Wiesheu zum S-Bahn-Streit:"Das wäre ein gravierender Fehler"

Otto Wiesheu warnt vor einem Aus für die zweite Stammstrecke in München: Was der ehemalige Verkehrsminister von Seehofers kleinem Lösungsvorschlag hält - und warum sich die Schuldfrage nicht beantworten lässt.

Dominik Hutter

Angenehm ist es nicht, mitanzusehen, wie Parteifreunde die Arbeit von Jahren zu Grabe tragen. Ex-Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) hält nichts von kleinen Lösungen beim S-Bahn-Ausbau.

76.Parteitag der CSU auf der Messe Nuernberg

Der ehemalige Verkehrsminister Otto Wiesheu: "Es wäre gut, wenn sich alle Seiten jenseits aller Wahlkampfüberlegungen an einen Tisch setzen würden."

(Foto: SEYBOLDT4MEDIA)

Ist die zweite Stammstrecke tot?

Ich hoffe nicht, denn das wäre ein gravierender verkehrspolitischer Fehler. Die zweite Stammstrecke ist jetzt schon notwendig, weil die für täglich 250.000 Fahrgäste ausgelegte S-Bahn mittlerweile um die 800.000 Nutzer hat. München hat weiterhin starken Zuzug, und da der Ausbau der Straßen praktisch nicht mehr möglich ist, ist ein funktionierendes S-Bahn-System unverzichtbar.

Horst Seehofer setzt nun auf kleine Lösungen. Was halten Sie davon?

Leider nicht viel. Denn sie sind in keinster Weise ein Ersatz für den Tunnel. Viele kleinere Maßnahmen, etwa der viergleisige Ausbau Pasing-Buchenau oder Express-Strecken setzen immer den zweiten Tunnel voraus.

Die Situation ist verfahren. Wo soll das Geld denn jetzt noch herkommen?

Der Bund kann durchaus noch etwas beitragen. Schließlich erhält er von der Bahn runde 500 Millionen Euro Dividende - es wäre sinnvoll, das in die Schienen-Infrastruktur zu investieren. Darüber sollten die Verantwortlichen diskutieren. Aber auch eine Vorfinanzierung, wenn sie der Bund akzeptiert, würde Stadt und Freistaat nicht überfordern. Denn es geht nicht um zweimal 350 Millionen Euro, sondern lediglich um die Zinsen des dafür notwendigen Kredits. Die lägen bei etwa zehn Millionen Euro pro Jahr und Partner. Das kann jede Seite finanzieren.

Hat man nicht zu lange an einem nicht finanzierbaren Projekt festgehalten?

Ich bezweifle, dass es nicht finanzierbar ist. Es wäre richtig, wenn das Land vorfinanziert und auch die Stadt mit einsteigt. Der Standpunkt von Christian Ude, die Stadt sei für die S-Bahn nicht zuständig, zieht nicht. Denn München profitiert, wenn mehr Verkehr auf die Schiene verlagert wird. München sollte sich daran erinnern, dass sich der Freistaat beim Ausbau von U-Bahn, Tram und Mittlerem Ring auch nicht auf seine gesetzlichen Mindeststandards beschränkt hat, sondern großzügigst gefördert hat. Das geht in die Hunderte von Millionen.

Warum haben Sie nicht schon in Ihrer Zeit als Minister bei Ude angeklopft?

Da waren wir noch gar nicht so weit. Ende 2005 war das Projekt so weit, dass ein Finanzierungsvertrag auf dem Tisch lag. Den konnte ich aber nicht mehr unterscheiben, weil ich dann zur Deutschen Bahn gegangen bin. Zudem herrschte damals kein so großer Andrang auf die knappen Nahverkehrs-Gelder des Bundes.

Aber irgendwie ist es doch kein Zufall, dass die Debatte ausgerechnet jetzt aufgekommen ist - wo Ude Ministerpräsident werden will.

Leider. Es wäre gut, wenn sich alle Seiten jenseits aller Wahlkampfüberlegungen an einen Tisch setzen würden.

Sie haben sich doch eigentlich immer gut mit Ude verstanden. Was ist nur in der Zwischenzeit passiert?

Ich kann nur sagen, dass wir die Probleme, die wir damals zu lösen hatten, ziemlich geräuschlos gelöst haben. Wir hatten eine sachbezogene Kooperation.

Wer trägt die Schuld am aktuellen Schlamassel?

Es geht hier nicht um Schuld oder Nichtschuld. Aber die derzeit geführte Debatte läuft an der Sache vorbei. Die Finanzierung des Nahverkehrs hat in ganz Deutschland keine stabile Grundlage mehr. Es ist immer noch nicht geklärt, wie es nach 2018 weitergeht, wenn das sogenannte Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) ausläuft. Diese Kosten werden weder Länder noch Kommunen aufbringen können. Man muss grundsätzlich über das Thema Nahverkehrsfinanzierung reden.

Was würden Sie nun tun, wenn Sie noch Verkehrsminister wären?

Zwei Dinge: Alle an einen Tisch bringen, damit alles geklärt werden kann. Und politische Mitstreiter suchen: Warum soll der Bund die Bahn-Dividende einstecken?

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