Wissenschaftlich betrachtet:Frau Doktor Polt

Wissenschaftlich betrachtet: "Ich mag ihn halt menschlich und persönlich wahnsinnig gerne", sagt Claudia Pichler über Gerhard Polt.

"Ich mag ihn halt menschlich und persönlich wahnsinnig gerne", sagt Claudia Pichler über Gerhard Polt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Claudia Pichler hat über den bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt promoviert. Die Herausforderung: Wie kann man diesen Humor wissenschaftlich bearbeiten?

Von Karl Forster

Bei der Frage nach dem Humor wird Claudia Pichler sehr ernst. "Ja", meint sie nach ein paar Takten Nachdenkens, "ja, das war schon eine Herausforderung. Wie man den Humor - gerade diesen Humor - wissenschaftlich bearbeitet." Es soll nicht der einzige Ausflug ins Ernsthafte bleiben bei diesem sonst recht fröhlichen Gespräch mit der frisch promovierten Frau Doktor Claudia Pichler. Sie hat sich für ihre Dissertation ein Thema vorgenommen, das auf den ersten Blick und für wissenschaftliche Laien eigentlich als "gmahde Wiesn" durchgehen müsste. Bei näherer Betrachtung aber sind in dieser Wiese viele Maulwurfshügel versteckt, in denen sich die Sense der Wissenschaft verfangen kann. "Fremdheit bei Gerhard Polt" heißt diese Arbeit. Sie misst alles in allem 357 Seiten und ist nun im Eigenverlag erschienen. Den Titel ziert, selbstverständlich, ein Polt-Portrait von einem Auftritt aus früheren Zeiten in Aichach. Es stammt aus dem Archiv von Michael Well. Am meisten fallen da seine oberen Schneidezähne auf. Polt lacht.

Vielleicht lacht er über die Hinterfotzigkeit seines Statements, welches Claudia Pichler ihrer Arbeit vorangesetzt hat: "Wer ist wir? - Ich nicht!" Schon daran sieht man, dass eine intensivere Beschäftigung mit dem Mann, der, 1942 in München geboren, später Politik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Altgermanisch nicht nur in München, sondern auch in Göteborg studiert und dann eher zufällig sein Talent entdeckt hat, Menschen zum Lachen zu bringen, dass also eine Beschäftigung mit Gerhard Polt nicht ganz so einfach ist, wie man meinen möchte. Warum nun ausgerechnet Claudia Pichler sich des Phänomens Polt angenommen hat, liegt ein wenig in ihrem Wesen begründet, ein wenig auch an ihrem Lebenslauf und ein bisschen mehr noch an dem Zufall, dass sie im Laufe von Ausbildung und Studium auf Michael Well und dessen Umgebung gestoßen ist. Zu der gehört bekanntermaßen ja auch Gerhard Polt.

Vor allem aber liegt es daran, dass Claudia Pichler ein ähnlich schönes Bairisch spricht wie Polt, obwohl sie einer Generation von Münchnern angehört, die diesen Dialekt eigentlich geschliffen hat. Sprich: abgeschafft. Doch Claudia Pichler - geboren und aufgewachsen in Aubing, als dort, im Westen der großen Stadt, noch Wald ums Dorf stand - hat sich ihre eigene Art von Zweisprachigkeit bewahrt: Wenn es geht, dann Bairisch (und es geht oft), wenn es sein muss, Hochdeutsch, und zwar akzentfrei (in der Schule, an der Uni). Und als sie, schon immer interessiert an Büchern und wie man solche macht, ein Volontariat beim Schweizer "Kein & Aber"-Verlag absolvierte, fiel ihr der Polt sozusagen in den Schoß: In diesem kleinen, feinen Zürcher Verlag veröffentlicht Polt schon seit jeher seine Skripten. Claudia Pichler startete dort, als man daran ging, dessen "Opus Magnum" fertig zu stellen, also ein zehnbändiges Best-of (neun CDs) herauszubringen. Da war die neue Volontärin aus Bayern plötzlich mittendrin im Poltschen Kosmos von Mai Ling über Leberkäs Hawaii bis Ekzem Homo, weil sie die Sprache des Autors weit besser spricht, als jeder Schweizer.

Man könnte sagen, Claudia Pichler, Jahrgang 1985, sei damals so angefixt worden von Humor und Hintersinn im Allgemeinen und von Polts Version im Besonderen. Jedenfalls beschloss sie, ihr Studium der Neueren Deutschen Literatur, der Psychologie und der Politik mit einer Magisterarbeit über "Tschurangrati" zu beenden. Sie nennt sich nun stolz: Poltologin.

Und sie fand über diese Arbeit zu Gerhard Polt höchstpersönlich. Es ging ihr damals auch darum, dass diese Geschichten aus einer Bayerischen Botschaft mitten in Afrika, wie Polt und die damalige Biermösl-Blosn sie in den Kammerspielen erzählten, so lustig waren, dass sich auch jedwede CSU-Politprominenz auf die Schenkel klopfte, obwohl ihresgleichen auf der Bühne gerade dramatisch bearbeitet wurde - zum Gaudium aller Besucher. Claudia Pichler also schrieb an Polt und bat um ein Treffen wegen eben ihrer Magisterarbeit. Dieser antwortete, er weile gerade an seinem Zweitwohnsitz in Terracina, Italien, komme aber in drei Monaten zurück an den Schliersee, wo man sich dann gerne an dem und dem Tag zu der und der Uhrzeit treffen könne. So fuhr Claudia Pichler zum angesagten Termin hinaus an den See zum Poltschen Anwesen, wo sich allerdings der Hausherr an keinen Termin mehr erinnern konnte; aber der angehenden Frau Magister dann doch gerne drei Stunden Rede und Antwort stand. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Um zu verstehen, warum Gerhard Polt, sonst ein hartleibiger Verweigerer, was Privates angeht, hier eine Ausnahme machte, lohnt ein Blick auf die Autorin. Da wäre zunächst dieses alle und jeden ansteckende Lachen. Es ist, als sei Claudia Pichler als Kind, ähnlich Obelix, in einen Topf gefallen, in dem die Kräuter für Freundlichkeit und Fröhlichkeit vor sich hin schmurgelten; jedenfalls hat sie davon eine Überdosis abbekommen. Doch steckt hinter solcher Fröhlichkeit auch ein sehr ernsthafter Mensch, der beharrlich bleibt, auch wenn es für ihn unbequem zu werden droht.

Man sieht das, wenn plötzlich im Gespräch die Frage auftaucht, ob man denn für so eine Dissertation nicht allzu nahe an dem Protagonisten dran sei. Da schauen die blauen Augen hinter der (dezent nerdigen) Brille intensiv auf den Cappuccino, die Hände mit den rot lackierten, gar nicht langen Fingernägeln halten die Tasse etwas fester. Und Claudia Pichler sagt dann, ja, das sei schon etwas schwierig gewesen. Das müsse sie nun ganz klar sagen. "Ich mag ihn halt menschlich und persönlich wahnsinnig gerne. Ich kenne auch seine Eigenheiten, seine Schwächen. Aber ich habe versucht, die Bühnenfigur von allem Privaten loszulösen. Das konnte ich dann schon trennen. Ich habe sozusagen den Bühnen-Polt untersucht." Dass der privatim oft gar nicht so viel anders zu sein scheint, liegt Claudia Pichlers Meinung nach auch daran, dass sich Gerhard Polt im Laufe der Jahre und des Erfolgs für den Umgang abseits der Bühne ein paar Sprüche und Eigenheiten zurecht gelegt hat, die er zeigen kann, ohne sein Innerstes zu öffnen. Das ist auch eine Rolle.

Was nun die "Fremdheit bei Gerhard Polt" angeht, also den Kern der Promotionsarbeit, so versteht man das Thema besser, wenn man sich das Poltsche Universum genauer anschaut. Denn sehr oft ist es ja so, dass der Bühnenpolt in die Rolle eines, sagen wir mal, bayerischen Menschen (Politikers, Ehemanns, Unternehmers, Touristen undsoweiter) schlüpft, der sich dann über seine Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Fremden als solchem auslässt. Das funktionierte schon prächtig bei "Mai Ling", wo dieser Herr Grundwürmer anno 1979 sich über die Asiatin aus dem Katalog für 2785 Mark ab Bangkok Airport auslässt. Und es funktioniert fast ein halbes Jahrhundert später bei "Ekzem Homo" in den Kammerspielen noch immer, wenn Polt über die Grattler und Griller in seiner Nachbarschaft herzieht. Die Literaturwissenschaftlerin Pichler sagt dazu: "Ich halte Polt nicht für einen Kabarettisten. Er bearbeitet ja nichts Tagespolitisches, er ist sozusagen im sozialen Gefüge tätig." Was der Polt denn dann sei? "Er ist der Polt, da habe ich keine andere Antwort." Außer der, dass Polt für sie eher nahe an Karl Valentin sei. Nur dass der seinen Humor über die Sprachlogik ins Absurde getrieben habe, wogegen Polt sich der Sprache seiner Protagonisten bediene und diese mit ihren eigenen Worten bloßstelle als Spießer oder Fremdenfeinde mit einer nur vage versteckt bösartigen Mia-san-mia-Doktrin.

Auf der letzten Seite des Buches mit exakt 1010 Fußnoten bedankt sich Claudia Pichler auch bei ihrem Doktorvater Sven Hanuschek, der, wie der Name schon vermuten lässt, im Poltschen und Pichlerschen Idiom nicht allzu sehr zu Hause sein dürfte. Er stammt aus Essen und hat über Heinar Kipphardt promoviert, einen Schriftsteller aus Schlesien, der allerdings in München verstarb. Claudia Pichlers Dissertation aber verfolgte der Professor Hanuschek wohl mit dem Vergnügen eines Nichtbayern, der diese bayerisch-böse Humorigkeit endlich in der Wissenschaft wiederfindet. Jedenfalls gab es für die schriftliche Arbeit ein "magna" und für die mündliche Verteidigung ein "summa cum laude", was beweist, dass ein Studium der Geisteswissenschaft bei aller harten Arbeit auch einem selbst und anderen Freude bereiten kann.

Und mit dem man nach dem Studium sogar einen Job findet - und eine Berufung. Claudia Pichler arbeitet heute bei einem jener Restbestände der einstigen Biermösl Blosn, die unter dem Signum des Familiennamens Well weiter Bühnenarbeit betreibt. Sie organisiert Bookings, sie ordnet das Archiv von Michael Well. Und sie vollendet mit diesem und der Passauerin Anni Preuß ("wia da Preiß!") als dritter Hax das Trio "Drei Haxn", quasi eine weitere Weiterführung Wellscher musikalischer Humorverarbeitung.

Und da ist dann wieder einer jener Momente, in denen Claudia Pichler aufhört zu lächeln. Befragt, ob und wie Gerhard Polt auf die Trennung der drei Brüder damals reagiert habe, sagt sie, dieses Thema habe in ihrer Arbeit keinen Niederschlag gefunden. Natürlich habe Polt, quasi über Jahrzehnte hin der Vierte im Bunde, die Spannungen wachsen sehen. Die Überraschung war also "nicht ganz so groß". Und Polt habe danach jedem Biermösl-Menschen auch angeboten, mit ihm weiter zu arbeiten. "Da war er sehr, sehr loyal."

Auch Gerhard Polt hat Claudia Pichler für ihre Dissertation eine Art "summa cum laude" ausgestellt. In einem PS nach seinem Vorwort dort schreibt er: "Dass Dir die Perspektiven vertraut sind, unter denen Komik entsteht, habe ich in Deiner Arbeit gut erkennen können ... Mit allem Respekt sage ich: Gratuliere! Das ist seriös!"

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