Süddeutsche Zeitung

Problem Wildpinkler:Wie bringt man Fußballfans zum sozialverträglichen Urinieren?

Verbote helfen kaum gegen Wildpinkler. Die Forschungen der Münchner Professorin Natalie Eßig dagegen könnten nicht nur an der Fröttmaninger Arena einiges verändern.

Von Jakob Wetzel

Besonders übel ist es an der U-Bahn-Haltestelle Fröttmaning. Hier führt eine Brücke vom Vorplatz des Stadions zu den Gleisen, und bevor es in den Zug geht, machen Fußball-Fans offenbar gerne einmal einen Abstecher an deren Außenwand. Studentinnen und Studenten der Hochschule München haben nachgezählt: Vor und nach einem Spiel in der Arena urinierten an diese Mauer pro zehn Minuten bis zu 50 Personen. Und das führe zu einigen Problemen, vor allem aber zu Gestank und Dreck, sagt Natalie Eßig. Mauern und Büsche vor dem Stadion müssten regelmäßig gereinigt werden, erklärt die Professorin für Baukonstruktion und Bauklimatik. "Und der Geruch ist sehr unangenehm."

Natalie Eßig kennt eine einfache Lösung für dieses Problem, und gerade entscheidet sich, ob ihr Konzept eine Chance in der Praxis bekommt. Die Expertin für nachhaltigen Stadionbau hat gemeinsam mit ihren Studenten, mit dem Münchner Projektingenieurbüro Companeer und den Naturschutz-Planern des Büros Pan zwei Konzepte entwickelt: mobile Toiletten, die aussehen wie große Pflanzenkübel, sowie stationäre "Pinkelbeete". Fußball-Fans könnten demnach auch in Zukunft ihr Geschäft im Freien verrichten, wenn sie wollen. Nur hätten sie dann Flächen, auf denen sie das auch dürfen.

Die zwei Ideen sind die Ergebnisse einer durchaus systematischen Forschungsleistung. Schon im Wintersemester 2016/17 hat Eßigs Projektgruppe an der Hochschule München zum Beispiel die Geschichte öffentlicher Bedürfnisanstalten studiert und untersucht, warum Männer mit Vorliebe gegen Hindernisse wie Wände pinkeln (sie schützen vor neugierigen Blicken sowie vor Gegenwind, und auch die Akustik spielt offenbar eine Rolle). Sie haben die Lage in Fröttmaning analysiert und die besonders belasteten Flächen identifiziert, Eßig nennt sie die "Hotspots". Vor allem aber haben die Studierenden nach den Gründen gesucht, warum Menschen - das heißt in diesem Fall fast ausschließlich: Männer - gerne in Gruppen unter freiem Himmel urinieren.

Dafür haben sie sogar in flagranti ertappte Wildbiesler befragt. Das Problem besteht demnach keineswegs nur in einem Mangel an Klos, sondern diejenigen Toiletten, die es gibt, werden auch nur ungern genutzt. Das liegt einerseits daran, dass sie zuweilen schmutzig sind und stinken, andererseits geschieht das aus bloßer Geselligkeit: Mann ist beim Bieseln offenbar nicht gern allein. Wissenschaftler sprechen deshalb auch von "Sozialpinkeln".

An der Fröttmaninger Arena ist das Problem teilweise hausgemacht. "Die Toiletten sind ungünstig postiert", sagt Natalie Eßig. In der Arena selbst gebe es zwar viele Pissoirs. Doch nach dem Schlusspfiff wollen viele Fans schnell nach Hause, es beginnt eine Art Wettlauf zu U-Bahn oder Auto, denn wer trödelt, der wird im Stau stehen. Das Bedürfnis kommt dann unterwegs, doch auf der Esplanade gibt es keine großen Toilettenanlagen.

Man könne dort auch nicht nachrüsten, sagt Eßig, es fehlen die Abwasserrohre, die Esplanade ist ja das Dach der Tiefgarage. Und vor der Brücke zur U-Bahn steht zwar ein WC. Das aber wird offenbar dem Andrang nicht gerecht. Oder es wirkt nicht einladend genug.

Der FC Bayern hat auf das Verhaltensmuster seiner Fans bislang hauptsächlich mit Hinweisschildern reagiert: An den Gebüschen auf der Esplanade klären Pfeile und Übersichtskarten darüber auf, dass es in der Tiefgarage und im Stadion Klos gibt. An den niedrigen Seitenmauern - den Studenten zufolge urinieren hier vor und nach einem Spiel pro zehn Minuten immerhin bis zu 20 Personen - prangen im Abstand von wenigen Metern Plaketten mit der Aufforderung, jene Toiletten doch bitte auch zu benutzen, "Zuwiderhandlungen führen zu sofortigem Hausverbot". Im Sommer 2015 drohte der Verein Wildbieslern gar mit dem Entzug ihrer Dauerkarten.

Eßig will einen anderen Weg gehen, sie will die Fans nicht abschrecken, sondern ihnen in ihrer Not ein niedrigschwelliges Angebot machen. Im Fall der mobilen Klokübel bestünde dieses aus einem 1,20 Meter hohen und 1,50 Meter breiten Kunststoffkasten, aus dem Blümchen oder auch ein Baum herauswachsen könnten. Wer ihn benutzen will, müsste seitlich eine Klappe öffnen, ansonsten wäre auf den Seitenwänden auch Platz für die Werbung von Sponsoren. Gefüllt werden könnte der Kübel etwa mit Toilettenstreu und Rindenmulch. Fassen könnte er 250 Liter Urin; veranschlagt man eine Blasen-Entleerungsmenge von im Durchschnitt 450 Millilitern, könnten in einen Kübel also etwa 550 Fans urinieren, bevor er geleert werden muss.

Dass sich diese Idee in der Praxis bewähren kann, zeigt sich gerade in Frankreich: Dort hat eine Firma parallel zu den Münchnern ein ähnliches Konzept erarbeitet. Die Franzosen sind aber bereits etwas weiter: In Paris sind bereits Bieselkübel-Prototypen im Testeinsatz, sie heißen "Uritrottoirs". Die zweite Idee der Münchner, die Pinkelbeete, sind dagegen einzigartig.

Das Wort "Beete" dürfe man dabei nicht missverstehen, sagt Natalie Eßig. Es werde darauf nichts angebaut, es handle sich einfach nur um Flächen, auf die man sich erleichtern dürfe, sagt sie. In den Entwurfzeichnungen sind diese Beete zum Sichtschutz mit Stelen oder einer Wand ausgestattet und über Rohre mit Klärteichen verbunden. Das sei eine ökologische Lösung, sagt Eßig. Solange die Teiche komplett unter Wasser lägen, würde man auch nichts riechen. In Fröttmaning böte sich für solche Beete vor allem die Grünfläche vor der Wand der Brücke zur U-Bahn an.

Langfristig ließe sich die Idee auch noch weiter denken, denn betroffen ist ja nicht nur das Stadion der Bayern, und das Problem ist auch nicht allgemein auf Fußballstadien oder auf München beschränkt. Öffentlich ruchbar wird der Ärger mit Wildbieslern zwar selten, aber es gibt ihn in jeder Großstadt, in der sich Menschen zum Feiern treffen. Zum Beispiel in Köln: Dort verzweifelten die Anwohner im vergangenen November geradezu an den Fluten von Urin, die sich an Hauswände und auf Parkplätze ergossen. Oder in Ulm: Dort erleichterten sich Besucher von Volksfesten und Weihnachtsmärkten so lange ans Münster, bis die Kirche über Schäden an der Bausubstanz klagte und zur Abschreckung Kameras und starke Lampen installierte. Paradebeispiel sei aber der Berliner Tiergarten, sagt Eßig. Bei großen Fußball-Turnieren führt eine riesige Fanmeile durch den Park, und dieser ächzt daraufhin jedes Mal wieder unter Tausenden Hektolitern Urin. Mit harmlosem Blumengießen hat das wenig zu tun, es ist zu viel. Die Fans trampeln Pfade ins Grün, und ihr Urin schädigt die Pflanzen, er entzieht ihnen Wasser.

Pinkelbeete wären womöglich auch hier eine kostengünstige und ökologische Lösung. Eßig und ihre Partner setzen aber zunächst auf Fußballstadien. "Es wäre schade, wenn man in Deutschland keine Stadionbetreiber fände, die so etwas gerne umsetzen würden", sagt die Professorin. Ihr Partner Jochen Lerche, einer der Geschäftsführer von Companeer, ist aber guter Dinge. Er habe die Idee bereits der Kommission der Stadionbetreiber vorgestellt, sagt er. Das Konzept sei dort sehr gut angekommen. In Köln, in München, in Gelsenkirchen lägen die Pläne nun auf dem Tisch. Bis dahin wolle man Prototypen bauen. Jetzt suche man verstärkt nach Sponsoren.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2018
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