Winter:Frost, Frust und Freude über den Schnee

Winter: 20 Minuten trieb das Reh im kalten Wasser, ehe es Polizei und Feuerwehr retten konnten.

20 Minuten trieb das Reh im kalten Wasser, ehe es Polizei und Feuerwehr retten konnten.

(Foto: Feuerwehr)

Die Minustemperaturen machen Obdachlosen in München zu schaffen. An den Rodelhügeln herrscht Hochbetrieb, Polizei und Feuerwehr retten ein Reh aus Eiswasser.

Von Thomas Anlauf

Es knirscht unter den Schuhen, die braun-weiße Fläche ist gesprenkelt mit Rollsplitt. Schnee geräumt wird hier offenbar nicht mehr richtig, seit sich die Sendlinger Straße im vergangenen Sommer probeweise in eine Fußgängerzone verwandelt hat. Auf der verschneiten Fahrbahn schlendern am Samstag Hunderte Menschen in dicken Mänteln, der Wintereinbruch hat die Grenze zwischen Gehweg und Straße verwischt.

Nur zwei alte Bettler stehen bei Minusgraden neben der Asamkirche auf dem Bürgersteig. Für die meisten ist es zu kalt. Die wenigen Männer, die an den üblichen Orten kauern, sind eingehüllt in Decken und Mäntel. Ein Mann wärmt sich am weichen Fell seines grauen Hundes. Er hat die Nacht im Warmen irgendwo in Neuperlach verbracht, sagt er. Mit seinem Hund könne er nicht in den städtischen Kälteschutz. Dabei sind die Temperaturen in der Nacht zum Samstag auf Minus 14 Grad gefallen, auch am Tag danach herrscht noch immer strenger Frost.

Der massive Wintereinbruch der vergangenen Tage ist vor allem für Obdachlose lebensbedrohlich. Die Münchner Streetworker suchen die Menschen an ihren Stammplätzen auf, wollen sie in den Kälteschutz in der ehemaligen Bayernkaserne bringen. Der privat organisierte Kältebus von Berthold Troitsch ist in diesen kalten Nächten in der Stadt unterwegs. Er und seine ehrenamtlichen Helfer bringen denen Kaffee, Tee und eine warme Mahlzeit, die sich nicht trauen, in die kostenlose Notunterkunft im Münchner Norden zu gehen, weil sie dort namentlich registriert werden.

Auch viele Tiere kämpfen derzeit mit dem Winterwetter. Straßen und Gehwege sind mit Streusalz durchtränkt, viele Hundebesitzer verpassen mittlerweile ihren Tieren Schuhe für die Pfoten. Wegen eines ins Eis eingebrochenen Rehs sind sogar Polizei und Feuerwehr ausgerückt, um das Tier aus der nur teilweise zugefrorenen Regattastrecke zu retten. Das zitternde Reh wurde in einem Polizeibus so lange getrocknet und gewärmt, bis es wieder in den Wald entlassen wurde.

Im Tierpark Hellabrunn wiederum scheint es richtige Genießer der klirrenden Kälte zu geben. Eisbär Yoghi etwa nutzt die Zeit, so lange Giovanna mit ihrem Neugeborenen in der Geburtshöhle liegt, um im Schnee zu stöbern. Auch der kleine Nashorn-Bulle Puri ist offenbar ein Winter-Fan und trampelt durchs verschneite Gehege. Sogar das Münchner Elefanten-Quartett hat sich am Wochenende ins Schneegestöber gewagt - "allerdings nur stundenweise, sonst könnten sie sich erkälten", sagt Tierparksprecherin Lisa Reininger. Hin und wieder trauen sich die Paviane ins Freie. Die Primaten in Hellabrunn wie die Flachland-Gorillas und die Sumatra-Orang-Utans bleiben hingegen lieber im Warmen. "Die vertragen Kälte gar nicht", so Reininger.

Das kann man von vielen Münchnern nicht behaupten. Am Rodelhügel im Luitpoldpark, am Olympiaberg und den Maximiliansanlagen unterhalb des Landtags rutschen Zehntausende Kinder und ihre Eltern die Hänge hinunter. An der Theresienwiese sind gleich mehrere Hänge für Rodler freigegeben. "Wir kommen jeden Winter ein bis zwei Mal her", sagt eine junge Mutter, die mit ihren Kindern David und Lisa an der Theresienhöhe steht und einen Schluck heißen Tee aus der Thermoskanne trinkt. Wie die meisten hier wohnt die Familie in der Nähe, im Westend.

Ein paar Kilometer westlich geht es fast so zu wie am Stachus. Auf dem knapp eineinhalb Kilometer langen Schlosskanal stehen Tausende Münchner auf dem blank polierten Eis beim Stockschießen, andere ziehen auf Schlittschuhen ihre Kinder hinter sich her, die dick eingepackt auf Schlitten sitzen. Nur vorne am Schlossrondell geht noch nichts, die Schlösser- und Seenverwaltung hat den Teich noch nicht freigegeben. Seit Freitag hat der alte Bauwagen geöffnet, in denen Besucher Schlittschuhe und Eisstöcke mieten können, oder sich bei Grog und Glühwein etwas aufwärmen.

Von warmen Getränken konnten viele Münchner Fahrgäste am Wochenende nur träumen. Vor allem wegen eingefrorener Weichen in Pasing, Feldmoching und Riem fielen immer wieder S-Bahnen aus, am Samstag kam es auf der Stammstrecke zum Teil zu massiven Verspätungen. Auch die Trambahnen konnten nicht immer so fahren, wie sie sollten. So mussten am Sonntagfrüh die Trambahnen der Linie 16 "witterungsbedingt" nur bis zum Effnerplatz fahren, die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG setzte Ersatzbusse und kostenlose Taxis bis St. Emmeram ein.

Von einem befürchteten Verkehrschaos angesichts des heftigen Wintereinbruchs blieb München jedoch verschont. Die MVG setzt bei solchen Wetterlagen ihre eigenen Schneeräumfahrzeuge ein, die zum Teil sowohl auf der Straße als auch auf den Trambahnschienen unterwegs sind. "In Extremfällen stehen neben dem technischen Gerät auch Mitarbeiter mit Schaufeln, Schneeschiebern und Rollsplitt parat", teilt Christian Miehling von den Stadtwerken mit.

Im Großeinsatz waren am Wochenende auch die Pannenhelfer der Automobilclubs, um vor allem Starthilfe bei defekten Batterien zu geben. Sie seien an eiskalten Tagen wie am Wochenende "Pannenursache Nummer eins", wie ADAC-Sprecher Rudolf Vogler sagt. Für den ADAC war insbesondere der Sonntag ein "Hochlasttag", denn Tausende Urlauber und Ausflügler kehrten mit dem Auto aus den Bergen zurück. Vor allem auf den Autobahnen A9 und A 99 in Richtung München bildeten sich am Sonntagnachmittag lange Staus. Zwischen Weyarn und Ramersdorf, aber auch auf der Lindauer Autobahn bei Gräfelfing und der Nürnberger Autobahn im Münchner Norden ging zeitweise nichts mehr voran. Schuld waren mehrere Unfälle bei zum Teil eisglatten Fahrbahnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: