Wilde Zeiten:Po-Polster für Klaus Kinski

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Regisseur Werner Herzog schickte seinen Hauptdarsteller zu Edith Jerabek, Rainer Werner Fassbinder ließ sich in ihrer Lederschneiderei einen Leoparden-Anzug anfertigen und zahlte mit ungedecktem Scheck - jetzt denkt die 78-Jährige an den Ruhestand

Von Gerhard Fischer

Edith Jerabek hält ein bedrucktes Stück Papier in der Hand. "Das ist ein ungedeckter Scheck von Rainer Werner Fassbinder", sagt sie. Fassbinder hatte bei Jerabek einen Leoparden-Anzug bestellt - für den Film "Kamikaze 1989", in dem er den Polizisten Jansen spielte. 3332 Mark steht in der Ecke des Schecks, der als Anzahlung gedacht war. 1982 ist das gewesen, es war das Jahr, in dem Fassbinder gestorben ist.

Edith Jerabek hat seit 1970 ihren Schneiderladen "Lederatelier" in der Baaderstraße. Wer ihn betritt, macht eine Zeitreise. Erstens gibt es solche Geschäfte kaum noch, es passt besser zu alten Tante-Emma-Läden, in denen man den Geruch von Gummibären in der Nase hat; und zu alten Schumacher-Werkstätten, in denen man das Leder riecht. Wenn man Jerabeks Laden betritt, hört man erst mal einen Klingelton. Das ist heimelig. Drinnen betritt man einen PVC-Boden, Nähmaschinen stehen herum, Scheren liegen herum, in einem Regal befindet sich eine Schachtel, auf der "Taschenschlößer" steht. Heute schreibt man Schlösser mit zwei s.

Zweitens erzählt Jerabek Geschichten von längst verstorbenen Menschen, die früher bei ihr Kunden waren, Klaus Kinski zum Beispiel. "Der Regisseur Werner Herzog hat hier in der Erhardtstraße gewohnt - der hat ihn immer mitgebracht", sagt sie. Natürlich wusste auch Jerabek, wie Kinski sein konnte: unbeherrscht, unberechenbar, grob. "Der Herzog hat immer zu mir gesagt: Mit dem Kinski mach' ich keinen Film mehr." Hat er aber dann doch immer wieder gemacht.

Jedenfalls kam Kinski eines Tages in den Laden in der Baaderstraße, er brauchte ein ledernes Rittergewand für den Film "Aguirre, der Zorn Gottes", in dem er den Konquistadoren Lope de Aguirre spielte. "Ich sah' ihn an und sagte: Das wird schwer, das müssen wir auspolstern - Sie haben ja keinen Arsch in der Hose." Jerabek lächelt. "Ich war schon immer frech", sagt sie, "und ich wusste: Entweder springt er mir ins Gesicht oder er würde nett bleiben." Kinski blieb nett. Jerabek fertigte das Rittergewand, und Klaus Kinski schrieb ihr später immer wieder Postkarten, aus Japan oder Brasilien. Edith Jerabek zeigt eine Karte her, auf ihr steht: "Liebe Frau Jerabek, es war keine Zeit mehr, vorbei zu kommen - in ein paar Tagen sind wir im Djungel. Ich schreibe wieder. Liebe Grüße. Ihr Kinski."

Klaus Kinski schrieb ihr immer wieder Postkarten aus der ganzen Welt. (Foto: Florian Peljak)

Edith Jerabek ist 1937 in Steyr in Oberösterreich geboren, sie kam nach dem Krieg ins schweizerische Olten, wo der Pflegevater Bürgermeister war. In den Fünfzigerjahren wollte Jerabek eigentlich in die USA auswandern - ihr Mann hatte eine Tante in Texas. "Aber dann wollten die Amerikaner meinen Mann gleich zum Koreakrieg einziehen, er hätte schon das nächste Schiff nehmen müssen, und da haben wir das gelassen", erzählt sie. Statt nach Houston ging es nach Bruchsal. In Bruchsal bei Karlsruhe lebte die Schwiegermutter, und dort gab es eine große Lederfabrik. Edith Jerabek hatte zuvor als Glaswicklerin gearbeitet, sie hat Perlen, Ringe oder Steine angefertigt. Aber das Nähen von Leder, das habe sie "auch schon immer interessiert", sagt sie. Jerabek fing also in dieser Lederfabrik an und machte "Trachtensachen, schwere Ledermäntel, Motorradjacken". Der Beruf hieß Ledernäherin.

1960 kam sie dann nach München und fand in der Zeitung eine Anzeige: Eine Näherin wurde gesucht. Zur Vorstellung ging sie in eine Villa in der Würmtalstraße. Noch wusste sie nicht, wer sich hinter der Anzeige verbarg. In der Villa erfuhr sie es dann: Es waren der Filmproduzent Gerd Nickstadt und Gunter Sachs, Dokumentarfilmer, Fotograf und Playboy - und nun auch Inhaber einer Fabrik für Textilmode. Edith Jerabek begann in dieser Fabrik in der Dachauer Straße, Curd Jürgens und Horst Buchholz kamen dort vorbei. "Ich habe immer Lederjacken für die gemacht", erzählt sie. Für Sachs selbst fertigte sie Lederhosen an.

Edith Jerabek steht, während sie das erzählt. Immer wieder holt sie Fotos und Postkarten, um zu zeigen, wem sie schon begegnet ist. Sie ist selbstbewusst, wenn sie mit ihrer schönen österreichischen Sprachfärbung erzählt; aber sie wirkt nicht prahlerisch, wenn sie all die Namen erwähnt, Sachs, Kinski und Konsorten.

"Wenn ich einen Nachfolger finde, hätte mein Lebenswerk einen Sinn gehabt", sagt Jerabek

Irgendwann hatte sie "es satt, für andere zu arbeiten", sagt sie. Edith Jerabek wollte einen eigenen Laden aufmachen - und traf auf Widerstände. "Mein Mann sagte: Bist du jetzt größenwahnsinnig?" Und bei der Handwerkskammer meinten sie, den Beruf der Lederschneiderin gebe es nicht - also gehe das nicht mit dem neuen Geschäft. "Ach, das bestimmen Sie?", habe sie geantwortet. Edith Jerabek lächelt wieder. "Ich habe mich immer durchgesetzt", sagt sie. Manchmal stampfte sie auch mit dem Fuß auf, wenn sie wütend war und unbedingt etwas erreichen wollte. Die kleine Frau macht es in ihrem Laden vor. Es sieht immer noch sehr entschlossen auf. Man kann sich vorstellen, was für eine Energie früher in ihr steckte.

Edith Jerabek hat viele prominente Kunden gehabt. (Foto: Florian Peljak)

Edith Jerabek bekam schließlich einen Gewerbeschein, machte die Gesellen- und die Meisterprüfung mit sehr guten Noten, unterschrieb einen Mietvertrag und eröffnete 1970 ihren Laden in der Baaderstraße. "Ich habe den Beruf der Lederschneiderin eingeführt", sagt sie, "ich war ein Pionier." Aber sie macht in ihrem Laden nicht nur Ledersachen, sondern "eigentlich alles". Ein Indianergewand zum Beispiel. Jerabek zeigt ein Bild. "Ich fertige immer Einzelstücke an", sagt sie. Die Kunden kommen aus München, aber auch aus ganz Deutschland und aus dem Ausland. Es seien "Leute mit speziellen Wünschen". Als Meisterin durfte sie Neuanfertigungen machen und Lehrlinge ausbilden. Meistens hatte sie vier Mitarbeiter. Sie zeigt, wo ihre Angestellten saßen. Es muss eng gewesen sein in der kleinen Werkstatt. Heute arbeitet sie alleine.

Jerabek hält kurz inne. Sie ruft sie ihren Hund zur Räson. Der Yorkshire-Terrier zerrt immer wieder an seiner Leine. Es ist ein junger Hund, noch wild, noch ungezogen. "Ich habe ihr eine starke Bullterrier-Leine angelegt, sonst macht sie mir hier alles kaputt", sagt Edith Jerabek. "Die Vorbesitzerin ist ihr nicht mehr Herr geworden - die war schon 82." Jerabek verzieht keine Miene, als sie das erzählt. Ist das trockener Humor? Oder ist ein Alter von 82 für Jerabek, selbst auch schon 78, tatsächlich noch weit weg? Ganz bestimmt fühlt sie sich jünger, als sie ist.

Edith Jerabek hat ihren Laden an jedem Wochentag geöffnet, auch samstags. Aber eigentlich will sie aufhören. Sie wird heuer 79. Der Vermieter möchte gerne, dass in den Räumen eine Schneiderei bleibt - am besten so eine, wie sie Jerabek führt. Sie würde sich sehr freuen, wenn sie einen gleich gesinnten Nachfolger finden würde, sagt Edith Jerabek. "Mein Lebenswerk hätte dann Sinn gehabt", sagt sie. Allerdings ist Maßschneider ein aussterbender Beruf.

Am Ende hat sie übrigens ihr Geld für Fassbinders Leoparden-Anzug doch noch gekriegt. "Ich bekam den Anzug noch einmal zurück, um ihn zu ändern", erzählt sie, "und als ihn dann zwei Schauspieler abholen wollten, sagte ich, der Scheck sei ungedeckt und sie würden den Mantel nicht bekommen." Es war Samstag, die Banken hatten zu. Die beiden Schauspieler gingen zu einem Freund, holten dort das Geld und bezahlten den Anzug.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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