„Wir braucht Dich!“, ruft das Tollwood-Team in den Münchner Winter hinein. Das wundert nun nicht, denn ohne die etwa 600 000 Besucher jedes Jahr wäre das Winter-Festival auf der Theresienwiese doch wie ein Christbaum ohne Kerzen und Pakete darunter. Aber natürlich geht es um etwas anderes mit dem Motto, das eine Fortführung des Sommer-Themas „Zusammen: Halt!“ ist: Das Festival werde zum „Spiegelbild dessen, was unsere Gesellschaft sein kann, wenn das Wir im Mittelpunkt steht“.
Die Gäste sind gefordert: zum Beispiel beim „großen Rudelsingen“. Dazu kommen am Montag, 2. Dezember, im Grand-Chapiteau-Zelt Hunderte zusammen, um ungeprobt draufloszusingen, und zwar bekannte Hits passend zum Festivalmotto, die Texte werden eingeblendet. Und Pfarrer-Entertainer Rainer Schießler sagt ein paar Worte „in seiner provokanten Art“ dazu.
Natürlich muss man sich nicht überall einbringen auf dem Tollwood, wer einfach bummeln, Zirkus, Straßentheater, Konzerte oder Falafel Dürüm genießen und seine Seele in einer Tasse Feuerzangenbowle treiben lassen möchte, ist ebenso willkommen von 26. November bis 31. Dezember.
Frischer Wind im Zirkuszelt
Nicht alles, aber vieles ist neu im Zirkuszelt – kein Spiegelzelt soll es diesmal sein, und es wird auch kein Dinner mehr serviert, das vom Wesentlichen ablenkt: Im Grand Chapiteau sind die 750 Sitzplätze auf die Bühne hin ausgerichtet, die viel Fläche und auch Raum nach oben hat für ein ganzes „Festival du Cirque“ mit gleich drei Kompanien aus drei Kontinenten mit drei recht unterschiedlichen Herangehensweisen an den seit Tollwood-Urzeiten gepflegten Cirque Nouveau.
Aber was heißt schon herangehen? Es wird getanzt, geflogen, gewirbelt bei den drei aufeinanderfolgenden Produktionen. Poetisch macht sich zunächst der „Circo Zoe“ aus Frankreich und Italien ans Werk: Zu Operngesang und elektronischer Musik begeben sich die Artisten im Stück „Deserance“ an Cyr-Rad, Luftreifen, Trapez und mehr laut Ankündigung auf eine emotionale Reise, es sei ein „Seiltanz zwischen zarten Momenten und temperamentvollen Gefühlsausbrüchen“ (26. November bis 8. Dezember, jeweils 19.30 Uhr, sonntags 18 Uhr).
Australische Akrobaten sind oft sehr skurril, die Crew von „Circa“ glänzt darüber hinaus vorwiegend tänzerisch in der Vorstellung des „Zirkusvisionärs“ Yaron Liftschitz: Als „Humans 2.0“ rufen sie das ganze Bewegungsspektrum ab, bauen Menschentürme und lassen sie zusammenpurzeln, bringen sich in Balance und Unrast – das Ganze in dramatisch-trancehafter Lichtinszenierung und zu pulsierender Musik von Ori Lichtik (10. bis 14. Dezember).
Alte Bekannte sind zwar „The 7 Fingers“ (mit dem makabren Cabaret „La Vie“ waren sie schon mal auf dem Tollwood), aber die Truppe aus Montreal hat etwas Neues dabei: eine moderne Inszenierung von „Romeo & Julia“, die allerdings, so wird, weil ja bald Weihnachten ist, versprochen, gut ausgeht. In „Duel Reality“ duellieren sich hier zwei Banden – rot und blau – in einer Sportarena artistisch (17. bis 22. Dezember).
Die Gäste können auch ein Trilogie-Ticket erwerben, das bringt dann 25 Prozent Rabatt. Zu den normalen Tickets und den üblichen Ermäßigungen, Familien- und Kinder-Nachlässen bietet Tollwood heuer erstmals ein begrenztes Kontingent an „Social Tickets“ an – ein solches darf für 19 Euro erwerben, wer über zu wenig Geld verfügt, ein Nachweis ist nicht nötig.
Farbenspiele auf dem Zeltdach statt Eingangskunstwerk
Man wundert sich schon, dass da in 36 Tollwood-Jahren (seit 1991 gibt es auch ein Winter-Festival) noch niemand draufgekommen ist, oder vielleicht einmal, aber da war die Technik noch nicht so weit: Die für das Festival so typischen, weithin weiß strahlenden Zeltdächer sind einfach eine perfekte Leinwand. Erstmals haben sich Tollwood-Chefin Rita Rottenwallner und Projektleiterin Jana Green dafür nun eine leuchtende Inszenierung einfallen lassen: In die Münchner Dunkelheit soll ein „leuchtendes Manifest zur Verteidigung der Demokratie“ strahlen. Erzählt wird eine Liebesgeschichte eines Pärchens, die auch eine Ode an die humanistischen Werte ist. Das Festival-Motto „Wir braucht Dich“ soll mithilfe der Wiener Spezialisten für 3D-Videomapping, Lumine, in einem Tanz aus Licht und Farben und Formen auf den Planen zum Spektakel werden – von außen überall gut zu sehen auf den Zelten Mercato, Esszimmer und Foodplaza. Zusätzlich zum Farbenspiel ab 17 Uhr gibt es jeden Abend um 19 Uhr noch eine tägliche „Highlight-Inszenierung“ mit Musik.
Weil die Zeltdach-Show zu sehr damit konkurrieren würde, hat man diesen Winter auf ein großes Eingangskunstwerk verzichtet. Einen Weihnachtsbaum, Eisskulpturen und andere Glitzerobjekte wird es aber freilich geben. Und auch eine Kunstinstallation mit politischem Auftrag: die „Wertebänke“. Diese „hochwertig, eigens für Tollwood angefertigten“ Sitzmöbel warten mitten im Bazar-Zelt darauf, von den Besuchern gestaltet zu werden – als bunte Botschaften der Demokratie und als Debattierplattformen eben zum Motto: „Wir braucht Dich!“ Nach dem Festival können die Bänke von Paten erworben werden.
Freiluft-Performances
Dass das Tollwood nicht bloß ein weiterer Christkindlmarkt ist, liegt auch an den zauberhaften Darbietungen auf den gekiesten Plätzen und in den Gassen des Budendörfchens, die die Besucher in eine eigene Welt der Fantasie entführen. Da reicht oft schon ein Funken – aus dem dann ein Flammenmeer wird, das die Feuerkünstler seltsamerweise doch bändigen können wie Moses das Meer. Allabendlich gibt es andere Shows auf dem Feuerplatz zwischen U-Bahn Theresienwiese und dem bunten Zaun. Ein Flammenmagier ist ganz neu dabei: der Este Tauri Vahessar. Der einstige Hollywood-Stuntman will hoch hinaus, er hält unter anderem den Weltrekord für den höchsten Sprung auf einer brennenden Slackline (7., 8., 11. bis 15. Dezember).
Zum Staunen sind auch die vielen Gaukler: Mr. Vita aus Sevilla, ein Clown, der als „The Spanish Gentleman Juggler“ mit Angelruten und Witzen jongliert (3. bis 6. Dezember); Sirus, der Kunstpfeifer, der sich selbst mit der Violine begleitet (11. bis 15. Dezember); das nostalgische Miniaturtheater „Ymedioteatro“ (19. bis 23. Dezember); der Papier-Schneider Mr. Lo (17. und 18.) oder die Truppe „Cie Dynamogene“, die in ihrem „Athletic Cyclo Disco Club“ (AC/DC!) vier Stunden lang Lieblingslieder auf den Plattenspieler auflegt, welchen sie mit einem Fahrraddynamo ankurbeln – welch schöner Umweltgedanke (7. bis 10. Dezember).
Auch Walk-Acts werden wieder umherziehen, mit leuchtenden Riesen-Puppen wie einer fliegenden Schleiereule mit fünfeinhalb Metern Flügelspannweite („Barn Owl“) oder dem mannshohen Pinguin „Blizzard“. Und die gerade bei Kindern beliebten Perchten-Schreckgespenster in Fellen – Rottaler Habergoaß, Hexn und Rauwuggl – holen das Winterwunderland wieder zurück in den urbayerischen Advent (7. Dezember).
Konzerte auf dem Winter-Tollwood
Die Musik spielt beim Winter-Tollwood nicht in der großen Zeltarena (wo für Sommer 2025 zum Beispiel Samu Haber, Roxette, Berq, Jamie Cullum, Element of Crime, Wanda und Patti Smith gebucht sind). Dafür geben im gemütlich dampfenden Hexenkessel-Zelt vorwiegend Lokalgrößen oft nicht weniger eskalierende Konzerte wie die großen Stars, zum Beispiel Titus Waldenfels mit Western Swing (26. November), der „The Voice Senior“-Gewinner Dan Lucas (29. November), John Kirkbride und Ferdl Eichner mit ihrem immer famosen Bluesharp-Blues (6. Dezember), Paul Daly mit Irish Folk (8. Dezember), Dr. Will mit Voodoo Blues (10. Dezember) oder Ecco Di Lorenzo mit seiner Soul-Revue (16. Dezember).
Mit neuer Sängerin in München:„Roxette“ spielen eine exklusive Comeback-Show bei Tollwood
Ersatz für eine Unersetzliche: 2019 starb Marie Frederiksson. Nun tourt ihr Kreativ-Partner Per Gessle mit der schwedischen Star-Sängerin Lena Philipsson. In Deutschland geben sie ein einziges Konzert.
Natürlich wird auch viel Lieblingsmusik nachgespielt, etwa von der CCR-Tribute-Band (26.11.) oder von Deeper Purple (29.11.), Austropop von Austria Ei (am 30. November geben die Eichstätter ihr leider allerletztes Konzert), Elvis und Johnny Cash von Chris Aaron (1.12.) oder „Welthits“ von den Show-Giganten Gerry & Gary (21.12.) – alles Meister der Cover-Zunft.
Immer sonntags gibt es eine Weißwurst-Jazz-Matinee mit ollem „Hot Stuff“. Aber originär junger Pop ist bei bis zu drei Konzerten im Zelt jeden Tag recht wenig vertreten. In Perfektion gibt es Pop allerdings von den Münchner Aufsteigern Raketenumschau (2.12.) – nicht zu verwechseln mit dem Berliner Trio Raketen Erna, das am 14. Dezember ein Kinderkonzert voller „Mutmach-Lieder“ spielt.
Der Markt
Viele Gäste können den Weg zu ihren Lieblingsständen – etwa mit Recycle-Produkten, marokkanischen Teppichen oder den wunderbar von Frauen aus dem Sinai mit Perlen bestickten Täschchen – im großen Bazar-Zelt eigentlich mit geschlossenen Augen laufen. Dabei dürften sie sich heuer allerdings anstoßen: Denn im größten Bazar-Zelt werden die Pfade an den Ständen vorbei diesmal neu arrangiert, etwas weniger gerade, etwas mehr labyrinthisch.
Neu auf dem ganzen Markt der Ideen ist auch etwas Altes: Es gibt das kleinere Mercato-Zelt wieder. Um Energie zu sparen, hatte die Festivalleitung das Zelt vor zwei Jahren abgeschafft und dafür einen Freiluft-Marktplatz geschaffen. Der war sehr stimmungsvoll, aber auch recht kalt, und gerade die Händler wünschten sich wieder ein wärmeres Örtchen mit mehr Kundschaft.
Die Gastronomie hat ebenfalls eine Rückkehr zu vermelden: Es gibt das Esszimmer wieder, in dem ausschließlich vegetarische und vegane Speisen (wie alle natürlich öko-zertifiziert) angeboten werden. Man verzehrt sie dann unter Nudelsieb-Lampen und auf Upcycle-Paletten-Möbeln mit „Wohlfühl-Feeling“.
Neu im Angebot: Eine Kaffeerösterei verkauft das Trend-Gebäck 2024 – Zimtschnecken. Und ein tibetischer Koch serviert von Hand gezogene Bandnudeln.
Silvester-Party auf dem Tollwood
Silvester auf Tollwood, da weiß man, was man hat: Tausende Mitfeiernde, Mitternachtswalzer und der beste Blick aufs Theresienwiesen-Feuerwerk drum herum – und in den vielen Zelten bewährte Stimmungsgaranten wie die Reggae-Popper Jamaram, Falschgeld oder die Keller Steff Big Band. Aber es gibt auch eine Überraschung beim Silvester 2024: die Rückkehr des Harry Klein. Der einstige Lieblings-Electroclub der Münchner musste zuletzt sein Domizil an der Sonnenstraße endgültig räumen, aber bei Tollwood (wo die Harry-Klein-Crew schon einmal das Party-Iglu „Gaby Dom“ aufgestellt hatte) gibt es ein schillerndes Comeback für eine Tanznacht. Im „Esszimmer“-Zelt legt dann mit DJ Karotte nicht nur ein wahrer Techno-Star auf, es batteln sich auch acht Drag-Künstlerinnen im Lip-Sync-Duell. Bunt und schillernd ins neue Jahr.
Mehr Informationen zum Winter-Tollwood:
- Start: Dienstag, 26. November, Ende: Montag, 23. Dezember 2024
- Tägliche Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14 Uhr bis 23.30 Uhr (Gastro bis 0 Uhr), Samstag 11 bis 23.30 Uhr (Gastro bis 0 Uhr), Sonntag 11 bis 22.30 Uhr, Montag 11 bis 22.30 Uhr
- Silvester-Party, Dienstag, 31. Dezember
- Ort: Theresienwiese in München
- Webseite: www.tollwood.de
- Telefon: 089/3838500
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels stand, dass Werner Buss als künstlerischer Leiter und Co-Geschäftsführer von Tollwood das „Festival du Cirque“ konzipiert hat. Buss ist inzwischen nicht mehr für Tollwood tätig, seine exakte Funktion zuvor war künstlerischer Leiter und Mitglied der Geschäftsleitung.