Wiesn-Hits:Echte Münchner tragen keine "Lederhosen aus recycelten Deorollern"

Ein bayerisches Tier: das Reh.

Gibt es heute: Rehragout.

(Foto: SZ Grafik)

Das behauptet der auf Krawall gebürstete Fast-Wiesn-Hit Augustiner 40 Ounce. Ein echter Bierzelt-Klassiker beeinflusst bis heute die Speisekarte im Bierzelt, ein anderer wird als inoffizielle Nationalhymne Bayerns gehandelt.

Von Oliver Hochkeppel, Hermann Unterstöger, Franz Kotteder und Dirk Wagner

Der Bayerische Defiliermarsch - in allen Herzen verankert

"Mpf dada dam, mpf dada dam!" Wenn der Bayerische Defiliermarsch wirklich die inoffizielle Nationalhymne Bayerns ist, wäre das deren noch inoffiziellerer, aber nichtsdestoweniger in allen Herzen verankerter und von allen Zungen jederzeit abrufbarer Text. Man muss nur in den Bierzelten aufpassen: Wann immer die signalartigen Akkordbrechungen ertönen, formen die Münder ein "Mpf dada dam, mpf dada dam!" nach dem anderen, und die Zecher sind der Seligkeit so nahe, wie das nach Maßgabe der Umstände nur angehen mag.

Der Bayerische Defiliermarsch, der unter der Signatur AM II, 246 in die preußische Armeemarschsammlung eingegliedert wurde, stammt von dem Königlich Bayerischen Musikmeister Adolf Scherzer. Ein anderer bayerischer Militärmusiker, Peter Streck, hielt es für das Ziel der Militärmusik, "der seelenvolle Ausdruck alles dessen" zu sein, "was in den verschiedensten Momenten des menschlichen Lebens die innerste Tiefe des Gemüthes bewegt", und dadurch den Krieger zur freudigen Erfüllung seines Berufes zu animieren. Dem zweiten Teil dieser Vorgabe dient der Bayerische Defiliermarsch schon lange nicht mehr, aber dass bayerische Gemüther sich in ihm abgebildet sehen, darf man nach wie vor annehmen.

Die witzigste Bearbeitung des Defiliermarschs stammt von Paul Hindemith. Im vierten Satz des Bratschenkonzerts (Kammermusik Nr. 5 op. 36/4) treibt er mit dessen Motiven einen Jux, wie er umwerfender nicht denkbar ist. Was wäre das für ein Ereignis, wenn die Kapelle Schwarzfischer dieses Stück ins Schottenhamel-Zelt brächte, und zwar mit Tabea Zimmermann als Solistin!

Augustiner 40 Ounce - Spitzen gegen den Wiesn-Wahnsinn

Der Münchner Rapper Ron Foto ist nicht nur erfahren, was die Wiesn angeht. Er kennt auch jede Menge US-amerikanischer Serien, in denen der nordamerikanische Malz-Likör in 40 oz.-Flaschen verkauft wird, in 1,183-Liter-Flaschen also. Darum weiß Ron Foto, dass die Mass nicht das Maß aller Dinge ist.

Prompt erkennt ein auf Krawall gebürsteter Rapper die Möglichkeit, mit einem von der Schlachthofbronx produzierten Wiesn-Hit klarzustellen, wer der Platzhirsch mit dem größten Geweih ist. Also stellt sich "der Mann aus Männern", wie er sich selbst beschreibt, dem Songtitel nach mit einer "Augustiner 40 Ounce" ins Hacker-Zelt.

Nun wird man in diesem kaum einen Song spielen, der das Bier der Konkurrenz lobt. Umgekehrt dürfte es aber auch der Konkurrenz nicht schmecken, dass Ron Foto mit ihrem Bier lieber im anderen Bierzelt feiert. Und die anderen Brauereien, die gar nicht erwähnt werden, haben erst Recht kein Interesse daran, dass in ihren Festzelten ein Song gespielt wird, in dem noch dazu allen dort bewährten "Trachtenhallus" und "Brauchtumspsychosen" zum Trotz behauptet wird, dass die echten Münchner Jogginganzüge tragen. Und erst recht keine "Lederhosen aus recycelten Deorollern".

Kurz: Mit seinen pointierten Spitzen auf den Wiesn-Wahnsinn hat der geplante Wiesn-Hit schon verloren gehabt, bevor die Schlachthofbronx ihn so mitreißend aufbereitet hatte. Mit einem dem Mainstream abgeschauten Beat, der die Schlachthofbronx einmal mehr wie Kirmestechno klingen lässt, der aber weit davon entfernt ist, Kirmestechno zu sein. Nachzuhören leider wohl eher selten im Bierzelt, aber immerhin im Internet auf Youtube.

Rehragout - ein uraltes Lied über die Essenspläne zu später Stunde

Dass dieser Wiesn-Hit schon sehr, sehr alt sein muss und womöglich schon 1810 beim allerersten Oktoberfest zum Einsatz gekommen ist, kann man schon aus dem Liedtext herauslesen. Finden sich darin doch als Antwort auf die Frage: "Wos gibt's denn heit auf d'Nacht?" die schönen Zeilen: "Do wissat i wos Feiners, von a toten Sau a Schweiners, aber heit gibt's a Rehragout, a Rehragout auf d'Nacht!" Es entstand mithin zu einer Zeit, als Wildfleisch günstig herging und das Kilo Schweinefleisch noch nicht industriell produziert wurde und billiger war als ein Kilo Tomaten - mithin eine teure Delikatesse.

Unverändert blieb jedoch die Beliebtheit dieses klassischen Boarischen (also einer Polka im Zweivierteltakt), vor allem natürlich auf der Oiden Wiesn im Festzelt Tradition, im Herzkasperlzelt und im Volkssängerzelt Zur Schönheitskönigin. "So fünfmal am Tag wird's gespielt", sagt Wirt Peter Reichert, selbst ein begeisterter Musikant, "und deshalb haben wir auch ein Rehragout auf der Karte, mit Hauberlingen!" Wieder etwas, was heute kaum noch einer kennt: Hauberlinge sind ein Schmalzgebäck aus Hefeteig, das man früher anstelle von Knödeln oder Kartoffeln zu Speisen mit viel Soße aß.

Überhaupt handelt es sich offenbar um ein recht kulinarisches Musikstück. Denn Tantris-Küchenchef Hans Haas, der mit seinem Team auch gerne auf die Wiesn geht, hat das "Rehragout" als Klingelton auf seinem Handy. Der Spitzenkoch Eckart Witzigmann hat das vor Jahren mal in seiner Kolumne in der österreichischen Tageszeitung Kurier verraten. Die Frage: "Ja, wos gibt's denn heit auf d'Nacht?" dürfte für das Tantris damit aber auch noch nicht erschöpfend beantwortet sein.

New York, New York - Jazziges im Bierzelt

Jazziges verirrt sich selten ins Wiesn-Musikprogramm. Selbst Swing, der Pop der Dreißiger- und Vierzigerjahre, ist mit seiner leicht versetzten Rhythmik eher zu komplex für das eisern auf eins und drei ausgelegte Mitklatsch-, Mitsing- und Mitschunkel-Konzept der Zeltbeschallung. Eine Ausnahme freilich gibt es: "New York, New York".

Dass der Song ein Dauerbrenner auf dem Oktoberfest wurde, passt zu seinem Charakter als "Longseller" - am Anfang war er nämlich kein Hit. Fred Ebb (Musik) und John Kander (Text) komponierten ihn 1977 als Titelsong für den gleichnamigen Film von Martin Scorsese. Liza Minnelli sang ihn in dem in der Jazzszene der Vierzigerjahre angesiedelten "Film-Noir-Musical" (wie Scorsese sein Werk bezeichnete) als großes Finale. Trotzdem kam er zunächst weder in die Charts noch auf die Nominierungsliste für den Oscar.

Erst als Frank Sinatra ihn 1978 als "signature song" in sein Live-Programm aufnahm und ihn zweimal auf Platte einspielte, entwickelte sich das Lied zur inoffiziellen Hymne der Stadt New York, die international ausstrahlte. Seit den Achtzigerjahren etwa lässt die Lufthansa den Song bei jedem Landeanflug auf den JFK-Airport erklingen.

Auf der Wiesn hat man ihn vermutlich zuerst für die amerikanischen Gäste ins Programm genommen, aber weil auch die heimischen Besucher die dam-dam-dadidam, dam-dam-dadidam-Melodie mit dem fulminanten Refrain so gerne mitschmetterten, sonnt man sich bis heute damit im Glanz der Weltmetropole. Vielleicht könnte man den Einsatz noch verfeinern, so wie einst die New York Yankees: Die beschallten nach jedem Spiel das Stadion damit, nach einem Sieg in der Version von Frank Sinatra, nach einer Niederlage in der von Liza Minnelli.

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