst. Die aufsteht gegen "Stimmungsmache, Geschichtsklitterung und antisemitische Verschwörungstheorien". Und die im Herbst 2015 am Münchner Hauptbahnhof das Bild von der deutschen Willkommenskultur entscheidend mitgeprägt habe. Auch für ihn seien diese Wochen "unglaublich prägend" gewesen, sagt Reiter. Auf die tolerante Münchner Stadtgesellschaft dürfe man stolz sein. Zumal Reiter sich sicher ist, "dass wir in München immer die Mehrheit sein werden".

Eine demokratische Mehrheit, die Flagge zeigt gegen Versuche der Ausgrenzung. Alles gut also? Nein, sagt Reiter - deswegen sind aus seiner Sicht die am Montag in München eröffneten bundesweiten Wochen gegen Rassismus so wichtig. Denn neben der toleranten, weltoffenen Mehrheit gebe es auch den europaweiten Aufstieg der Rechtsextremen und der Rechtspopulisten, Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Auch im Alltag, auch in München. "Wir als Demokraten", sagt Reiter, "müssen uns dagegenstellen."

An Reiters Seite sitzt Muhterem Aras, die baden-württembergische Landtagspräsidentin. 1978 ist sie nach Deutschland gekommen, mit zwölf Jahren. Anfang der Neunzigerjahre hat sie die Anschläge und Übergriffe auf Migranten erlebt. Und war schockiert. "Ich habe mir damals gesagt: Das ist auch mein Land", betont die 53-Jährige. "Das lasse ich mir von Rassisten nicht kaputtmachen." Auch sie sagt: "Wir sind die Mehrheit." Deutschland sei liberal und weltoffen. "Vielfalt ist die Stärke dieses Landes", davon ist sie überzeugt. Deshalb geht es für sie beim Engagement gegen Rassismus nicht allein um den Schutz von Minderheiten. "Rassismus untergräbt die Werte unserer Verfassung, auf die wir uns verständigt haben." Den "Markenkern unserer Demokratie" gelte es zu verteidigen.

Dass die Verteidigung demokratischer Werte eine internationale Aufgabe ist, betont die Schriftstellerin Jagoda Marinić, 41. "Denkanstöße für ein solidarisches Europa" sollen die Wochen gegen Rassismus geben, die Marinić am Montag in München miteröffnet. "Europa wählt Menschenwürde", lautet das Motto mit Blick auf die Wahlen im Mai. "Rassismus und Nationalismus gehören nicht ins europäische Parlament", fordert daher der Theologe Jürgen Micksch, 78, Marinićs Vorstandskollege in der Stiftung gegen Rassismus.

Dass dies nur ein Wunsch bleiben wird, weiß Micksch. Deshalb müsse die Zivilgesellschaft aufstehen und eine antirassistische Atmosphäre schaffen. Die Wochen gegen Rassismus sollen ein Beitrag sein: mit deutschlandweit mehr als 1750 Veranstaltungen (von denen mehr als 120 in den kommenden drei Wochen in München stattfinden), mit mehr als 1000 Freitagsgebeten in Moscheen, in denen das Anliegen thematisiert werden soll, mit Synagogen, die von Muslimen besucht werden, und Moscheegemeinden, in denen Menschen jüdischen Glaubens sprechen. Micksch sieht darin eine breite Bewegung gegen Rassismus und Nationalismus. Eine, die dringend nötig ist, denn: "Die Würde des Menschen ist mit Hass und Gewalt nicht zu vereinbaren."

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