Wissenschaft:"Ich wollte die Ursprünge des Universums erkunden"

Wissenschaft: Physikerin Lena Funcke sucht am Perimeter Institute in Kanada nach einem Weg, ihr Modell experimentell zu bestätigen.

Physikerin Lena Funcke sucht am Perimeter Institute in Kanada nach einem Weg, ihr Modell experimentell zu bestätigen.

(Foto: Gabriela Secara/oh)

Abitur mit 17, Promotion mit 23: Trotzdem sagt Physikerin Lena Funcke, dass sie bislang im Leben nichts verpasst hat. Ihre Forschung wird kontrovers diskutiert.

Interview von Julia Bergmann

Abitur mit 17, parallel dazu ein Studium und Promotion mit 23. Lena Funcke hat nicht nur ihre Ausbildung in Rekordzeit absolviert, sondern auch ein völlig neues Modell in der Teilchenphysik entwickelt. Mit weitreichenden Folgen: Wenn es sich bestätigt, könnte das das bisherige Verständnis von der späten Entwicklung des Universums gravierend verändern. Lena Funke hat ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Physik abgeschlossen und dafür den Dieter-Rampacher-Preis der Max-Planck-Gesellschaft erhalten. Funckes Arbeit wurde außerdem von der Ludwig-Maximilian-Universität München mit "summa cum laude" bewertet.

SZ: Lassen Sie uns zehn Jahre zurückreisen. Wie sieht Ihr Kinderzimmer aus?

Lena Funcke: Oh (lacht). Relativ normal, würde ich sagen.

Das heißt, es gibt statt Popstars keine Nobelpreisträger an den Wänden?

Nein. Eigentlich hatte ich immer davon geträumt, Autorin zu werden. Aber ich hatte auch immer eine Leidenschaft für Mathematik und Philosophie. Ich wollte die Ursprünge des Universums erkunden und wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Also hatte ich sehr viele Bücher im Zimmer. Und weil mich die Schönheit der Natur begeistert hat, hingen viele Naturfotos von Familienreisen dort.

Also keine Boy-Band?

Nein, die gab es nicht, aber auch keine Nobelpreisträger. Ich kannte, glaube ich, damals auch gar keinen.

Aber Naturwissenschaften haben Sie schon sehr früh interessiert?

Ja. Mit 13 musste man bei uns an der Schule ein Betriebspraktikum machen. Ich habe mich für eines an einem Planetologie-Institut entschieden. Während des Praktikums war ich fasziniert davon, dass Gleichgesinnte aus aller Welt zusammenkommen und versuchen, zusammen das Universum zu entschlüsseln. Das war der Punkt, an dem ich beschlossen habe: Ich möchte Wissenschaftlerin sein.

Und Ihre Freunde und Klassenkameraden? Konnten die etwas mit Ihrer Physik-Begeisterung anfangen?

Es gab bei uns an der Schule sogar einige, die an Physik-Wettbewerben teilgenommen haben. Und es gab einen Amateur-Astronomie-Verein. Aber einen größeren Kreis Gleichgesinnter habe ich erst an der Uni in München gefunden.

Ausgrenzung war also kein Thema?

Nein. Es gab gerade in meiner Klasse Mitschüler mit sehr unterschiedlichen Interessen. Es wurde sehr gut akzeptiert, wenn man andere Ideen hatte.

Wie sieht es heute mit Vorurteilen aus? Sie sind eine junge, frisch promovierte Frau, die ein völlig neues Modell in der Teilchenphysik entwickelt hat. Gab es Widerstand von Wissenschaftlern?

Es hat sehr viele Diskussionen gegeben, auch kontroverse. Etwa bei Vorträgen, die ich während meiner Promotion in Harvard, am Massachusetts-Institut für Technologie (MIT) oder in Princeton gehalten habe.

"Die Zielstrebigkeit kam hauptsächlich aus meiner Begeisterung für das Fach"

Haben Sie damit gerechnet?

Ja, unser Ansatz war ja ein ganz neuer. Also haben die Reaktionen sehr stark geschwankt zwischen Skepsis und Begeisterung. Aber diese Diskussionen sind etwas, was mir gefällt an der Physik. Was Vorurteile angeht: Ich habe das Modell zusammen mit meinem Doktorvater, Georgi Dvali, entwickelt. Er ist einer der Max-Planck-Direktoren und in der Wissenschaftsgemeinschaft sehr gut vernetzt. Natürlich ist es leichter, wenn man mit jemanden zusammenarbeitet, der schon einen sehr guten Stand hat.

Warum ist Ihr Modell so provokant? Können Sie das für Laien erklären?

Vielleicht ist es am sinnvollsten, das Problem, das dahintersteckt, zu erklären. Es gibt sehr viele verschiedene Teilchen im Universum, etwa Protonen, Neutronen und Elektronen. Ein weiteres Teilchen ist das Neutrino. Im Standardmodell der Teilchenphysik ist man lange davon ausgegangen, dass Neutrinos masselos wären.

Das ist aber nicht so.

Nein, man hat erst kürzlich festgestellt, dass sie doch Massen besitzen. Das war ein riesiger Durchbruch. Dafür hat es einen Nobelpreis gegeben. Jetzt ist aber immer noch die Frage offen, wie das sein kann.

Das wollen Sie mit Ihrem Modell beantworten?

Das versuchen wir. Stark verkürzt gesagt: Andere Modelle gehen davon aus, dass sämtliche Massen kurz nach dem Urknall entstanden sind. In unserem entstehen die Massen der Neutrinos im Universum erst sehr spät. Das hätte weitreichende Auswirkungen auf unser bisheriges Verständnis der späten Entwicklung des Universums lange nach dem Urknall.

Am Perimeter Institute in Kanada versuchen Sie, das Modell zu bestätigen.

Ein wichtiges Experiment wird im Sommer in Karlsruhe beginnen. Die Aufregung ist schon groß bei mir und meinen Kollegen, weil die Forscher dort etwas messen könnten, was man anhand anderer Modelle nicht erwarten würde, in unserem aber schon. Und wir sind gespannt auf die kosmologischen Daten, die die nächsten Satelliten liefern werden, die man ins All schießt. Die könnten das Modell sowohl bestätigen als auch widerlegen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird man mehr wissen.

Eine lange Zeit...

Es ist sogar eine relativ kurze Zeitspanne für Teilchenphysiker. Erst vor kurzem wurden Gravitationswellen gemessen, 100 Jahre nach der Vorhersage. Die Zeitspannen sind normalerweise sehr, sehr groß.

Sie haben Ihre akademische Ausbildung in sehr kurzer Zeit vorangetrieben.

Die Zielstrebigkeit kam hauptsächlich aus meiner Begeisterung für das Fach. Als ich mit 17 das Abi gemacht habe, hatte ich ja schon mit dem Juniorstudium angefangen. Ich wollte mein Bachelorstudium anschließend gleich weiterführen. Dann kam das Masterstudium in England an der University of Cambridge. Master-Studiengänge dauern dort immer ein Jahr. Da war ich also gar nicht schneller als alle anderen.

Haben Sie nicht mal überlegt, ein Jahr freizunehmen und zu reisen?

Ich habe mich nach dem Abitur zu jung gefühlt, um für ein Jahr allein ins Ausland zu gehen. Ich habe aber nach dem Masterabschluss vier Monate Auszeit genommen und war auf Reisen. Auch jetzt bin ich ja viel unterwegs, auf Konferenzen im Ausland zum Beispiel. Meine Arbeit und das Reisen kann ich also gut verbinden. Zwei Dinge, die mir Spaß machen.

Arbeit ist für Sie auch Vergnügen.

Arbeiten, nur um Geld zu verdienen, steht für mich nicht im Vordergrund. Das, womit ich mich beruflich beschäftige, ist etwas, wofür ich schon lange brenne.

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