Wie Rot-Schwarz regiert:Das verschiebe ruhig auf morgen

Das Prinzip der politischen Warteschleife gehört inzwischen zum Markenzeichen der großen Rathauskoalition: Können sich CSU und SPD bei Verkehrsprojekten nicht einigen, geben sie Gutachten in Auftrag

Von Dominik Hutter

Die Koalitionäre waren sich einig: Es gilt, den eigenen Informationsstand zu verbessern - durch eine Expertise über das Verkehrsgeschehen auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs. Ausführen müssen diesen Stadtratsauftrag nun die Fachleute im Planungsreferat. Sie sollen darstellen, welche Auswirkungen es hätte, wenn die Autos ausgesperrt werden - und wie dann die verschiedenen Verkehrsteilnehmer miteinander klarkommen.

Wichtige Fragen also, deren sachkundige Klärung sicherlich keinen Schaden anrichtet. Nur ist es unwahrscheinlich, dass die Untersuchung auch nur kleinste Auswirkungen auf die Meinungsbildung im Rathaus hat. Die Parteien haben sich längst festgelegt. Das gilt auch für die Bündnispartner CSU und SPD, die allerdings in entgegengesetzte Richtungen streben. Die SPD hätte den Bahnhofplatz gerne autofrei, so wie es im Konzept der Architekten Auer + Weber vorgesehen ist, bisher übrigens ohne fachliche Einwände aus dem Planungsreferat. Die CSU dagegen, die erst seit einem Jahr mitregieren darf, will diese Pläne kippen, damit der Hauptbahnhof gut erreichbar bleibt. Das riecht nach Knatsch. Da kommt eine kleine Auszeit ganz recht, um größeren Ärger zu vermeiden.

Das Prinzip der politischen Warteschleife gehört inzwischen zum Markenzeichen der großen Rathauskoalition. Sobald ernsthafte Differenzen auftauchen, wird das Thema einfach vertagt. Idealerweise mit dem Auftrag an die Planer, doch noch ein bisschen mehr Licht ins eigentlich schon taghelle Dunkel zu bringen. Die müssen dann zum Beispiel die Kreuzungen in der Fürstenrieder Straße ein kleines bisschen nachjustieren - so geschehen bei der Diskussion um die Trambahn-Westtangente, auf deren Realisierung sich die Bündnispartner bisher nicht einigen können.

Was auch kein Wunder ist, denn eigentlich geht es um eine verkehrspolitische Grundsatzfrage: Sollen neue Tramstrecken gebaut werden, oder überlässt man den knappen Straßenraum lieber den Autos? Die CSU hat 2014 rund um die Fürstenrieder Straße einen intensiven Anti-Tram-Wahlkampf betrieben, speziell der heutige Stadtrat Otto Seidl hat sich dabei weit aus dem Fenster gelehnt. Aus der Nummer kommt die Fraktion nun so einfach nicht mehr heraus. Da hilft auch kein Herumdoktern an Ampelschaltungen und Abbiegespuren.

Für die Sozialdemokraten dagegen zählt die Westtangente zu den wichtigsten Nahverkehrsprojekten. Mit einer Kehrtwende in der Fürstenrieder Straße würden sie sich dem Vorwurf aussetzen, im Bündnis mit der CSU zur Autofahrerlobby zu mutieren. Da beauftragt man doch lieber die MVG, um Zeit für weitere Gespräche zu gewinnen. Zumal bei der Westtangente die Meinungsbildung im Rathaus besonders kniffelig ist. Denn CSU und SPD haben in ihrem Bündnispapier bei diesem Projekt Konsens vereinbart. Die Sozis können also nicht einmal damit drohen, die Trasse mit den Grünen durchzusetzen.

Zupass kommt den beiden "Großen" im Rathaus die gute Finanzlage. Wer sich öffentlich damit brüstet, die U-Bahn nach Pasing notfalls auch ohne staatliche Zuschüsse bauen zu können, muss sich um kleine Fische wie Planungskosten keine Sorgen machen. Die fallen ohnehin nicht besonders auf: Die Experten sitzen ja schon bezahlt in ihren Büros.

Für die Verwaltung ist der Aufwand dennoch enorm. Und so bat Stadtbaurätin Elisabeth Merk kürzlich inständig darum, für die Verkehrsanbindung des neuen Stadtteils Freiham doch bitte keine vollständige Wirtschaftlichkeitsberechnung, eine sogenannte standardisierte Bewertung, erarbeiten zu müssen. Sondern nur eine abgespeckte Expertise, welche Vor- und Nachteile eine Erschließung mit einer U-Bahn oder aber alternativ mit einer Straßenbahn hätte. Und welche Lösung bessere Chancen auf staatliche Fördergelder hätte. Die Politiker hatten ein Einsehen und verschonten die Behörde vor allzu zeitraubenden Untersuchungen. Überschlägig prüfen müssen die Planer trotzdem. Schließlich macht sich die SPD seit Jahren für die Tramlösung stark. Die CSU favorisiert die U-Bahn.

Was in Freiham noch vertretbar erscheint, wurde bei einem anderen Projekt zur Farce: bei der Verbindungsspange zwischen U 2 und U 6 im Münchner Norden, genannt U 26. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Trasse wurde bereits geprüft. Das Ergebnis war so miserabel, dass sich eigentlich jede weitere Überlegung erübrigen müsste. Dennoch entschieden die Bündnispartner, die Strecke bleibe Bestandteil der Verkehrsplanung im Münchner Norden. Das sorgt zwar für unnötigen Zusatzaufwand in der Verwaltung. Es hilft jedoch dem Klima im Bündnis. Die Trasse liegt der CSU am Herzen.

Neu ist die Aussitzerei nicht. Auch die frühere rot-grüne Koalition bediente sich dieses Stilmittels und sorgte damit für Stillstand. Bei den Radwegen in der Rosenheimer Straße etwa oder beim alltäglichen Verkehrschaos am Marienplatz. Diese Themen sind inzwischen geklärt - CSU und SPD haben schnell eine gemeinsame Lösung gefunden. Und einfach entschieden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: