Wiesn-Jobs im Test: Herzlmalerin:Der Krampf mit dem Zuckerguss

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Tipps vom Herzlmalermeister: Micheal Schifferl zeigt SZ.de-Mitarbeiterin Andrea Lindner, wie's geht. (Foto: N/A)

45 Euro für ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift "Arschloch"? Kein Problem! Michael Schifferl ist einer der letzten Herzlmaler auf dem Oktoberfest. Unsere Autorin hat bei ihm zu lernen versucht - und dabei mehr genascht als geholfen.

Von Andrea Lindner

Michael Schifferl schreibt Geschichten aus Zuckerguss. Sie handeln meist von Liebenden und Heiratsanträgen. Manchmal aber auch von weniger angehnehmen zwischenmenschlichen Beziehungen. "Einmal Arschloch, bitte!", sagt ein Mann mit Lederhose und rotem Kopf. Wie bitte? "Ich möchte ein Herz mit großem Arschloch-Schriftzug für meinen Schweigervater. Und bitte in Schweinchenrosa - damit es richtig bescheuert aussieht."

Schifferl nickt. Er ist einer der letzten Herzlmaler auf dem Oktoberfest; an die 500 Lebkuchenherzen verzieren er und seine beiden Mitarbeiter täglich in ihrem Wagen direkt vor dem Weinzelt. Die fertigen Bestellungen hängen an der Rückwand der Verkaufstheke, in der Auslage stapeln sich Rohlinge in allen erdenklichen Größen - 1,6 Kilogramm wiegt das größte Herz im Sortiment.

"Wir haben oft solch außergewöhnliche Wünsche"

Der Chef begrüßt mich vor seinem pinken Stand, den ein Lebkuchenherz aus Plastik ziert. Ich will mich heute als Herzlmalerin probieren - und hoffe, wenigstens eines meiner Werke verkaufen zu können. Schifferl, 54, nimmt mich mit in den hinteren Teil des Wagens - in seine Herzlmalstube. Er greift zur Zuckergussspritztüte, zieht die Augenbrauen hoch und schreibt mit gekonnten Schwüngen "Arschloch" auf ein großes Herz. "Wir haben oft solch außergewöhnliche Wünsche", sagt er, während er den Plastikbeutel mit beiden Händen fest zusammendrückt. "Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken." 45 Euro wird der Kunde am Ende zahlen, wenn er sein Herzerl eine halbe Stunde später abholt - nicht gerade wenig für ein bisschen Teig mit Zuckerguss.

Am liebsten schreibt Michael Schifferl Liebesgeschichten. 40 bis 50 Heiratsanträge malt er jedes Jahr allein während des Oktoberfests auf Lebkuchenherzen. An einen kann er sich noch besonders gut erinnern: "Das war vor vier oder fünf Jahren. Ein fescher Bursche in Lederhose wollte ein Riesenherz mit einem Heiratsantrag", erzählt er. "Kurz darauf kam sein Mädel und kaufte ein Herz mit 'Ja'." Zwei Monate später baten ihn die beiden, die Tischkarten für die Hochzeit zu backen.

In Schifferls Backstube direkt neben dem Stand duftet es nach Weihnachten, Honig und frischem Teig. Denn auf der Wiesn werden die Herzen täglich frisch gebacken. Augenblicklich bekomme ich Lust zu naschen, doch ich muss erst zeigen, was ich kann. "Ich hoffe, du hast Muskeln", murmelt der Herzlmaler und mustert mich. "Das Drücken ist auf Dauer sehr anstrengend." Man sieht das an seiner rechten Pranke: Sie ist deutlich kräftiger als die linke. Wichtiger aber ist die Übung: "Bei den meisten dauert es ein Jahr, bis sie es können", sagt Schifferl, "andere schaffen es nie".

Ach, das kann doch nicht so schwer sein, denke ich und befülle eine Spritztüte mit blauem Zuckerkuss. "Der Rand des Herzls ist für den Anfang einfacher", sagt Schifferl. Aber es fällt mir schwer, die Masse gleichmäßig zu verteilen. Entweder bin ich zu langsam, dann wird die Bordüre viel zu dick - oder ich bin zu schnell, dann bricht der Faden ab. Und wenn ich nicht aufpasse, läuft die Soße vom Lebkuchenherz herunter. Beim Schreiben, der Königsdisziplin, wird es nicht besser: Ich verkrampfe, die Buchstaben sehen aus, als ob sie ein Erstklässler hingekritzelt hätte. Lesen kann man mein Gekrakel nicht. Ob das jemand haben will?

Neuer Versuch mit einem neuen Rohling: "Spa...", schreibe ich. "Ha!", ruft Schifferl. "Ein typischer Hap!" Ein was? Der Chef zeigt auf eine Postkarte über dem Eingang. Darauf ist eine Geburtstagstorte zu sehen mit einem Schriftzug - aus drei ziemlich großen Buchstaben: "Hap", steht da - eigentlich sollte daraus ein "Happy Birthday" werden. "Alles Gefühlssache. Das kommt mit der Zeit", beruhigt mich Schifferl. Das hilft mir nicht weiter. Geknickt schaue den anderen bei der Arbeit zu.

"Aller Anfang ist schwer": Das perfekte Herz zu malen, ist nicht einfach. Manche schaffen es nie. (Foto: N/A)

Micheal Schifferl öffnet den Backofen - wieder dieser Duft, wieder dieses Verlangen. "Ich esse fast nie Lebkuchen", sagt er. "Aber wenn sie noch ganz frisch und heiß sind, kann ich manchmal nicht wiederstehen." Ich auch nicht.

Dann aber soll ich noch einmal zeigen, was ich gelernt habe. Wirklich gerüstet fühle ich mich nicht. Ich nehme ein extra großes Herz und die dünnste Spritze - so kann ich ein bisschen schummeln. "Aller Anfang ist schwer" male ich auf mein Meisterstück. "Du machst das wirklich gut. Ich habe schon viele scheitern sehen. Du bist im besseren Drittel", lobt mich der Chef. Verkaufen mag er mein Herzl trotzdem nicht.

Eine Herzlmalerin werde ich also nicht. Zum Abschluss bekomme ich einen Rohling - zum Üben für zu Hause. Der wird bei mir sicher leer bleiben, denke ich, als ich den Wagen verlasse. Herzlmalen gehört nicht zu meinen Talenten. Noch auf dem Nachhauseweg landet die Hälfte des Herzens in meinem Magen. Und das ist doch seine eigentliche Bestimmung.

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