Süddeutsche Zeitung

Zukunftsforschung:Künstler können vom Wohlstand Münchens profitieren

  • Kultur wird immer mehr zur Ware - darum müssen Künstler anfangen, ökonomischer zu denken.
  • Dennoch wird es auch in einigen Jahrzehnten subventionierte Theater geben und Kulturstätten, die für alle zugänglich sind. Das meinen Experten, die sich mit der Zukunft der Kreativwirtschaft beschäftigt haben.
  • In München jedenfalls sind Künstler und Kreative an einem guten Ort, denn der Wohlstand in der Stadt eröffnet viele Möglichkeiten.

Von Franz Kotteder

Vielleicht kommt ja sowieso alles ganz anders. Könnte ja am Ende sein, dass die "Transatlantic Trade and Investment Partnership", sprich: das Freihandelsabkommen TTIP, tatsächlich in einer ganz besonders marktradikalen Form doch noch abgeschlossen wird. Dann müsste alles, was mit Kultur zu tun hat, privatisiert werden, es dürfte keine öffentlichen Subventionen mehr geben, und eine Kunstausstellung wäre auch nichts anderes mehr als ein Supermarkt: ein Ort, an dem Waren angeboten werden, in diesem Fall sozusagen die Ware Kunstgenuss, zum Beispiel.

Das ist einerseits natürlich eine Horrorvorstellung für alle, die noch mit der Vorstellung aufgewachsen sind, Kultur und Kunst stünden für das Gute, Wahre und Schöne - fern dem schnöden Mammon, irgendwie zweckfrei und der ökonomischen Verwertbarkeit entzogen. Nun gut, das waren sie noch nie so richtig; Kreativität hatte immer schon einen wirtschaftlichen Aspekt, und das zunehmende ökonomisierte Denken hat ja auch längst in der öffentlichen Verwaltung Einzug gehalten, also dort, wo die Verfechter des marktradikalen Denkens den größten Feind sehen.

Auch in der Kulturverwaltung redet inzwischen ganz offiziell von "Produkten", wer seine Arbeit beschreibt. Gerade so, als ob man Konservendosen herstellte und nicht etwa Lyriklesungen, Jazzkonzerte, Aquarellausstellungen und Theateraufführungen. Nur mal so als Beispiele.

Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) wird dennoch nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Kultur ökonomisch zweckfrei sein müsse und der wirtschaftlichen Verwertbarkeit grundsätzlich entzogen sei. Das, sagt er, sei auch dringend nötig, wenn sie ihre Aufgabe als "vorausschauende Sozialpolitik" erfüllen solle. Kulturpolitik habe eben auch die Aufgabe, die Menschen in einer Stadt zusammenzuführen, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Das ist auch dringend nötig in einer Stadt, die sich rapide wandelt, in der jedes Jahr bis zu 30 000 neue Einwohner hinzukommen, und nicht eben wenige davon aus eher fremden Kulturen. Die alte und die neue Stadtgesellschaft zu verbinden, dafür braucht es eben auch Angebote an Kultur. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn da gibt es ja auch noch die etablierte Hochkultur in der Stadt. Und gerade in München mit seinem eher konservativen Geschmack und seiner Freude am schönen Schein ist die enorm wichtig.

Hochkultur ist ein wichtiger Standortfaktor

Man kann auch deshalb schon einigermaßen sicher sein, dass es 2050 noch immer so etwas wie ein Subventionstheater geben wird, große Ausstellungshäuser, die bezuschusst werden, und natürlich auch Konzertsäle. Der Gasteig dürfte bis dahin ja wohl doch generalsaniert sein, und der Freistaat wird seinen Konzertsaal für die Symphoniker des Bayerischen Rundfunks im Werksviertel errichtet haben.

Das hat auch alles seinen Sinn. Denn (Hoch-)Kultur ist längst für große Unternehmen ein wichtiger Standortfaktor geworden, und auch die mittlere Führungsebene eines durchschnittlichen Konzerns gibt sich nicht zufrieden mit ein paar gut verkäuflichen Musicals und durchreisenden Orchestern, die will schon Qualität am Platze haben.

Trotzdem werden Kunst und Kultur im München der Zukunft zunehmend wirtschaftlich denken. Schon allein deshalb, weil München prosperiert "und weil das eine der Stärken der Stadt ist, die die Kulturszene für sich nutzen kann", wie Swantje Rößner meint. Rößner ist als Designerin selbst schon sehr nah an der Wirtschaft dran und Mitinhaberin der Agentur Poetic Design, die sich unter anderem auch mit Strategieberatung beschäftigt. Offenbar ganz erfolgreich, zu ihren Kunden zählen BMW, Siemens und Lufthansa.

Im Mai dieses Jahres hat sie für die Metropolregion München einen Workshop betreut, bei dem es um die Zukunft der Kreativwirtschaft in München ging. Man wollte herausfinden, in welche Richtung sich die Stadt entwickeln könnte. Als vor ein paar Jahren die erste Untersuchung über die Kreativwirtschaft in der Großregion München erschien, war man ja bass erstaunt über das Ergebnis. München, hieß es da, sei in diesem Wirtschaftsbereich - der vom klassischen "armen Poeten" oder auch Maler, Schauspieler, Tänzer bis hin zum Architekten, Werber und Game-Entwickler reicht - europaweit eines der führenden Zentren.

Seither gilt die Kreativwirtschaft sehr viel in der Stadt. Ein eigenes städtisches "Kompetenzteam" wurde für sie geschaffen, und an der Dachauer Straße entsteht so nach und nach ein eigenes "Kreativquartier". In zwei riesigen Industriehallen sollen Ateliers, Werkstätten und Studio ebenso untergebracht werden wie Aufführungsorte. Ein bereits bestehendes Areal voller Künstler und Kulturschaffender soll erhalten bleiben und sich weiterentwickeln, dazu kommen ein neues Wohnviertel, ein Uni-Campus und ein Gründerzentrum für kulturnahe Startups.

So etwas wird von Künstlern und anderen Kulturschaffenden gerne etwas misstrauisch beäugt. Man fühlt sich da leicht vereinnahmt und auf seinen wirtschaftlichen Nutzen reduziert. Swantje Rößner kennt diese Einwände und weiß natürlich auch, "dass die Leute in München oft das Schmutzige vermissen, anders als zum Beispiel in Berlin". So ganz nachvollziehen kann sie das aber nicht: "Es ist doch ein Irrtum zu glauben, Kunst sei nur dann gut, wenn man auf dem Zahnfleisch daherkommt." Viele Künstler, denen München zu geschleckt ist, zu aseptisch und brav, dürften ihr da widersprechen. Dennoch sind Rößners Argumente nicht so ganz von der Hand zu weisen: Warum die Chancen nicht nutzen, die eine wirtschaftlich prosperierende Umgebung bietet?

Nirgendwo in Europa seien jene Segmente der Wirtschaft, die für kreative Berufe interessant seien, so stark vertreten wie in München. Zwar fühle sich die Subkultur eher in Berlin und Barcelona zu Hause. Dafür habe München andere Qualitäten. Das Münchner Lebensgefühl, sinnbildlich dargestellt durch die Biergärten und die Isarauen, wirke durchaus auch befruchtend.

"Kreative werden in Zukunft verstärkt interdisziplinär arbeiten müssen", glaubt Rößner, "man wird auch von einander lernen." Filmemacher von Designern, Musiker von Theaterleuten, Künstler von Architekten. Insofern sei das Kreativquartier natürlich eine Art Zukunftsmodell, so wie Gewerbegebiete künftig "zu einer Art Inspirationszentren" werden könnten. Eine enge Kopplung zwischen Wirtschaft, Kulturszene und kreativen Lebensentwürfen sei in München überhaupt gut möglich, und man werde sicher auch vom eher konservativen Umland profitieren.

Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten

"Der Wohlstand der Stadt kann jedenfalls genutzt werden, um anarchistische Plätze neu zu besetzen", meint Rößner, "und Sicherheit schränkt Kreativität ganz sicher nicht ein." Für Kulturschaffende, die vorwiegend in den klassischen Sparten denken und die Gefahr sehen, dass ihre Kunst von Unternehmen eher korrumpiert denn gefördert wird, ist das sicher ein schwer nachvollziehbarer Gedanke.

Aber tatsächlich geht die Entwicklung ja heute schon in diese Richtung. Man kann diese Entwicklung durchaus skeptisch betrachten. Aber aufhalten lässt sie sich bestimmt nicht. In einer reichen Stadt wie München ist sie geradezu zwangsläufig.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2016/vewo
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