Willkommenskultur:"Ein Stück Würde zurückgegeben"

Andrea Betz in München, 2019

Andrea Betz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Für Andrea Betz, Sprecherin der Münchner Wohlfahrtsverbände, ist es überfällig, dass München sich zu Humanität bekennt

Interview von Thomas Anlauf

Der Hauptbahnhof war voll mit Geflüchteten, als Andrea Betz ihren neuen Job antrat. Zehntausende kamen in den Septemberwochen 2015 nach München, um hier Asyl zu finden. Es waren Wochen der Hilfsbereitschaft und der Improvisation, um die ankommenden Menschen hier unterzubringen und sie in München zu integrieren. Seit nun gut vier Jahren leitet Betz bei der Inneren Mission die Abteilung Hilfen für Flüchtlinge, Migration und Integration; mittlerweile ist sie auch Sprecherin der Münchner Wohlfahrtsverbände.

SZ: Frau Betz, wie haben Sie die vergangenen Jahre persönlich erlebt?

Andrea Betz: Am Anfang gab es überwältigend viel positive Energie - von Leuten, die haupt- und ehrenamtlich geholfen haben, zudem rasche Unterstützung aus Stadtpolitik und Verwaltung. Das war auch notwendig, um die vielen Herausforderungen zu meistern. Vieles in der Flüchtlingsarbeit ist mittlerweile routinierte Arbeit. Jetzt merke ich aber, dass wir uns wieder mehr für Geflüchtete stark machen müssen, auch öffentlich. Bei den Ehrenamtlichen stelle ich drei Entwicklungen fest: Viele sind politisch geworden, was man auch an den starken, bunten Demonstrationen erkennt. Viele sind weiter aktiv und viele leider frustriert abgezogen.

Verständlich: Viele Menschen wurden abgeschoben, andere leben noch immer in Unterkünften, ohne eine Perspektive auf eine Zukunft in München.

Es ist schon frustrierend, zu sehen, wie die derzeitige Asylpolitik der Würde der Geflüchteten schadet. Bei mir persönlich ist es nicht so, dass ich den Kopf in den Sand stecke. Ich versuche, Strukturen und Rahmenbedingungen für Menschen zu verbessern. Da werden wir auch von den Wohlfahrtsverbänden nicht müde, darauf hinzuarbeiten. Positiv ist, dass vom Stadtrat viele wichtige soziale Angebote in der Flüchtlingsarbeit gefördert werden.

Im vergangenen Frühjahr gab es viel Kritik an den Zuständen in der staatlichen Flüchtlingsunterkunft der Funkkaserne. Was lief da schief - und was haben Sie dort erreichen können?

In der Funkkaserne haben wir die Auswirkungen der Asylpolitik auf Bundes- und Landesebene erlebt. Die Politik der Anker-Einrichtungen ist keine wohlwollende, sondern eine abschreckende Politik. Und die hat in der Funkkaserne voll eingeschlagen. Besonders um die Situation von Kindern und Jugendlichen haben wir uns große Sorgen gemacht. Die Wohnsituation dort war viel zu beengt. Die Zustände im Haus haben die Menschen massiv gestresst. Es war klar, das da dringend etwas am Konzept und an der räumlichen Situation geändert werden muss. Von Seiten der Inneren Mission haben wir einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt. Und man hat es schließlich gesehen: Allein durch eine geringere Belegung des Hauses nach der öffentlichen Kritik hat sich die Situation für die Menschen dort massiv verbessert. Auch dass die Einrichtung mit einer Sanierung aufgewertet wurde, hat den Menschen ein Stück Würde zurückgegeben.

Sie sind auch Mitinitiatorin des Münchner Manifests für europaweite Solidarität und ungeteilte Menschenrechte, das im Juli 2018 verfasst wurde.

Wir wollten ein zivilgesellschaftliches Signal setzen. Solidarität mit geflüchteten Menschen zeigen. Asyl ist ein Menschenrecht und es steht in unserem Grundgesetz. Wir sollten allen Menschen, die in unserem Land Asyl beantragen, erst mal aufgeschlossen gegenüber sein. Das sind wir aber nicht, wenn sich Europa abschottet und Menschen im Mittelmeer ertrinken. Wir haben deshalb mit mehr als 65 Organisationen und Verbänden, die sich im Sozialbereich engagieren, das Manifest vorgelegt, Tausende Unterschriften gesammelt und mischen uns weiterhin in den politischen Diskurs der europäischen Flüchtlingspolitik ein. Deshalb laden wir auch an diesem Samstag um 11 Uhr am Frauenplatz vor dem Dom mit Seenotrettungsvereinen zu einer Mahnwache ein für diejenigen Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind; um 13 Uhr werden im Liebfrauendom die Namen von Ertrunkenen verlesen.

Die Stadt übernimmt nun eine Patenschaft für ein Rettungsschiff und hat sich zum "sicheren Hafen" erklärt. Bringt das etwas oder ist das reine Symbolpolitik?

Nun, Symbolpolitik hat auch oft eine Wirkung. Ich denke, dass es längst überfällig ist: Wir müssen uns als große und wohlhabende Stadt ganz klar zu Humanität, auch über München hinaus, bekennen. Ich bin auch dafür, dass München mit mehreren Hafenstädten aktiv Kontakt aufnimmt - Algeciras, Lesbos hier ist München! Ihr könnt auf uns zählen. Wir übernehmen eine realistische Zahl von Geflüchteten.

Woher sollen aber die Unterkünfte oder gar Wohnungen für Geflüchtete in München kommen? Viele leben seit Jahren in ungeeigneten Einrichtungen, weil es viel zu wenige Wohnungen in der Stadt gibt.

Da sprechen Sie die Erweiterung der Kapazitäten des städtischen Unterbringungssystems und mehr bezahlbares Wohnen an. Ich vermisse tatsächlich, dass der Stadtrat in letzter Zeit weitere Kapazitäten erschlossen hat, beispielsweise weitere Flexiwohnheime. Man hat fast den Eindruck, das passt nicht in den Wahlkampf. Aber es braucht dringend einen Plan zur Schaffung neuer Wohnraumkapazitäten und besonders eine entschlossene Umsetzung. Mancherorts gibt es Widerstand in der Bevölkerung. Aber da ist auch die Stadtpolitik gefordert, frühzeitig und offensiv für neue Nachbarschaften in den Stadtteilen, zu werben. Weil alle Menschen in unserer Stadt dazugehören und bezahlbaren Wohnraum benötigen. Fühlen sich Menschen hingegen abgehängt und nicht dazugehörig, gefährdet das den sozialen Frieden in der Stadt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: