Süddeutsche Zeitung

Wie sich München nach vorne denkt:Fossilmotoriker? Nein, danke

Menschen wie Klaus Hess fuhren schon elektrisch, als vom Tesla und moderner E-Mobilität noch nicht die Rede war. Mit seinem Twike geht er auch auf große Reisen. Selbst wenn er sich dabei vorkommt wie Christoph Kolumbus

Von Laura Kaufmann

Klaus Hess reagiert schon nicht mehr auf die Blicke. Auf das Starren, auf das Lachen. "Bei einer meiner ersten Fahrten nach Ungarn ist immer, wenn mich so ein Fossilmotoriker überholt hat, eine Kamera aus dem Fenster gestreckt worden", sagt er. Fossilmotoriker, so nennt er die Autos mit Verbrennungsmotor. Und diese Fossilmotoriker wollten sein Twike fotografieren. Sein kleiner "Joghurtbecher", wie er beinahe zärtlich sagt, wird mit Strom betrieben. Seit zwölf Jahren fährt er mit ihm durch München und weiter, schon lange bevor Elektromobile als Fahrzeuge der Zukunft ins Gespräch kamen und Hollywoodstars mit elektrobetriebenen Teslas über den Freeway bretterten.

Das Twike ist ein dreirädriges Elektroleichtmobil und wurde ursprünglich als vollverkleidetes Fahrrad konzipiert. Ähnlich wie ein Liegefahrrad kann der Thalkirchner das Gefährt auch mit Muskelkraft bewegen, und dank dieser Funktion ist Klaus Hess seine Hüftbeschwerden, die von einem Unfall herrührten, seit zehn Jahren so gut wie los.

Aber mit Strom ist das Twike auch autobahntauglich. Bis zu 85 Kilometer pro Stunde schafft das kleine Gefährt, das einem Segelflugzeug ohne Flügel ähnelt. Ein Stoffmurmeltier sitzt mit an Bord; ein Andenken vom Großglockner, den Klaus Hess befahren hat. Auf der Ablage hinter den beiden Sitzen liegt Jesse. Der krebskranke Hund, um den sich sein Herrchen aufopfernd bemüht. Wenn Hess den Sheltie vorsichtig auf seinen Platz hinter den Beifahrersitz hebt, weiß Jesse: Das Ziel der Reise ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wiese im Grünen, auf der er nach Stöckchen suchen kann. Warm angezogen ist Hess dann, mit Mütze und Wanderstiefeln, denn für Dinge wie eine Heizung ist im Twike kein Platz. Gute 100 Kilo wiegt die Karosserie, knappe 100 Kilo die beiden Akkus. Der Wind pfeift leise über die Abdeckung, die Akkus surren. Kinder in vorbeifahrenden Autos drücken ihre Nasen an Fensterscheiben platt. Das kleine, gelbe Gefährt ist eine Attraktion.

"Ich fahre bewusst langsamer", sagt Klaus Hess, als ein Golf überholt. Um die 42 Stundenkilometer fährt er, wo 50 erlaubt wären. "Hinter so etwas wie mir können sie nicht herfahren. Nur Teslafahrer können das, da tickt im Kopf schon etwas anders." Also lässt er die Autos überholen. Ihn stört das nicht, für Hess ist der Weg das Ziel. Und die meisten Wagen, sagt er, sieht er an der nächsten Ampel sowieso wieder. "Ich behaupte, mit der Energie, die manche Leute mit sinnlosem Beschleunigen verschwenden, könnte ich mein Auto betreiben."

Mit seiner eher pessimistischen Sicht auf die Dinge liegt der Entwicklungsingenieur wahrscheinlich nicht falsch. Zumindest in naher Zukunft deuten Prognosen darauf hin, dass eher mehr statt weniger Autos in den dann noch dichter besiedelten Städten unterwegs sein werden. Autos mit gewöhnlichem Verbrennungsmotor. Mehr Staus, mehr Verkehr. Und nicht zuletzt haben auch die strombetriebenen Fahrzeuge noch ihre Tücken. Etwa was die Reichweite angeht, oder die Ladedauer oder die Schwere der Akkus. Es wird dauern, bis sie für jeden eine akzeptable Alternative darstellen.

Bis vor kurzem fuhr Hess täglich mit dem Twike in die Arbeit. Als sein Einsatzort noch in Ottobrunn war. Jetzt aber arbeitet der Entwicklungsingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik in Donauwörth, und für die lange Strecke nutzt er die Bahn. Das Twike ist bis zur Teilzeitrente nächsten Sommer das Freizeitvergnügen des 62-Jährigen.

Erst war er skeptisch, was das kleine Gefährt angeht. "Ich hatte einmal eines durch die Straßen fahren sehen, war neugierig und habe mich informiert. Aber der Preis hat mich abgeschreckt." 11 000 bis 12 000 Euro kostet so ein Fahrzeug. Und dazu kommen die Akkus, noch einmal beinahe 20 000 Euro. Klaus Hess' letzte Akkus haben drei Jahre gehalten. "Bei einem solchen Mobil muss man, was den Preis angeht, erst über den Berg des Schreckens, um in das Tal der Glückseligkeit zu gelangen."

Für die Autos hinter ihm wirkt es manchmal, als würde Hess Schlangenlinien fahren. Tatsächlich weicht er Gullideckeln und Schlaglöchern aus, die das Twike nicht besonders gut abfedern kann mit seinen schmalen Reifen. Über den Zustand mancher Straßen schüttelt er den Kopf. "Da juckt es mich dann, den Bürgermeister zu einer Rundfahrt durch seinen Ort einzuladen." Nicht die einzige Widrigkeit, mit der er als Elektrofahrer kämpft. Das fängt von Schwierigkeiten bei TÜV und Zulassung an - "mit unseren vergangenheitsorientierten Gesetzen und Sicherheitsregularien verbauen wir uns noch die Zukunft" - und endet bei der Unzuverlässigkeit der spärlich gesäten Ladestationen. Wenn er mit seinem Twike zum Beispiel nach Ungarn fährt, plant er seine Route sorgfältig. "Wenn ich auf eine Reise gehe und weiß, ich komme am Abend nicht nach Hause, komme ich mir vor wie Christoph Kolumbus, nach wie vor. Aber wir sind niemals liegen geblieben."

Fahren im Twike ist ein besonderes Erlebnis, und Klaus Hess möchte es trotz alldem nicht missen. "Allein der Panoramablick, den ich durch diese Scheibe habe."

Nächsten Sommer, wenn er in die Altersteilzeit wechselt, wird er wieder mehr Zeit dafür haben. Die Deutsche Bahn, die er nun für die Fahrt in die Arbeit nutzt, ist für ihn ein Ärgernis, welches seinen Wunsch nach Altersteilzeit befördert hat. Morgens um zehn nach 3 Uhr, wenn die Stadt noch nachtschwarz ist, verlässt er das Haus. Er steigt auf eine Art Elektroroller, fährt damit zur Nachtlinie, die ihn in die Hauptbahnhofgegend bringt, läuft zu seinem Zug. Abends gegen 19 Uhr ist er zurück in Thalkirchen. Er könnte etwas später aufbrechen. Aber auf die Deutsche Bahn möchte er sich nicht mehr verlassen. Er ist nicht besonders gut auf das Unternehmen zu sprechen. "Ich kann Leute verstehen, die nicht mit der Deutschen Bahn, nicht mit der MVG fahren wollen: Signalstörung, Stellwerksstörung, technische Störung am Zug - wenn man auf die Bahn setzt, um den Individualverkehr zu reduzieren, müsste sich da einiges ändern." Vor allem bei uns Menschen selbst, meint Hess. "Das größte Problem liegt zwischen unseren Ohren."

Wenn Klaus Hess von Fossilmotorikern spricht, ist das zwar ein Scherz. Aber es schwingt auch der Trotz des Belächelten mit. Früher hielt die Polizei ihn nicht auf, um seinen Führerschein, sondern um seine Fahrzeugpapiere zu sehen. "Ich war ein Exot." Heute, wo Teslas und andere Elektroautos zum Stadtbild gehören, ist das anders. "Ich kann natürlich nicht sagen, ob das, was ich mit dem Twike mache, die Zukunft ist. Aber wenn es niemand ausprobiert, dann weiß es eben auch niemand."

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Quelle:
SZ vom 16.11.2016
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