Wikipedia:Zu Besuch im Gedächtnis der Welt

Die Münchner Wikipedia-Mitarbeiter Michael Schönitzer (rechts) und Jan-Patrick Fischer beim Tag der offenen Tür

Jan-Patrick Fischer (links) und Michael Schönitzer schreiben für Wikipedia.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Geheimnisse Osttimors, der Münchner Nahverkehr: Beim Tag der offenen Tür zeigen Wikipedianer, wie sie arbeiten.

Von Andreas Schubert

Die Idee ist so einfach wie genial: Jeder, der etwas zum Weltwissen beitragen kann und will, kann bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia einfach drauflos schreiben. Im Prinzip: Denn es gibt natürlich schon einige Regeln zu beachten. Stimmen muss der Beitrag, relevant muss er sein und mit Quellen belegt sowieso. Dass nicht jeder irgendeinen Blödsinn veröffentlichen kann, darüber wacht eine rege Gemeinde, die sich Wikipedianer nennt. Am Sonntag haben sich die Macher des riesigen Nachschlagewerks (rund 2,2 Millionen deutschsprachige Einträge) erstmals bei einem Wikipedia-Tag der Öffentlichkeit vorgestellt, in elf Städten im deutschsprachigen Raum. In München hat Wikepedia ein Büro in der Angertorstraße, finanziert wird es vom Verein Wikimedia Deutschland.

Michael Schönitzer, 28, ist einer der Münchner Wikipedianer, von denen etwa zehn regelmäßig ins Büro kommen und bis zu 50 ab und zu vorbeischauen. Wie viele Autoren es tatsächlich in München gibt, kann Schönitzer nicht sagen. 570 Münchner sind zwar bei Wikipedia angemeldet, Schreiber dürfte es aber deutlich mehr geben. Schönitzer, der bereits ein Physik- und Astronomie-Studium hinter sich hat und jetzt noch Informatik studiert, liefert seit 2006 Beiträge zur Wikipedia. Zunächst als Autor, heute arbeitet er hauptsächlich für die Wissensdatenbank Wikidata, ehrenamtlich, versteht sich. Das ist das Prinzip der Wikipedia: Die Autoren nehmen kein Geld, Fotos und Bilder werden nur veröffentlicht, wenn sie urheberrechtsfrei sind.

Die Autoren wenden mitunter viel Zeit für ein Thema auf. Jan-Patrick Fischer, zum Beispiel. Der 45 Jahre alte Chemiker hat vor rund 13 Jahren begonnen, sich dem Thema Osttimor zu widmen, etwa zwei Stunden am Tag, wie er sagt. Die Früchte seiner Arbeit sind online zu sehen. Inzwischen hat der Eintrag über den südostasiatischen Inselstaat die Ausmaße einer mittleren wissenschaftlichen Arbeit erreicht. Warum er das macht? 2002 war Fischer selbst dort, irgendwann hat er dann halt begonnen, den bestehenden Wikipedia-Eintrag ständig weiter zu bearbeiten. Fischers jahrelange Arbeit hat sich gelohnt: Die Wikipedianer-Gemeinde hat den Osttimor-Eintrag als exzellent ausgezeichnet. Und die Arbeit reißt nicht ab. Irgendwelche neuen Aspekte gibt es immer. Fischer bekommt auch Anregungen, was er zu Osttimor noch so alles ergänzen könnte.

Erfolg und Feedback macht die Autoren natürlich stolz. Aber Texte zu recherchieren und zu schreiben ist nur ein Teil der Arbeit, die Wikipedia attraktiv machen - als schnelles Nachschlagewerk oder Plattform für Einstiegsrecherchen. Die Wikipedianer ziehen auch selbst los und machen Fotos oder erstellen Karten anhand frei zugänglicher Daten. Wer sich den Eintrag München ansieht, lernt die Stadt auch über eine Menge Bilder kennen. Maximilian Dörrbecker etwa erstellt für die Wikipedia Landkarten und Grafiken zu Statistiken. Weil er auch noch im Arbeitskreis attraktiver Nahverkehr aktiv ist, gehört zu seinen Beiträgen natürlich auch eine Karte des öffentlichen Nahverkehrs in München. Allerdings nur eine, die die regulären aktuellen Linien zeigt, sagt Dörrbecker. Die Karte auch noch mit allen Umleitungen wegen der vielen Baustellen der Stadt auf dem Laufenden zu halten, ist dem IT-Fachmann dann aber doch zu viel.

Das monatliche Treffen findet ohne Wlan statt

Es geht recht rege zu am Sonntag beim Tag der offenen Tür. Kaum hat er um 14 Uhr begonnen, schon drücken sich die ersten Besucher durch die Tür. Dann beginnen die Münchner Wikipedianer, ihnen geduldig allerlei zu erklären, etwa wie man Wikipedia-Autor wird, was so alles zu beachten ist und wie das ganze technisch funktioniert. Inzwischen hat das Münchner Büro, das offiziell WikiMuc heißt, auch allerlei Ausrüstung wie eine professionelle Kamera oder einen großen Bücherscanner, die alle Mitglieder nutzen können. Die Gemeinde trifft sich nicht nur im Büro, sondern auch einmal im Monat auf ein Bier. Dann, sagt Schönitzer, suche man aber eigens ein Lokal aus, in dem es kein Wlan gibt. "Nicht dass dann doch noch einer sein Laptop auf den Tisch packt."

Was alle Wikipedianer eint, ist die Liebe zum Detail. Stammautoren verbessern sich gerne gegenseitig im Netz, was auch zu ausufernden Streits führen kann, wie vor acht Jahren um den Donauturm in Wien. Die Gemeinde stritt sich verbissen darum, ob er nun ein Fernseh- oder ein Aussichtsturm ist. Letzterer setzte sich schließlich durch.

Die Inhalte neuer Autoren oder solcher, die keinen Account haben, prüft die Gemeinde ganz genau vor der Veröffentlichung. Laut Michael Schönitzer kommt es immer wieder vor, dass Schüler mit der Wikipedia Unfug treiben und dumme Sprüche in einen Artikel eintragen. Die bleiben der Öffentlichkeit dann dank der Wikipedianer erspart.

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