Süddeutsche Zeitung

Wiesnurgestein Schichtl:Und ewig fällt das Beil

Beim Schichtl auf der Wiesn wird im Akkord enthauptet. Mittlerweile sind es mehr als 9.000 Opfer. Und es werden auch weiter Köpfe rollen.

Christian Mayer

Manfred Schauer, der berühmte Schichtl von der Wiesn, hat seit seinem Amtsantritt 1985 schon viele Leute einen Kopf kürzer gemacht. Unabhängig davon, ob sie es verdient haben oder nicht.

Oberbürgermeister Christian Ude war schon fällig, genauso wie Wirtesprecher Toni Roiderer, Zauberer David Copperfield oder der einstige König vom Bratwurst-Glöckl, Michael Beck, früher selbst Wiesnwirt und heute erfolgreicher Pleitier in Manila.

Aber an diesem Mittwochnachmittag hat der Rekommandeur eine besondere Hinrichtung zu bewältigen: Zum 9.000. Mal können die Zuschauer auf dem Oktoberfest Zeuge werden, wie beim Schichtl das Fallbeil fällt.

Zunächst einmal muss Manfred Schauer das tun, was er am besten kann: Er redet wie ein bayerischer Wasserfall, um draußen die Leute für sein Hinrichtungs-Varieté zu begeistern, das seit 1869 besteht. An einem so regnerischen Tag ist das gar keine leichte Aufgabe.

Er muss gegen den Schauer ankämpfen, er tänzelt wie ein Rockstar, präsentiert immer neue Sensationen und einen blutrünstigen Scharfrichter, bis die Leute unterm Regenschirm an seinen Lippen hängen. Der Mann in der kurzen Lederhose und der ordensgeschmückten Offiziersjacke mit Leopardenfell versteht sein Mundwerk. Er scheucht die Leute mit derben Sprüchen und wilden Versprechungen in sein kleines Theater, "ganz egal, ob Preißn oder Menschen".

Auf der Bühne wartet bereits der schreckliche Ringo und seine Henkersfrau Ingrid. Sie blicken aus blutunterlaufenen Augen ins Dunkle. Das Publikum erlebt wie immer ein Wechselbad der Gefühle: Dieses Mal betätigen sich "Edmund" und "Gabriele" als komische Artisten.

Und weil Unterleib und Oberleib beim Schichtl ohnehin sehr variabel sind, wirkt die schöne Gabriele wie eine Frau ohne Knochen - oder ist es eine optische Täuschung, dass sie ihre Beine senkrecht vom Rumpf wegspreizt?

Auch der Schmetterling namens Elvira soll das sich abzeichnende Grauen etwas abmildern, die Holzhackerbuam pfeifen ihr lustiges Lied vom Band. Die makabre Moritat kann beginnen, die Leute sollen schließlich was sehen für ihr Geld.

Wer traut sich aufs Schafott? Eine blonde Dame aus Thüringen lässt sich nach einigem Zögern die Augen verbinden. Und dann geht alles recht schnell, genau 13 Minuten dauert die Prozedur: Die Delinquentin, die mit einer ganzen Reisegruppe da ist, lässt sich auf die Bank fesseln, die Scharfrichter stimmen ein höhnisches Gelächter an, das Messer fällt, das 9.000.

Schichtl-Opfer dürfte hin sein. Ein sauberer Schnitt war das, ein Kopf fällt in die Schale, aus dem das Blut läuft, es klappt alles wie am Schnürchen.

Glücklicherweise erlebt Eva aus Thüringen eine ebenso rasche Wiederauferstehung. Etwas bleich steht sie im Lichtkegel auf der Bühne, der Kopf sitzt wieder gerade. Jetzt muss natürlich noch mal der Schichtl ran, um sein Jubiläum zu feiern. Eva erhält einen riesigen Gutschein, ein warmes Essen im ökologisch korrekten Schichtl-Lokal nebenan und lebenslangen Eintritt im Varieté - "das ist viel besser als Begrüßungsgeld".

Manfred Schauer sagt das, er kann sich gleich bereit machen für den nächsten Einsatz: Die 9001. Hinrichtung steht bevor, es regnet noch immer, aber der blutige Spaß, der laut Schichtl übrigens "absolut familientauglich" ist, hört nicht so schnell auf. "Wir wollen auch weiter großes Entsetzen auslösen."

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Quelle:
SZ vom 27.09.07
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