Süddeutsche Zeitung

Wie kinderfreundlich ist die Stadt?:Ich bastle mir eine Kinderkrippe

Lesezeit: 5 min

Was Eltern erleben, die mit viel Elan und Eigeninitiative ein Haus in einen Betreuungsort für ihren Nachwuchs umwandeln.

Von Doris Näger

Entscheidend ist die Frage nach dem Warum. Doch wer hier von den beiden jungen Müttern politische Bekenntnisse zur Demokratie im Besonderen oder Statements über die tiefere Bedeutung ehrenamtlichen Engagements erwartet, liegt falsch. Daniela Lorenzen bleibt ruhig auf ihrem Sessel sitzen, zieht die Schultern hoch, bis Strähnen ihrer halblangen blonden Haare von den Schultern rutschen und sagt: "Wir hatten einfach keine Alternative."

Sabine Gottstein, die ihr gegenüber sitzt, eine schmale Frau in Hellblau und Beige, nickt bestätigend. Beide haben Kinder, beide wollen wieder arbeiten. Weil aber der Münchner Westen nur äußerst spärlich Kinderbetreuung anbietet, haben sie vergangenes Jahr beschlossen, bei der Gründung einer Krippe selbst mitzumachen.

Katastrophale Infrastruktur

"Als wir hierher gezogen sind, dachte ich: Hups, das ist hier gar nicht so witzig", erinnert sich Daniela Lorenzen an den Mai 2004. Die einstige Filialleiterin bei der HypoVereinsbank war geschockt. Doch wie der 37-Jährigen ergeht es vielen, die sich in Pasing oder Obermenzing mit ihren Familien niederlassen.

"Die Infrastruktur ist hier eine Katastrophe", klagt auch Gottstein, deren zweijährige Elena sich mit Lorenzens 16 Monate alter Lea jetzt einen Krippenplatz teilt. Als Bekannte sie auf die Eltern-Kind-Initiative Würmchen aufmerksam machten, dachte Lorenzen: "Das ist genau das, was ich suche." Mittlerweile ist Lorenzen eine von vier Vorstandsfrauen.

Gemischtes Konzept

Die Würmchen - der Name steht nicht nur liebevoll für die Kleinen, sondern auch für die Würm - sind aber keine Krabbelgruppe, die sich mal so eben findet. Dahinter verbirgt sich der Plan für ein groß angelegtes Betreuungsmodell von der Krippe für die Einjährigen über Kindergarten bis hin zum Hort für Schulkinder.

Pädagogisch basiert die Einrichtung auf einem altersgemischten Konzept mit den Schwerpunkten Verantwortungsbewusstsein, Sprache, Musik, Kreativität, Bewegung und Konzentration. Sie habe es sich schon sehr genau überlegt, sagt Gottstein. "Aber dass es so viel Arbeit wird, hätte ich nicht gedacht."

Zu viel Arbeit

Dabei war, als die beiden Frauen einstiegen, der Grundstein schon gelegt. Die Musikpädagogin Sonja Güthoff hatte sich bereits beim Kleinkindertagesstättenverein (KKT), der als Dachverband auch Gründer berät, über Vorgehensweise und Konsequenzen informiert.

"Anfangs hatte ich drei Mitstreiterinnen", sagt Güthoff. "Doch nach dem ersten Gespräch sprangen sie alle ab." Die Beraterin hatte den vier Frauen viel Arbeit prophezeit. "Sie hatte Recht", sagt Güthoff heute. Damals hatte sie nicht geahnt, dass auch sie aussteigen würde.

Fusslig reden und anwerben

Aber zunächst sammelte die 28-Jährige Informationen. "Das war das Schwierigste." Sie befragte andere Eltern-Kind-Initiativen. Sie erkundigte sich nach den rechtlichen Konsequenzen. Sie suchte nach einem Haus, brütete über einem pädagogisches Konzept, bereitete eine Vereinsgründung vor. Ihr Mann schrieb die Satzung dazu. "Es waren zwei sehr intensive Monate."

Ihre sechs Monate alte Tochter nahm sie überall mit hin. Um Gleichgesinnte zu finden, hängte sie Zettel an Straßenlaternen auf, passte Mütter vor den Krippen ab, rief Bekannte und Freunde an. "Ich habe mich fusselig geredet am Telefon." Und traf Gottstein und Lorenzen. Die die Anwerbeaktion ausweiteten. "Reden, reden, reden", das ist auch Lorenzens Erinnerung an den Frühsommer: "Wir haben überall geworben, in der Baby-Schwimmgruppe und auf dem Spielplatz."

Geplatzter Mietvertrag

Nachdem genügend Leute gefunden waren, tauchte das Finanzproblem auf. "Wir hatten nur sehr vorläufige Zahlen, was uns das alles kosten würde", sagt Lorenzen. Es sei der mutigste Schritt gewesen, "zu sagen, ich mach's trotzdem, obwohl wir die Finanzen nicht abschätzen konnten".

Zu allem Überfluss platzte im Juli der Mietvertrag, weil sich herausstellte, dass der Garten nicht genutzt werden durfte. Schnell ein anderes Haus zu finden, "war wahnsinnig schwierig", sagt Gottstein. "Die Vermieter runzeln die Stirn, wenn man mit seinen Plänen rausrückt." Doch es gelang.

Gartentürchen und eine Baustelle

Es ist eines dieser Häuser mit Gartentürchen und Stufen zum Eingang. Ein Reiheneckhaus am Rande eines Wohngebiets in der Bergsonstraße. Im Flur auf den Haken türmen sich Miniatur-Mäntel und -Mützen. In Fächern darüber sind Windeln, Fläschchen und Butterbrotdosen sortiert.

Gleich dahinter geht es zur Baustelle. Im ersten Stock liegen aufgerissene Tüten mit Gips und Spachtel. Ein Sessel steht mitten im Zimmer. Die Wände sind frisch getüncht, die Böden sichtlich ungeputzt. Derzeit können die Würmchen nur im Erdgeschoss spielen.

Handarbeit für Kopfarbeiter

Mit dem auf die Schnelle gefundenen Haus kamen auch Probleme: Eine Nutzungsänderung musste beantragt werden und zusätzlich die Zweckentfremdung. Die Branddirektion monierte, dass es für die oberen Stockwerke keinen zweiten Fluchtweg gibt.

Nach Blitzschutz- und Hausalarmanlage forderte die Lokalbaukommission also eine Außentreppe. "Brandschutz zieht bauliche Maßnahmen nach sich, und das zieht wiederum Genehmigungen nach sich", sagt Gottstein. "Zum Glück haben wir Architekten unter uns, die die Pläne machen konnten."

Und so ist es auch mit vielen anderen Arbeiten zum Umbau des früheren Wohnhauses. "Hier sind viele Talente gefragt: Schweißen, Malern, Schreinern."

Einer der Väter hat schon Installationsarbeiten übernommen, aber grundsätzlich "sind wir alle Kopfarbeiter", sagt Gottstein, also Akademiker. "Das ist gut, um sich durch die Behörden zu kämpfen", sagt Gottstein. Aber einen Handwerker dabei zu haben, "wäre nicht schlecht gewesen".

Diskussionen bis Mitternacht

Der Bezirksausschuss musste mit ins Boot geholt werden, weil sie einen Baum fällen wollen und auf dessen finanzielle Hilfe hoffen. Sie nahmen Kontakt zu Lokalpolitikern auf, um Fördergelder zu bekommen. Sie setzten sich gegen einen Nachbarn zur Wehr, der im Bezirksausschuss gegen sie arbeitete.

Sie stellten Personal ein. Das heißt: An drei bis vier Abenden stellten sich Erzieherinnen vor, so lange, bis alle Eltern sich auf zwei einigen konnten. Immer noch gibt es Treffen mit Diskussionen bis Mitternacht. "Es gibt eben nicht einen einzigen Chef, der irgendwann sagt, jetzt reicht's, wir machen es so", sagt Gottstein.

Finanziell ist der Verein nicht gerade rosig ausgestattet. Für einen Ganztagesplatz - immerhin flexibel von 7.30 Uhr bis 18 Uhr - zahlen die Eltern 500 Euro im Monat. "Das wird erst weniger, wenn wir die städtischen Zuschüsse bekommen", sagt Gottstein.

Auch mussten alle Eltern einen Dreimonatsbeitrag als Kaution hinterlegen, der nun als Darlehen benutzt wird. "Aber dass es so eng wird, konnten wir nicht absehen", sagt Güthoff. Vor Weihnachten verschickten sie eine Bettelmail mit Spendenaufruf. Auch Sponsoren werden geworben.

Sonja Güthoff wuchs alles irgendwann über den Kopf. "Ich bekam gesundheitliche Probleme, ich war mit meiner Kraft am Ende." Bei der Initiatorin liefen die Drähte zusammen.

In dieser auch familiären Krise bekam sie die Zusage einer Krippe gegenüber ihrem Haus, in dem genau das gleiche pädagogische Konzept verfolgt wird. "Ein goldenes Angebot." Im November stieg Güthoff aus. "Aber ich bin den Würmchen immer verbunden, da ist mein Herzblut drin."

Wer keine Zeit hat, muss zahlen

Dort herrscht mittlerweile strenge Arbeitsteilung: Der eine kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit, der andere ums Finanzielle. Jeder muss zwei Stunden die Woche aufbringen. Wer's nicht schafft, bezahlt.

Nur Kochen und Putzen überlassen die Eltern den Profis. Aber es bleiben genügend Aufgaben: Einen Wickeltisch hat gerade jemand fertig gebaut. Ein anderer hat im Bad ein Brett mit Löchern für Zahnputzbecher angeschraubt.

Was man zur Krippen-Gründung braucht? "Geld und Zeit", sagt Lorenzen. "Durchhaltevermögen und den Enthusiasmus der Leute", ergänzt Gottstein. Was haben sie falsch gemacht? "Ein mehrstöckiges Haus gemietet."

Gründung eines Unternehmens

Trotz all der Arbeit und der vielen Abende, die sich um Würmchen drehen, sehen die Frauen das Projekt nach wie vor positiv. "Ich investiere jetzt Zeit, um mir später Zeit zu sparen", sagt Gottstein. Lorenzen findet: "Es ist wie die Gründung eines mittelständischen Unternehmens, nur eben ehrenamtlich."

Auch Güthoff "würde jedem raten, das zu machen", nur mit der Einschränkung, dass nicht eine Familie die Alleininitiatorin sein sollte. Und warnt vor Überraschungen: "Man kann nicht alles überblicken, wenn man in dieses Abenteuer springt."

(SZ vom 5./6. 02.2005)

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