Süddeutsche Zeitung

Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl:"Mir san koa Disco!"

Gabriele Weishäupl ist seit 25 Jahren Tourismus-Direktorin. Im Interview erklärt die Wiesn-Chefin, warum das Oktoberfest nicht beworben wird, sie selbst keine Dirndln mag - und wie sie sich von ihrem Team verabschiedet.

Michael Ruhland

Die Münchner Tourismus-Direktorin und Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl feiert zu 200 Jahren Wiesn ihr ganz persönliches Jubiläum: 25 Jahre Oktoberfest. Jedes Jahr verlegt sie für sechs Wochen ihr Büro auf die Theresienwiese. Der dunkelbraun vertäfelte Bau erinnert ein wenig an einen Bunker, drinnen bereiten sich Dutzende Mitarbeiter der Stadt auf das größte Volksfest der Welt vor. Michael Ruhland sprach mit Weishäupl, 63-jährige promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, über das Phänomen Oktoberfest.

SZ: Frau Weishäupl, im Jubiläums-Wiesnbuch erzählen Sie von Ihrer Wiesnpremiere 1985, damals feierte das Oktoberfest den 175. Geburtstag. Die Wiesn habe Sie wie in einen Strudel gerissen. Wie ist das Gefühl heute, 25 Jahre später?

Gabriele Weishäupl: Genauso wie damals. Ich spüre auch jetzt vor der Wiesn dieses besondere Flirren in der Luft. Verändert hat sich, dass ich erfahrener bin und nicht mehr so leicht zu schrecken. Das Herz schlägt nicht mehr ganz so schnell.

SZ: Pardon, aber es ist schwer zu glauben: 25 Jahre als Tourismusdirektorin und damit Chefin der Wiesn, wird man da nicht zwangsweise müde?

Weishäupl: Am letzten Wiesntag und in den Tagen danach hab ich so eine Art Blues. Ich arbeite drei Wochen inklusive Wochenenden durch und spüre Erschöpfung - mit zunehmendem Alter natürlich mehr. Es ist aber nicht so, dass es mir lästig wäre oder dass es mich kalt lässt. Es war mein Traumberuf und ist es noch.

SZ: Sie galten damals bei Ihrer Premiere als Dirndlkönigin, das Image haftet Ihnen bis heute an. Wie halten Sie es mit der Mode: Gibt es jedes Jahr ein neues Outfit?

Weishäupl: Nein. Ich bin an der Mode nicht wirklich interessiert, das war als junge Frau nicht viel anders. Als ich Tourismuschefin wurde, merkte ich, wie gut es ankommt, wenn ich im "national costume" im Ausland repräsentiere. Sobald ich in Tokio oder New York meine Termine im Dirndl machte, wurde das freundlich aufgenommen, und ich wurde als "president oft the Octoberfest" vorgestellt. Das weckt immer mehr Begeisterung als "director of the tourist office". Ich hab mich diesem Wunsch gefügt.

SZ: Sie tragen Dirndl gar nicht gerne?

Weishäupl: Ich war doch eine Studentin der 68er Jahre. Damals war Hippie angesagt, lange Röcke und bunt. Ich schlüpfte mit Amtsantritt ins Dirndl rein, weil ich dachte, das schafft Identität und es gibt dir einen Wettbewerbsvorteil - optisch. Inzwischen ist es für mich Arbeitskleidung, die ich gerne trage, weil sie kleidsam ist. Bequem sind Dirndl allerdings meistens nicht. 1985 war ich übrigens eine der wenigen Frauen, die in Tracht fotografiert wurden. Inzwischen befindet sich die Wiesn ja in einem Trachtenhype.

SZ: Was halten Sie von pinkfarbenen Minidirndln, kombiniert mit hohen Plateauschuhen?

Weishäupl: Es stört mich nicht. Es soll sich jeder so kleiden, wie er sich wohl fühlt. Junge Mädchen zeigen doch damit, dass sie ein Teil des Festes sein wollen. Dafür habe ich volles Verständnis, es löst sogar Zuneigung bei mir aus.

SZ: Das Oktoberfest ist ein Begriff selbst im tiefsten Afrika oder auf Inseln in Indonesien. Was ist sein Geheimnis?

Weishäupl: Die Wiesn war schon im 19. Jahrhundert von solcher Attraktivität, dass sie ein Touristenanziehungspunkt war. Natürlich nicht für die Massen, aber es kamen Leute aus dem gesamten europäischen Raum. Später das Großbürgertum, die Brauereien, die sich in ihrer Pracht zeigten. Neben dem Königszelt entstanden die großen Bierbuden. Dieses Fest ist immer am Puls der Zeit gewesen.

SZ: Selbst wenn die Finanzmärkte schwanken, schunkelt die Welt in München. Rezessionen scheinen dem Oktoberfest nichts anhaben zu können.

Weishäupl: 72 Prozent der Wiesngänger kommen aus München und Bayern, 60 Prozent allein aus der Stadt. Mindestens bei der Hälfte der Münchner ist dieses Fest fester Bestandteil des Jahreskalenders wie Weihnachten oder Ostern. Für die Touristen war das Oktoberfest immer schon eine der Hauptattraktionen Münchens - trotz einer Weltklasse-Kulturszene, die wir stark bewerben. Der Hauptimageträger ist die Wiesn. Im Auftrag der deutschen Zentrale für Tourismus wurde eine weltweite Umfrage gestartet, welcher deutsche Begriff am bekanntesten ist. Er lautet Oktoberfest und liegt mit 91 Prozent deutlich vor Kindergarten und Autobahn, Goethe und Bratwurst. Alles zusammen verleiht der Wiesn eine Stabilität auch in Rezessionen.

SZ: Es gibt viele, die am Oktoberfest verdienen - gibt es in Ihren Augen auch Verlierer?

Weishäupl: Verlierer sind schon mal die, die nicht zugelassen sind. 1364 Bewerber waren es in diesem Jahr, zugelassen sind nur 602. Verlierer ist natürlich auch derjenige, der auf die Wiesn geht und in eine Schlägerei gerät. Die Wiesn hat auch ihre Schattenseiten.

SZ: Sehen Sie es als Gewinn an, dass das Oktoberfest rauchfrei wird?

Weishäupl: Ich glaube, es wird reibungslos ablaufen. Persönlich bin ich aber zu liberal, um das strikte Rauchverbot zu goutieren. Generell finde ich es nicht gut, wenn der Mensch reguliert und gegängelt wird.

SZ: Die Stadt lässt die Werbung für die Wiesn sein. Weil sie sonst überquillt?

Weishäupl: Als ich 1985 kam, hatten wir über sieben Millionen Besucher. Ich kam von den internationalen Fachmessen der Münchner Messegesellschaft als PR- und Protokollchefin und war solche Massenaufläufe nicht gewohnt. Rein objektiv betrachtet sind sieben Millionen zu viel. Die Grenze ist zwischen sechs und sieben Millionen erreicht. Damals habe ich die Stadtwerbung schwerpunktmäßig auf Kulturthemen umgestellt und das Oktoberfest als sogenannten "self supplier", Selbstläufer, nicht mehr aktiv beworben.

SZ: Der Hype um die Wiesn weckt natürlich Begehrlichkeiten. Viele wollen auf der Wiesn für ihre Produkte werben, wie etwa vor ein paar Jahren Paris Hilton für einen Dosen-Prosecco. Sie schoben diesen Dingen einen Riegel vor. Bleibt die harte Linie der Stadt bestehen?

Weishäupl: Das bleibt so und ist in unseren Betriebsvorschriften festgeschrieben. Die Begehrlichkeiten sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Jeder wollte auf der Wiesn sein Produkt präsentieren, mit Einladungen aller Art. Wir haben das unterbunden, und das war gut so.

SZ: Sie wollen die Wiesn dadurch münchnerischer halten und nicht vollends zum Event abdriften lassen?

Weishäupl: So ist es. Die Wiesn war immer Spiegelbild der Gesellschaft. Nachdem bestimmte Ereignisse mehr und mehr zu einem über die Medien transportierten Event werden, ist das die Wiesn auch geworden. Vor allem durch die jungen Leute und die Discomusik in den Zelten ist eine Veränderung eingetreten. Wenn die Isartaler Blasmusik ohne Verstärker traditionelle Musik spielen würde, würde sich das Publikum ändern.

SZ: Die Wirte haben sich darauf eingestellt. "Den Donauwalzer will doch keiner mehr", sagte der 70-jährige Wiggerl Hagn im SZ-Interview vor einem Jahr. Sie als Wiesnchefin hätten es gerne ein wenig konservativer?

Weishäupl: Zwischen den Wirten und mir gibt es immer wieder Auseinandersetzungen. Ich sage: Mir san koa Disco! Von vielen Seiten wird geklagt, die Wiesn sei nicht mehr so traditionell, es sei so laut. Dem haben wir mittels der Dezibelbegrenzung einen Riegel vorschieben können.

SZ: Das vergangene Jahr versetzte viele in einen Zustand dauerhafter Besorgnis. Die Wiesn als Ziel für mögliche Terroranschläge ließ auch die Behörden erschaudern. Wie sicher kann man das Oktoberfest machen?

Weishäupl: Sie haben in der Landeshauptstadt München einen Veranstalter, der Erfahrung seit 1819 hat. Wir haben optimale Sicherheitsbedingungen hergestellt in Zusammenarbeit mit allen zuständigen Organisationen und Behörden. Wir haben einen Sperrring von sechs Kilometern, eine verkehrsberuhigte und damit überwachte Fläche. Wir tun das Menschenmögliche. Als wir vergangenes Jahr die Terrordrohungen im Internet sahen, waren alle schockiert. Es ist klar: Dieses Fest befindet sich in einer abstrakten Gefahrenlage wie eine U-Bahn, ein Kaufhaus oder ein Fußballstadion.

SZ: Bleibt Ihnen Zeit, die Wiesn selbst ein wenig zu genießen?

Weishäupl: Ich genieße die Wiesn in einer anderen Weise als der unbefangene Gast. Ich sitze im Zentrum der Organisation. Ich bin in einem Zustand der erhöhten Aufmerksamkeit. Es ist so, als wären alle Sinne geschärft. Ich sehe mehr. Ich höre mehr. Es ist so, als hätte ich überall meine Antennen ausgefahren.

SZ: Deshalb gibt es auch keine Gabriele Weishäupl, die auf der Bierbank tanzt und mitsingt.

Weishäupl: Die gibt es in der Tat nicht. Ich trinke keinen Alkohol in den 16 Tagen. Der einzige Schluck, den ich zu mir nehme, ist der in der Anzapfbox, wenn der OB die Maßerl verteilt. Und am letzten Wiesn-Abend trinke ich ein Glas Wein hier im Servicezentrum. Das ist mein Dankeschön, der Kehraus für diejenigen hinter den Kulissen. Ich bedanke mich beim hochengagierten Team, spiele ihm am Leierkasten etwas vor und singe "'S is Feierabend".

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Quelle:
SZ vom 15.09.2010/tob
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