Willi-Graf-Gymnasium:Wie Schüler und Lehrer gegen Diskriminierung ankämpfen

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In ihrem Arbeitskreis setzen sich die Zehntklässler Lena Reese, Semi Altintac, Prannavan Surendran und Adrian Purius (von links) mit verschiedenen Projekten gegen Rassismus am Münchner Willi-Graf-Gymnasium ein. (Foto: Catherina Hess)
  • Schüler, aber auch Eltern erleben an Schulen Ausgrenzung, Benachteiligung, Spott oder Gewalt.
  • An den meisten Münchner Schulen gibt es Projekte, die den respektvollen Umgang miteinander zum Inhalt haben.
  • Das Projekt des Willi-Graf-Gymnasiums wird nun ausgezeichnet.

Von Christina Rebhahn-Roither, München

Fünf Schüler und vier Lehrkräfte des Willi-Graf-Gymnasiums sitzen um einen Tisch mit Schälchen voller Schokolade. Schon bevor die erste Süßigkeit ausgepackt ist, diskutieren sie über Weltkarten mit kleinen Stecknadeln, über sexistische Bemerkungen in einer Klasse und die Organisation eines wichtigen Termins. Die Gruppe trifft sich einmal wöchentlich, um sich Gedanken zum Thema Diskriminierung an der Schule zu machen.

Der Name des Arbeitskreises ist gleichzeitig der Titel, den die Schüler an diesem Mittwoch verliehen bekommen werden: "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". Voraussetzung dafür ist, dass sich mindestens 70 Prozent der Menschen an einer Schule per Unterschrift dazu verpflichten, sich in Zukunft für einen Alltag ohne Rassismus einzusetzen.

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Ob es aktuell große Probleme mit Rassismus am Gymnasium gibt? " Ich hab eigentlich gar nicht so das Gefühl", sagt eine Schülerin und ein Mitschüler fügt hinzu: "Es sind kleine vereinzelte Vorfälle, die halt auch unterbunden werden sollen. Weil ich selber auch Rassismus und Diskriminierung erfahren habe, finde ich es wichtig, dass andere Menschen ohne das aufwachsen."

Dass Diskriminierung und Rassismus an Münchner Schulen zum Alltag gehören, steht für Michael Schneider-Velho vom Pädagogischen Institut in München fest. "Eine Schule die behauptet, dass es keinerlei Diskriminierung und Rassismus gibt, wäre eher verdächtig", sagt er. Nicht immer geschehe Diskriminierung absichtlich und gewaltvoll. Für Außenstehende sei sie deshalb oft gar nicht wahrnehmbar.

In anderen Fällen passiert sie ganz offensichtlich: Semire Gülüm-Sahin von der Initiativgruppe "Interkulturelle Begegnung und Bildung" ist für Elternberatung in Grund- und Mittelschulen zuständig. Gülüm-Sahin erzählt von einem Vorfall zwischen einem Rektor und einer Mutter mit Kopftuch. Nach Weihnachten sollten die Schüler alleine ins Klassenzimmer gehen, die Mutter wollte ihr Kind dennoch begleiten und wurde vom Schulleiter angebrüllt: "Ihr Scheiß-Türken, versteht ihr nicht, dass man das Kind nicht ins Klassenzimmer begleitet?"

Trotzdem sei der Rektor dann offen für Angebote gewesen, berichtet Gülüm-Sahin. Dieses Verhalten des Schulleiters sei sehr typisch. "Es wird pauschalisiert und generalisiert", sagt die Beraterin. Dem stimmt Schneider-Velho zu: "Einzelne Kinder werden nicht als Individuen gesehen, sondern als Repräsentanten einer bestimmten Gruppe". Wenn jemand nicht in das Bild passe, sei das sofort ein Ausnahmefall. Gülüm-Sahin selbst trägt zum Beispiel kein Kopftuch, da heiße es immer "aber du bist anders".

Diskriminierung zeigt sich nicht nur am Pausenhof unter Schülern, auch Schulpersonal und Eltern können betroffen sein. Auch Routinen wie das Empfehlungsschreiben nach der Grundschule, eine Art Zeugnis, sind laut Schneider-Velho oft "gefärbt von den Bildern im Kopf". Sprache und Schulmaterialien seien ebenfalls Quellen für Ungleichbehandlung, zum Beispiel wenn ausschließlich Männer in dominierenden Positionen gezeigt werden oder nur bestimmte Gruppen für die vorweihnachtliche Spendenaktion abgebildet werden. "Das Bewusstsein für die Thematik ist in Deutschland gerade erst am Erwachen", sagt Schneider-Velho.

Die Folgen von Diskriminierung in der Schule seien vielfältig, erklärt der Experte. Kinder gingen unterschiedlich mit der Ungleichbehandlung um, manche hilflos und verzweifelt, andere wütend und widerständig. Ständige Alarmbereitschaft, Depressionen, Stress und Traumata können die Folge sein. Schneider-Velho berichtet von dunkelhäutigen Kindern, die sich weiß waschen wollen und Hauthelligkeitscremes benutzen, um dazuzugehören: "Es ist ein Anpassungsstress, der nie zum Ziel führt, so lange die Gesellschaft diese Ausgrenzungsmechanismen beibehält."

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Aktuell wird an Münchens Schulen einiges unternommen, um gegen Diskriminierung anzukämpfen. Das Pädagogische Institut bietet eine Beratungsstelle sowie Zusatzqualifikationen für Lehrkräfte an. Schneider-Velho meint, es sei vor allem wichtig, richtig auf Vorfälle zu reagieren und ein Vorbild zu sein. Außerdem werden Workshops für Schüler organisiert und es gibt einen zentralen schulpsychologischen Dienst. Für "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" übernimmt das Institut die Regionalkoordination.

Stadtschulrätin Beatrix Zurek hat eine klare Meinung zu den laufenden Initiativen: "Was solche Projekte betrifft, hat man nie den Schwellenwert erreicht, ab dem man zufrieden ist, weil es eine Daueraufgabe ist. Man muss es so hinbekommen, dass das Thema permanent auf dem Schirm ist." Als großes Leitziel sieht sie Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Um dieses zu erreichen, brauche es diskriminierungsfreie Schulen.

Schneider-Velho sieht wachsendes Interesse an den Projekten und beobachtet, dass die Themen nicht mehr ausgeblendet, sondern besprochen werden. Dennoch bleibt er skeptisch: "Ich fürchte, dass sich Zuspitzungen aus gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen auf das Klima in den Schulen auswirken, denn Schulen bilden die Gesellschaft ab."

Am Willi-Graf-Gymnasium kümmert sich die kleine engagierte Gruppe, die sich nach der Titelverleihung Zuwachs erhofft, unterdessen um die letzten Vorbereitungen für die Verleihung. Ihre Lehrerin sieht schon jetzt eine größere Sensibilität gegenüber dem Thema, und auch Zukunftspläne haben die Jugendlichen bereits: "Wir haben vor, dass jeder Schüler seinen Handabdruck mit Farbe im Treppenhaus verewigt."

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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