Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Die Klamotte zur Winterdepression

Sobald der Herbst kommt, gibt es nur noch Kleidung in gedeckten Farben zu kaufen. Unsere Kolumnistin aus Uganda findet das befremdlich - in ihrer Heimat ist Hell eine Ganzjahresfarbe.

Kolumne von Lillian Ikulumet

München wird kälter, grauer und dunkler. Wer hierher zieht, der muss auf diese Eigenarten von Herbst und Winter gefasst sein. Recht unvorbereitet traf mich, dass die Verdunkelung nicht nur meteorologisch eintritt. Leider neigen viele Münchner im Winter dazu, sich den finsteren Tagen modisch anzupassen. Dabei erinnern doch genau diese Farben an Trauer und Depression, genauso wie das Wetter selbst.

Farbe ist eine extrem starke Kraft in unserem Leben. Sie beeinflusst unsere Stimmung, so wie Lebensmittel uns schmecken, oder Dinge, die wir kaufen. Die Farbe der Apothekenpillen, die wir einnehmen, kann sogar die Wirksamkeit des Medikaments beeinflussen. Das ist die starke psychologische Wirkung der Farbe, die Macht über uns hat.

Hier in Bayern ist oft die Rede von der Winterdepression. Als ich hierher kam, war mir dieser Begriff neu. Wo ich herkomme, gibt es keinen Winter, der finster oder kalt wäre. In Uganda tragen die Leute so gut wie zu jeder Gelegenheit helle Farben. In der Tat wird schwarzer Stoff dort gar von vielen gefürchtet. Wir haben in meinem Dorf keine Straßenbeleuchtung. Wohl auch deshalb ist helle Kleidung dort stets gewünscht, und Schwarz wird eher als Tarnfarbe für jene vermutet, die etwas im Schilde führen.

Seitdem ich in München wohne, ist mir aufgefallen, dass viele Münchner ihre hellen Farben offenbar für den Sommer reservieren. Mit Beginn der kälteren Tage verstauen sie diese Klamotten lieber im Schrank oder im Keller. Aber warum? Bayern ist ein buntes Land, das als perfekte Inspiration für ein buntes Outfit dienen könnte. Die meisten Menschen haben eine Lieblingsfarbe oder bevorzugen bestimmte Töne. Daher kleiden wir uns in den Farben, die unsere Stimmungen beeinflussen.

Wohl auch deshalb tragen viele hier Schwarz zu einer Beerdigung anstatt Rot. Denn Rot ist eher bekannt dafür, Energie zu steigern, während sich Gelb für gute und gelöste Stimmungen eignet. Weiß gilt als Farbe des Friedens, und Blau senkt, so heißt es, den Blutdruck und dient der Entspannung. Sicherlich nicht ganz zufällig beansprucht der Bayer Weiß-Blau als Landesfarbe.

Die Modebranche hierzulande jedoch scheint uns sagen zu wollen, dass helle Töne für Frühling und Sommer bestimmt sind, im Herbst und Winter jedoch Schwarz, Braun und Grau. Ein Besuch in einem Münchner Einkaufszentrum reicht, um diese These zu bestätigen. Aber vielleicht muss man das alles auch nicht so eng sehen: Dunkle Farben können ja auch dafür gelobt werden, dass sie die wenigen Strahlen der Wintersonne besser absorbieren als Weiß und Himmelblau. Zum Glück ist nirgendwo geschrieben, dass man im Winter keine hellen Farben tragen darf. Deshalb wäre es vielleicht an der Zeit, für den anstehenden Winter die weniger konventionellen Farben zu entdecken und auch mal etwas Helles auszuprobieren.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2018
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