Wissenschaftliche Edition von Hitlers Buch:Der Mann, der mit "Mein Kampf" kämpft

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Der propagandistische Untext soll entmystifiziert werden, deswegen arbeitet Historiker Christian Hartmann an einer wissenschaftlichen Edition von Hitlers "Mein Kampf". Das Projekt ist prestigeträchtig. Doch Hartmann hat seine Probleme damit: "Je tiefer man hineinsteigt, umso tiefer sind die Abgründe."

Katja Riedel

Wissenschaftliche Edition von Hitlers Buch: Er war wissenschaftlicher Berater für das Epos "Der Untergang", nun seziert er "Mein Kampf": Historiker Christian Hartmann.

Er war wissenschaftlicher Berater für das Epos "Der Untergang", nun seziert er "Mein Kampf": Historiker Christian Hartmann.

(Foto: Catherina Hess)

Es gibt Tage, an denen würde Christian Hartmann sich gern mit etwas Lyrik zurückziehen. Oder mit Thomas Mann, vielleicht auch mit dem Soziologen Max Weber, mit irgendjemandes Werk, das ihn ganz persönlich in seiner Weltsicht weiterbringt. Wünsche wie diese mag man Hartmann leicht nachsehen. Denn sein Tagwerk ist es derzeit, in den Kopf und die Gedankenwelt eines der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte einzutauchen.

Christian Hartmann, 53, ist Historiker. Am Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) leitet er ein besonderes Projekt, das ihn international zum gefragten Interviewpartner macht. Warum, erklärt schon der Titel: "Hitler. Mein Kampf - Eine Edition." Bis heute hat der Freistaat Bayern, der die Rechte an Hitlers Kampfschrift besitzt, jegliche Publikation des Werks unterbunden, zuletzt im Januar, als er bei Gericht erwirkte, dass der britische Verleger Peter McGee "Mein Kampf" nicht wie geplant an die Kioske bringen durfte.

Denn Bayern wollte die Menschheit nicht nur vor bösartigem und gefährlichem Gedankengut schützen. Mit Hitler und dessen menschenverachtender Ideologie, so die Linie des Freistaats, soll zudem niemand Geschäfte machen dürfen - auch wenn "Mein Kampf" im Internet sowie manchem Land ein Bestseller ist: als Raubdruck.

Freistaat im Dilemma

Doch der Freistaat kann diesen restriktiven Kurs nicht weiter einhalten, er steckt in einem Dilemma, und aus dem sollen ihm Hartmann und sein Team heraushelfen. Denn 70 Jahre nach dem Tod des Diktators, Ende 2015, erlischt das Urheberrecht, das die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg an Bayern übertragen hatten. Und "Mein Kampf", die autobiografische Schrift, die Hitler nach seinem gescheiterten Putschversuch 1924 in Festungshaft in Landsberg am Lech verfasste, wird frei, für jedermann druckbar. Damit Rassismus und völkisches Gedankengut nicht ungebremst und unkommentiert auf die Leser treffen, hat das Finanzministerium eine halbe Million Euro in die Hand genommen und das IfZ mit einer wissenschaftlichen Edition des Originaltextes beauftragt "Man wird sich an den Anblick gewöhnen müssen, dass Adolf Hitler in Deutschland neben Harry Potter liegt, auf einem Stapel", sagt Hartmann.

Hartmann und vier weitere Historiker arbeiten daran. Sie sezieren Hitlers Gedankengut und versuchen, den Text damit zu entmystifizieren. Sie nehmen "Mein Kampf" auseinander: Sie zeigen Hitlers Quellen, prüfen den Wahrheitsgehalt und erklären heute kaum verständliche historische Zeitbezüge und deren Folgen - "Kontextualisieren" heißt diese Technik des Historikers, die der Leser in einem großen Anmerkungsapparat unter dem Originaltext und vielen Fußnoten erkennen wird.

Hartmann und Kollegen ziehen dabei auch Experten anderer Disziplinen hinzu: einen Humangenetiker, einen Germanisten, eine Kunsthistorikerin. So wollen sie Hitler "durchsichtig" machen, sagt Hartmann. Und Hitlers krude Weltsicht, das Demagogische auf diese Weise entschärfen. "Wir wollen den Zünder ausbauen, wie bei einer alten Granate", formuliert er griffig. Aus professioneller Sicht sei das spannend - "aber, ehrlich gesagt: die Lektüre ist schrecklich. Es ist, um es mal hart zu sagen, schon ein ziemlicher Dreck", sagt Hartmann.

Es sei gut und wichtig, dass das Projekt angegangen werde, schließlich handele es sich um eines der zentralen Dokumente der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. "Aber je tiefer man in eine Person hineinsteigt, umso tiefer sind dann auch die Abgründe." Gerissen hat er sich darum nicht, das Editionsprojekt zu leiten - auch, wenn dies unbestreitbar eine kleine Ehre für einen Historiker ist.

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