Süddeutsche Zeitung

Wirtshaus Fraunhofer:Herr über Schweinsbraten und Hirschgeweih

Peppi Bachmaier wird von seinen Gästen im Wirtshaus Fraunhofer verehrt. Aus gutem Grund: Er verkörpert das ursprüngliche München wie kaum jemand sonst.

Von Karl Forster

Der Metzger des Bergdorfes ganz oben auf der Kykladeninsel Pholegandros ist ein mächtig großer Mann. Er trägt einen mächtig großen Schnurrbart, unter dem ein mächtig großes Lächeln Freundlichkeit und Zuversicht verrät. "Hefta Schnitzel yourouni parakalo" hat einer aus der Crew der Segelyacht Marina versucht zu ordern, also "sieben Schnitzel Schwein bitte". Der mächtig große Metzer holt aus dem Kühlraum ein, natürlich riesiges, Stück Oberschale vom Schwein, nimmt ein gewaltiges Messer in die Rechte, einen dazu passenden Wetzstahl in die Linke und startet eine Demonstration griechischer Messerschärfkunst, gegen die Katschaturians "Säbeltanz" ein Wiegenlied gewesen wäre.

Da sagt plötzlich einer aus der "Marina"-Crew leise, aber deutlich: "Des kon i a." Der Metzger verharrt, lauscht den Worten hinterher und reicht, als hätte er sie wirklich verstanden, dem Deutschen Messer und Wetzstein. Und da zaubert nun Peppi Bachmaier einen ähnlich tollen Tanz mit diesen Instrumenten in die Luft, die beiden sehen sich an, fallen sich in die Arme, und der mächtig große Metzger jubelt mit Tränen in den Augen: "Ena chasàpis!" Bachmaier sagt, als hätte er die Worte ebenfalls verstanden, jaja, er sei auch ein Metzger. Die Schnitzel schmeckten köstlich am Abend auf der dunkelblauen Yacht.

Diese Reise mit Peppi Bachmaier liegt nun schon Jahre, Jahrzehnte zurück. Und doch ist dessen Art, sich leise, fast unmerklich, nicht in Szene, aber durchzusetzen, eine der großen Tugenden jenes Mannes, der seit 1972 die wundervolle Gastwirtschaft Fraunhofer betreibt und dann in der Spätzeit seiner Karriere als Wirt zum Wiesnwirt wurde. Auch wenn er in diesem Jahr dort kein Zelt betreiben kann, weil das Landwirtschaftsfest ihm den Platz dafür streitig gemacht hat.

Es war das Jahr 2010, als München anlässlich des 100. Geburtstages des Oktoberfestes eine "historische Wiesn" ausrichtete. Es war Peppi Bachmaier, der den Zuschlag für ein Musikzelt auf diesem abgetrennten Areal bekam. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass dessen Name "Herzkasperlzelt" mit ausschlaggebend war für die Kür Bachmaiers zum Zeltwirt. Vielleicht weil ein paar Entscheidungsträger sich noch erinnerten an den großen Schauspieler, Kabarettisten und bissigen Menschenfreund Jörg Hube, Gott hab' ihn selig, und an dessen wunderbares Kleinkunstbühnengeschöpf Herzkasperl. Hube war oft im Fraunhofer aufgetreten.

So ist mit Peppi Bachmaier ein Wiesnwirt inthronisiert, der, 1947 geboren, sein Leben auch als Blaupause auf die jüngere Geschichte Münchens legen könnte. Sein Vater hatte eine Metzgerei an der Morassi-, Ecke Kohlstraße, eine damals ziemlich wilde Gegend, weil in den nicht zerbombten Gebäudekomplexen zwischen der Zweibrückenstraße und dem späteren Deutschen Patentamt hunderte Familien oft mehr oder weniger notdürftig untergebracht waren, bevor sie in ihre wiederaufgebauten Stammviertel zurück konnten.

Scharen von Kindern spielten dort auf der Straße; es war die Zeit, als die Zugehörigkeit zu einem Stadtviertel noch mit Inbrunst gepflegt wurde, ebenso wie die Feindschaft mit anderen. Und die Jugendlichen aus der Morassistraße waren, nun ja, besonders berühmt. Als Peppi Bachmaier damals auf einem Volksfest bei den beliebten und gefürchteten Boxkämpfe auf dem sich immer schneller drehenden Teufelsrad mitmachte, nannte er dem Conférencier, wie es üblich war, Namen und Herkunft. Beim Stichwort "Morassistraße" meinte der dann, dass da die anderen gleich nach Hause gehen könnten.

Und wie ist das mit dem Peppi? Beppi? Bebbi? Eigentlich ist er ja auf Josef getauft. Doch verinnerlicht hat er diesen Namen nie. Als er in der Volksschule von einer neuen Lehrerin mit "Josef" aufgerufen wurde, blieb er einfach sitzen. Gefragt, was das denn nun solle, sagte er lapidar: "So hoaß i ned." Da hat er so seine Grundsätze. Genauso wie er es heute noch als Makel betrachtet, in Schwabing geboren zu sein, weil dort seine Mutter in der Königinstraße ein kleines Lokal hatte und Schwabing somit ihr Viertel war, inklusive Hausarzt und Geburtsklinik.

"Die Maikäferklinik" wäre ihm schon lieber gewesen, so nannte man die Universitäts-Frauenklinik in der Maistraße, geografisch nahe dem Gäu der Morassi-Kinder gelegen. Und wenn er heute mit leichtem Lächeln darauf besteht, man schreibe "Peppi" mit "drei P, vorne eins und zwei in der Mitte", denkt man an einen Film aus dieser Zeit: an "Die Feuerzangenbowle" und an Heinz Rühmann als schlitzohrigen Oberprimaner Hans Pfeiffer mit den "drei F".

Nach der Schule ging Peppi Bachmaier bei seinem Vater in die Lehre und übte sich dort unter anderem der Kunst des Metzgermesserschleifens. Doch so recht mochte ihm dieser Beruf nicht gefallen, also trieb er sich auf der Suche nach sich selbst und seiner Bestimmung ein paar Jahre in Frankreich herum, vor allem "in Nice" (er sagt nicht Nizza dazu, sondern den französischen Städtenamen), weil er dort sommers kostenfrei im Heim der ortsansässigen Pfadfinderinnen wohnen konnte. Er selbst verdankt es ja den Münchner Georgs-Pfadfindern, "dass ich irgendwann von der Straße runterkam".

Zurück in München, versuchte er sich, einer versteckten Neigung gehorchend, als Restaurateur von Antiquitäten und sonstigem Kunstwerk, mietete sich dazu in einem kleinen Laden in der Buttermelcherstraße ein, schmückte aber mangels größerem Arbeitseifer die Tür oft mit einem Schild, auf dem stand "Komme gleich". Trotzdem sollte dieser Ort sein Leben in eine neue, von heute aus betrachtet entscheidende Bahn lenken.

Denn im ersten Stock des Hauses hauste in einem Einzimmerappartement, genannt die "Bärenhöhle" wegen der dort herrschenden olfaktorischen Situation, neben ein paar anderen Gestalten ein gewisser Uwe Kleinschmidt. Dieser Uwe Kleinschmidt hatte erstens keinen Mangel an großzügiger Selbsteinschätzung und wurde zweitens dank dieser Eigenschaft zusammen mit Peppi Bachmaier dann Wirt und Impresario des legendären Musikalischen Unterholzes in der Hackenstraße, kurz MUH.

Den beiden war der Raum mit dem wunderschönen Tonnengewölbe nach einer Zwischennutzung durch den Wirt der Kleinkunstkneipe Song Parnass quasi in die Hand gefallen. Weil Kleinkunst damals groß in Mode war, lief das Geschäft so gut, dass Peppi Bachmaier nach einer Alternative suchte für jenes Publikum, das sich lieber unterhalten wollte als unterhalten zu werden. Wieder sollte es so sein, dass Peppi Bachmaiers leise, aber stete Art, sich durchzusetzen erfolgreich war.

Das heutige Fraunhofer war damals eine recht heruntergekommene Boazn, und die Franziskaner-Brauerei war wild entschlossen, dort einen "Wienerwald" zu implantieren, eine damals noch recht erfolgreiche Hendl-Verkaufs-Franchise-Kette. Später sollte der Wirte-Verantwortliche der Brauerei immer gerne erzählen, es sei gewesen, als ob Robin Hood mit den Aufständischen aus Sherwood Forest bei ihm eingefallen sei, als Peppi Bachmaier samt Mitarbeiter ihn besuchte hatte mit der Bitte, ihm das Fraunhofer zu überlassen. Nach dem Motto: Wenn's nicht funktioniert, könnt ihr euren Wienerwald immer noch machen.

So also wurde aus dem Fraunhofer, was es heute ist. Und als Seiteneffekt wurde von der Fraunhoferstraße 9 aus Peppi Bachmaier in aller Stille ein erfolgreicher Gastronomieunternehmer, der zum Beispiel die Innenarchitektur des Café Puck in der Türkenstraße prägte, oder die des Café Neuhausen in der Blutenburgstraße. Der das Mariandl in der Goethestraße sowohl als Lokal mit Musik wie auch als Hotel betreiben lässt. Und dass er die Flößerei in Wolfratshausen nach fünf Jahren roter Zahlen doch noch zum Laufen brachte, darauf ist er zurecht stolz.

Zentrum seines Lebens und Wirkens aber bleibt das Fraunhofer. Da sitzt er fast jeden Abend (wenn nicht gerade das Herzkasperlzelt gerufen hat) gleich rechts am Eingang. Und schaut. Grüßt. Schaut. Denkt. Allein seine Anwesenheit macht Personal wie Publikum klar, wer hier der Wirt ist.

Peppi Bachmaiers Gedanken kreisen schon ums Herzkasperlzelt 2017. Bis zum Jahresende muss er das gesamte Programm in ein handgemachtes, künstlerisch sehr ansprechendes Bewerbungsbuch pressen, das bedeutet: mehr als 70 Bands jetzt schon vertraglich binden, deren Auftrittszeiten von oft nur einer Stunde planen, die Mannschaft für das 2000-Plätze-Zelt aufstellen und so weiter. Ein paar Mal ist sein Sohn Lorenz mit eingesprungen; er ist 23 Jahre alt und gelernter Koch. Aber derzeit arbeitet er in Berlin und hat sich der veganen Speise verschrieben, was nicht so ganz in ein Wiesnzelt passt. Tochter Elisabeth, ein Jahr älter, studiert zwar Kunstgeschichte, mischt sich aber, sehr zur Freude des Vaters, schon kräftig ein in den Fraunhofer-Betrieb.

Und sprechen die beiden auch so schön Bairisch wie der einstige Bub aus der Münchner Morassistraße? Da lacht Peppi Bachmaier ein wenig verzweifelt und sagt: "Na, koana von dene zwoa." Noch eine Frage: Geht er in diesem September, da der Wiesnwirt Peppi Bachmaier kein Wiesnzelt hat, trotzdem auf die Wiesn? Da strahlt er und sagt leise, aber deutlich: "Ja, selbstverständlich."

Viele Jahre nach Peppi Bachmaiers Segelreise nach Pholegandros kommt der Skipper der "Marina" dort wieder vorbei. Er hat ein Geschenk dabei: Einer der Crew hat damals ein Bild gemacht von dem mächtig großen Metzger und seinem etwas schmächtigeren deutschen Kollegen. Ein Diapositiv, aufgezogen als Bild 40 Mal 30 Zentimeter.

Er fährt mit dem Bus hinauf auf die Chora und sieht auf dem hübschen Markt die Metzgerei von damals. Davor sitzt ein alter Mann mit einem Krückstock und einem mächtig großen Schnauzbart und schaut gedankenverloren in die Ferne, dorthin, wo die Sonne gerade untergeht. Der Skipper geht hin und zeigt ihm das Bild, ohne groß was zu sagen. Nach ein paar langen Sekunden beginnt der alte Mann zu lächeln und sagt: "O chasàpis germanikos!" Doch dann verlöschen die Augen und er schaut wieder dorthin, wo die Sonne untergeht. Der Skipper kauft ein paar Würste beim Sohn. Auch sie schmecken fein.

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SZ vom 29.09.2016/eca
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