Wirtschaft in München:Scharfer Gegenwind

Wirtschaft in München: Die bisher in Sendling ansässige Firma Polytech baut Sensoren für Windräder. Das Bild zeigt die Montage eines Rotorblattes.

Die bisher in Sendling ansässige Firma Polytech baut Sensoren für Windräder. Das Bild zeigt die Montage eines Rotorblattes.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die in Sendling ansässige Firma Polytech Wind Power Germany soll nach Dänemark umgesiedelt werden. Der Betriebsrat protestiert, es geht um 45 Arbeitsplätze.

Von Julian Raff

Münchens Anziehungskraft auf Techfirmen kann man feiern oder fürchten - sie verhindert auf jeden Fall nicht, dass die Landeshauptstadt im Standortwettbewerb auch unterliegen kann. Ein aktuelles Beispiel aus Sendling schmerzt umso mehr, als hier nicht nur zahlreiche Arbeitsplätze abzuwandern drohen, sondern auch wertvolles Fachwissen zur Optimierung regenerativer Energie: Der Windenergie-Konzern Polytech hat vor knapp drei Jahren ein erfolgreiches, 2010 gegründetes Sensortechnik-Startup aufgekauft und plant nun die komplette Verlegung an den dänischen Stammsitz. Im Gewerbepark an der Thalkirchner Straße 210 verlieren damit womöglich die verbliebenen 45 Mitarbeiter ihre Stellen, nachdem der neue Eigentümer zuvor die Belegschaft von bis zu 120 Voll- und Teilzeitbeschäftigten bereits stark ausgedünnt hat.

Unter dem Namen fos4X startete das Unternehmen 2010 als TU-Ausgründung, spezialisiert auf Sensoren, die per Fiberoptik beziehungsweise Glasfasertechnik im Inneren von Windkraft-Rotorblättern installiert werden können und minimale Verformungen messen. Die Technologie kann unter anderem Vereisung erkennen und die Umgebung so vor Eisschlag schützen. In erster Linie hilft sie aber, die Anlagen über ihre etwa 20-jährige Laufzeit durch optimierte Anstellwinkel effizienter zu machen und den wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen zu erhöhen.

Soft- und Hardware werden bislang auf dem Sendlinger Betriebsgelände getestet, das, ungewöhnlich für die Tech-Branche, eingebettet ist in ein lebendiges Wohnviertel und dazu noch nahe an der Isar. Das Unternehmen spielt auf seinem Gebiet weltweit auf den vorderen Plätzen mit, auch wenn es abseits der großen Windparks und Branchen-Hochburgen im Norden Deutschlands liegt. Kein technischer Grund für einen Umzug, versichert Betriebsrats-Chefin Christine Heimerl.

Die Sensoren müssen, um im Rotor zu funktionieren, ohnehin in handliche Kästchen passen, die sich ohne Sonderlogistik, wenn nötig auch per Paketversand in alle Welt exportieren lassen. Nächtliche Sondertransporte über gesperrte Straßen, wie man sie mit der Branche assoziiert, fallen jedenfalls nicht an. Lohnkosten dürften ebenfalls kaum eine Rolle gespielt haben: Das dänische Durchschnittsgehalt liegt seit Jahren konstant etwa ein Drittel über dem deutschen Wert. Eine eigene Arbeitnehmervertretung hat die Belegschaft vor einem Jahr gegründet. Anderthalb Jahre zuvor hatte Polytech das Vorgängerunternehmen übernommen, dessen Gründer Lars Hoffmann Verkaufspläne bereits 2017 öffentlich gemacht hatte. Im neu benannten Unternehmen "Polytech Wind Power Germany" wurde zunächst der Geschäftsführer "sehr unsanft entlassen" erinnert sich Christine Heimerl.

Die folgende Kündigungswelle kostete rund zehn Prozent der Belegschaft den Job. In einer zweiten Welle trennte sich das Unternehmen hauptsächlich von seiner Aftermarket-Abteilung, also jenen Mitarbeitern, die den nachträglichen Einbau der Sensoren in bereits bestehende Windräder organisiert hatten. Die Münchner Teamleiter wurden schließlich durch dänische Vorgesetzte ersetzt. Auch in weiterer Folge sei der Betrieb in einer "Demoralisierungskampagne" immer mehr "ausgehöhlt" worden, sagt Heimerl. Ob nachlassende Branchenkonjunktur die Einschnitte wirklich nötig macht, bleibt offen.

Wirtschaft in München: Will nicht kampflos aufgeben: Betriebsratsvorsitzende Christine Heimerl und ihr Stellvertreter Anton Groethuysen.

Will nicht kampflos aufgeben: Betriebsratsvorsitzende Christine Heimerl und ihr Stellvertreter Anton Groethuysen.

(Foto: Robert Haas)

Heimerl gibt sich optimistischer als die Polytech-Leitung. Auch wenn sich der Windkraftausbau in Mitteleuropa verlangsamt hat, dürften die Sensoren weltweit weiter Absatz finden. Außerdem, so die Betriebsratschefin, kämen die frühen Windrad-Generationen in die Jahre und würden entweder aus Altersgründen ausgetauscht oder durch größere, ertragreichere Modelle ersetzt. Der Konzern ließ eine SZ-Anfrage unbeantwortet. Stattdessen verteidigt er in einer Mitte April veröffentlichten Pressemitteilung seine "strategische Entscheidung", die Sensortechnik in den dänischen Standort einzugliedern und nennt dort den 30. Juni als Datum der Schließung.

Eine "Provokation", die lediglich darauf abziele, mit einer Maximalforderung in die Abwicklungsverhandlungen zu gehen, so nennt das Heimerl. Hinter den Kulissen habe Polytech angekündigt, die Arbeitsverträge Ende Juni zu kündigen, mit Wirkung zum 30. September. Vorschläge für einen Sozialplan oder für Abfindungen hat der Mutterkonzern der Belegschaft bisher nicht gemacht. Auch von Umzugsangeboten weiß Heimerl nichts. Abgesehen davon, dass der Firmensitz in einer wenig attraktiven ländlichen Gegend an der dänischen Westküste liegt, habe die Konzernleitung kein Interesse daran gezeigt, Münchner Mitarbeiter zu übernehmen.

Sie hoffen auf Hilfe aus dem Wirtschaftsreferat

In Sendling bezweifelt man daher, dass es den neuen Eigentümern jemals um viel mehr gegangen sei als die Patente. Die Betriebsschließung schadet der Stadt und dem Viertel sozial- wie standortpolitisch, betonen Heimerl und ihre Kollegen und Kolleginnen. Um zu retten, was zu retten ist, haben sie nun unter anderem eine Protestnote herausgegeben und bitten die Münchner um Unterstützung per Unterschrift. Außerdem haben sie Kontakt mit dem Bezirksausschuss und Stadträten diverser Fraktionen aufgenommen und hoffen darüber hinaus auf Hilfe aus dem Münchner Wirtschaftsreferat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: