Wissenschaft:Ein bisschen Frankenstein

Wissenschaft: Christoph Gruber, Niklas Armbrust, Elena Fajardo-Ruiz und Javier Luna Mazari (v. li.) aus dem 16-köpfigen Siegerteam des iGEM in Boston.

Christoph Gruber, Niklas Armbrust, Elena Fajardo-Ruiz und Javier Luna Mazari (v. li.) aus dem 16-köpfigen Siegerteam des iGEM in Boston.

(Foto: Marco Einfeldt)

Eine Bio-Tinte verklebt im 3-D-Drucker einzelne Zellen zu lebendem Gewebe. Mit dieser Entwicklung gewinnen Studenten der TUM und LMU einen internationalen Forscherwettbewerb

Von Marlene Weyerer

Der Drucker, mit dem sie das MIT, Harvard und Cambridge geschlagen haben, piepst bei jedem Knopfdruck wie ein Roboter in einem Science Fiction-Film. Die Druckernadel zuckt hoch und runter. Mit diesem etwa einen halben Meter großen Gerät haben 16 Studenten der Technischen Universität (TUM) und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ihre Gegner der namhaftesten Eliteuniversitäten der Welt aus dem Rennen geworfen, der Pokal geht nach Weihenstephan, was für ein Triumph.

Jedes Jahr tragen an die 300 Studententeams den Biotechnologie-Wettbewerb "international Genetically Engineered Machine" (iGEM) in Boston aus, es geht um schlaue Antworten zu der Frage, wie genetisch veränderte Zellen und Bakterien in Zukunft Nutzen für die Menschheit bekommen könnten. Das Münchner Studententeam hat in diesem Jahr mit einem 3-D-Gewebedrucker und der Erfindung einer Bio-Tinte in der Kategorie Overgrad für die Teilnehmer älter als 23 gewonnen.

Die Tinte, es klingt ein bisschen nach Frankenstein, verklebt einzelne Zellen im Drucker zu Gewebe. Das Gemisch aus Vitamin B7 und dem Protein Streptavidin solle die Zukunft des Gewebedrucks einleiten, sagt TU-Student und Gewinner Christoph Gruber. Schon bald könnte es gelingen, kleine Organismen aus menschlichen Zellen herzustellen und diese bei Medikamententests einzusetzen. Das könnte den noch immer großen Bedarf an Tierversuchen senken und, wer weiß, vielleicht eines Tage sogar die künstliche Produktion von Spenderorganen ermöglichen. In vielen Laboren wird bereits mit 3-D-Gewebedruckern geforscht. Neu und einzigartig ist die Gewinner-Tinte der Studenten, preisverdächtig eben.

Der Sieg im internationalen Wettbewerb ist allerdings auch deshalb eine Überraschung, da zu Beginn des Semesters die Teilnahme einer Mannschaft aus München völlig ungewiss war. Das Projekt kostet die meisten Studenten ein Semester ihrer Studienzeit und verspricht zudem eine Menge Arbeit - ohne Bezahlung. Bei so namhafter Konkurrenz winken viele Studierende ab, keine Zeit, keine Lust, dazu die Prüfungen im Nacken. Mit Überzeugungsarbeit gelingt es Arne Skerra, Professor für Biologische Chemie, dennoch im April, ein Team aus 16 Studierenden beim Wettbewerb anzumelden. Sofort ist klar: Wer gegen Harvard und Cambridge gewinnen will, braucht eine Idee, die kracht. Also 3-D-Druck. Die Studierenden basteln nächtelang, füllen Zelllösungen in die Spritzenpumpe, stimmen Druckoberfläche und -nadel aufeinander ab, das Ding muss perfekt werden. Mit im Team ist ein Ingenieursstudent, ihr Mann fürs Grobe. Mit seiner Hilfe gelingt es schließlich, den Plastikdrucker in einen Gewebedrucker zu verwandeln.

Nach sechs Monaten endlich steht die Technik, alle Tests waren erfolgreich, also auf nach Boston. Das große Finale des Wettkampfes in den USA beginnt am 27. Oktober. 300 Teams präsentieren an fünf Tagen ihre Ideen vor einer Jury - und am Abend feiern alle gemeinsam auf einer großen Party. Einige Teams verkleiden sich, passend zu ihrer Forschung, als Krabben (China) oder Astronauten (Niederlande). Die Münchner Studenten tun sich schwer damit, als Tinte zu gehen, sie entscheiden sich für eine Kombination aus Krabbe und Astronaut: Dirndln und Lederhosen.

Zurück in der Heimat wollen die Kommilitonen natürlich wissen, wie sie das gemacht haben mit dem Sieg gegen ihre Kollegen aus Harvard und Cambridge. Die Antwort fällt nicht leicht, wer weiß, vielleicht müssen sich die Münchner Unis gar nicht verstecken gegen die Weltelite aus den USA und England. Vielleicht aber hat es auch ganz praktische Gründe: Die Studiengebühren sind in anderen Ländern hoch, viele Studierende können sich ein Freisemester schlicht nicht leisten - das dünnt die Konkurrenz aus. Dritte mögliche Antwort: Sie hatten mit ihrer Tinte einfach die beste Idee.

Die Studierenden bevorzugen diese Erklärung, klar, weshalb sie sich nun Sorgen um die Zukunft der Tinte machen. Denn die wartet nach ihrer Reise in das ferne Amerika nun einsam auf weitere Verwendung, keiner im Team kann derzeit an dem Projekt weiterforschen. Die Klausuren warten. Schade, sagt Professor Skerra, denn viele Fragen sind noch nicht beantwortet. Würde sich eine andere Universität für die Bio-Tinte interessieren, wäre das Münchner Siegerteam bereit, ihre Erfindung abzugeben. Damit sich die vielen Stunden Arbeit auch gelohnt haben, sagt Student Gruber. Wobei: Auch wenn es nicht weitergeht mit der Tinte, sagen die Studierenden, der Wettbewerb war ein Riesenerfolg. Denn sie haben gelernt, wie schön es ist, gemeinsam in einem Team zu forschen. Für junge Wissenschaftler ist diese Erkenntnis am Ende möglicherweise mehr wert als der Pokal.

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