Süddeutsche Zeitung

Gastronomie:Warum Münchens Wirtshäuser bei den Touristen so beliebt sind

Das Hofbräuhaus, der Haxnbauer und das Hackerhaus stehen bei Individualreisenden und Gruppen ganz oben auf der Liste. Ein Selbstläufer ist das Geschäft mit der Tradition aber nicht.

Von Franz Kotteder

"Hffbraha!", jubiliert die blonde junge Frau an der Ecke, an der die Münz- von der Sparkassenstraße abzweigt, und deutet Richtung Osten: "Där är det!" Das ist Schwedisch und heißt: "Da ist es!" Und tatsächlich leuchtet dort drüben an der Fassade die goldene Inschrift "Hofbräuhaus". Sie und ihr Begleiter haben offenbar das Ziel ihrer Wünsche erreicht: das berühmteste Wirtshaus der Welt, Sehnsuchtsort unzähliger München-Touristen.

Es herrscht Ausnahmezustand am Samstagabend in dieser Ecke der Stadt, im historischen Graggenauer Viertel. Vor dem Eingang zum Haxnbauer in der Sparkassenstraße bildet sich eine lange Schlange. Heute stehen hier vor allem Touristen aus dem asiatischen Raum an, ein Türsteher, fast wie vor einer Edeldisko, sorgt dafür, dass nicht zu viele Gäste ins Lokal drängen, sondern nur die, für die ein Tisch frei geworden ist. Der Haxnbauer mit seinen 300 Plätzen hat im Schaufenster einen großen Holzkohlegrill stehen, an dessen Spießen sich die Schweinshaxen drehen, und da sind die Touristen natürlich hin und weg.

Seit 1963 gibt es das Lokal, 1980 wurde es von der Kuffler-Gruppe übernommen und ist seither eine sichere Bank für das Münchner Gastro-Unternehmen. "Wir haben sehr viele Stammgäste aus der Stadt", sagt Geschäftsführer Stephan Kuffler zwar, "aber besonders abends kommen auch sehr viele Touristen. Wir haben da von Social Media richtig profitiert." Auf den einschlägigen Plattformen wie Tripadvisor wird das Lokal als "typisch bayerisch" gepriesen. Das zahlt sich besonders abends aus. Den Einheimischen sei die Schweinshaxe zum Abendessen meist zu schwer, sagt Kuffler, die holten sich eher mal eine Haxensemmel. Aber die Touristen kennen da nichts, die schlagen auch abends erbarmungslos zu.

Die großen Traditionsgasthäuser der Innenstadt stehen natürlich ganz oben auf der Liste, wenn Individualreisende und Gruppen sich landestypisch verpflegen wollen. Häuser wie die Augustiner Großgaststätten, der Ratskeller, das Hackerhaus oder Donisl und Spöckmeier, ja sogar der Rechthaler Hof am Hauptbahnhof, haben sich darauf eingerichtet und geben sich redlich Mühe, ihren Gästen aus aller Welt zu zeigen, dass die Gemütlichkeit in München niemals nicht ausstirbt, so lange der Alte Peter am Petersbergl steht, wie es im berühmten Lied so schön heißt.

Es steht in der Stadt aber nicht nur der Alte Peter, sondern eben auch das Hofbräuhaus, und auch darüber gibt es ein bekanntes Stimmungslied mit dem griffigen Refrain: "Oans, zwoa, gsuffa!" So viele Klischees sind über das vor 430 Jahren gegründete Brauhaus im Umlauf, dass sie die gelebte Wirklichkeit oft völlig überdecken. Dabei sind sich die Wirte Wolfgang und Michael Sperger ihrer Verantwortung für das Bild der Bayern im Ausland sehr wohl bewusst. Sie legen großen Wert auf die Qualität der Speisen, das Fleisch kommt aus der hauseigenen Metzgerei, und besonders streng sind sie beim Unterhaltungsprogramm. Das Hofbräuhaus ist schließlich kein Ballermann und keine Skihütte, ja noch nicht einmal die Wiesn. Und deshalb gibt es keine elektrisch verstärkten Instrumente und eine Art Traditionserlass. Musikanten und Kapellen sind vertraglich verpflichtet, nur alpenländische Volksmusik zu spielen, keinerlei Schlager.

Verpflichtung zur Volksmusik

Oben im historischen Festsaal mit seinen 600 Plätzen stehen lange Tischreihen, hier wird abends Programm für Reisegruppen gemacht, es dürfen in der Regel aber auch ganz normale Gäste kommen, der Eintritt ist frei. Auf der Bühne wird Brauchtum geboten. Trachtler treten auf, auch Schuhplattler und Goaßlschnalzer, eine Blaskapelle spielt auf. Unverstärkt versteht sich, der Traditionserlass. Spielleiter Ludwig Resch kommt vier- bis fünfmal im Jahr mit seinen Inntalern in den Festsaal, den man akustisch ja auch erst mal ausfüllen muss. "Einmal hatten wir die Dortmunder da, die gegen den FC Bayern gewonnen hatten", erzählt Resch, "da hat man dann schon Probleme als Musiker, sich Gehör zu verschaffen." Sonst ist's eher gemütlich, da oben auf der Bühne, sagt Resch. Aber er und seine elf Mitmusikanten haben sich das auch so ausgesucht. Früher haben sie unten in der Schwemme gespielt, zwölf Mann hoch auf dem kleinen Musikpodium mitten im Auge des Schwemme-Taifuns. "Das ist schon anstrengend", erzählt Resch, "da langen dir die Besoffenen schon mal in die Noten rein."

Oben im Saal thront man ein bisschen über der Menge, das hat seine Vorteile. Mitgestalten will der eine oder andere Gast aber trotzdem. An diesem Samstagabend ist es eine fröhliche Russin, die gerne einen Kasatschok gespielt hätte. Daraus wird freilich nichts, der Vertrag eben. Musikwünschen aber stehen die Inntaler durchaus aufgeschlossen gegenüber, und manchmal zahlt sich das auch aus. Später am Abend taucht dann noch ein Bauunternehmer aus der Steiermark auf, der mit seiner ganzen Belegschaft zur Bauma gekommen ist, und der für jedes steirische Volkslied eine extra Mass für jeden Musikanten springen lässt.

Für die Reisegruppen aus Italien, Spanien und den USA mag das alles schon fremdländisch genug sein. Aber die größte Gaudi, sagen die Kellner, hat man dann doch mit den chinesischen und japanischen Gruppen. Denn die kriegen sich gar nicht mehr ein vor Verblüffung, wenn sie zum ersten Mal einen Masskrug voller Bier und eine Haxe vor sich stehen haben. Solche Mengen stopft ein Bayer also in sich hinein! Da machen sie masskruggroße Augen. Man kann schon verstehen, dass ein Reisender so etwas nicht jeden Tag braucht und zwischendrin auf die gewohnte Verpflegung ausweicht. Auch dafür gibt es Adressen. München Tourismus, die städtische Tourismusbehörde, hat zum Beispiel eine Liste für arabische Gäste mit Lokalen, die halal kochen. Gruppen aus dem asiatischen Raum fahren nach Laim in die Asien Perle, einem großen Restaurant, das mehrere asiatische Länderküchen im Angebot hat. Chinesen zieht es auch zum Acht Eins in der Paul-Heyse-Straße, einem auf Feuertopf spezialisierten Lokal, oder zum All-you-can-eat-Buffet von MOK Asia in der Einsteinstraße, wo nahezu ausschließlich Reisegruppen verköstigt werden.

Wenn man also weiß, was Touristen wollen, dann findet man als Gastronom sein Auskommen. Manches aber bleibt selbst Profis verborgen. Die Kufflers haben sich lange gewundert, warum Russen auf den Online-Plattformen die "gespuckten Haxn" lobten oder sie "zum Spucken" fanden und begeistert waren. Vielleicht eine ausgefallene Redewendung? Dann stellte sich heraus, dass die automatische Übersetzung aus dem russischen Ausdruck für "am Spieß" erst das im Englischen korrekte "on a spit" machte und das dann falsch ins Deutsche mit "Spucken" übertrug.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4415354
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.04.2019/vewo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.