Wie bleibt man gesund?:"Rücken ist das, womit wir am häufigsten zu tun haben"

Lesezeit: 6 Min.

Wie bleibt man gesund? Detlef Krajaks Antwort lautet: "Nimm dir Zeit für dich." (Foto: Florian Peljak)

Detlef Krajak hat einen Physiotherapie-Ort etabliert, den auch Prominente, Adlige oder Hochleistungssportler aufsuchen. Wie wird man in München zur begehrten Therapie-Adresse?

Von Philipp Crone

Ohne die Bleiweste hätte Jon Bon Jovi die Praxis von Detlef Krajak vielleicht nie betreten. Mit solchen Westen trainierte der junge Leistungssportler Krajak. "Eine ideale Art, um sich selbst zu zerstören", sagt er heute. Als der Mann aus Niederbayern dann den Sport, Leichtathletik und Volleyball, aufgeben musste nach vielen Verletzungen, aber dieser Atmosphäre der Hochleistung nahe bleiben wollte, begann er sich für die Heilung des Körpers zu interessieren.

Vielleicht wäre Krajak, ein 64-jähriger drahtiger Mann mit weißer Hose, weißen Turnschuhen und weißem Dreitage-Bart, nicht als einer der ersten Männer zum Physiotherapeuten in Deutschland ausgebildet worden und hätte später ein Reha- und Trainingszentrum aufgebaut, in dem heute von Olympia-Teilnehmern über Gäste wie Jon Bon Jovi oder Franz Herzog von Bayern, Ballett-Tänzer der Staatsoper oder Schauspieler trainieren und sich behandeln lassen.

Prominente Gäste, das kann bedeuten, dass sich ein Ort zur Selbstvermarktung eignet. Allerdings ist das im Krajak-Komplex am Platz der Opfer der Nationalsozialisten nicht der Fall. "Hier laufen alle im Trainingsanzug rum", sagt Krajak mit einer rauweichen Stimme, die einen wahrscheinlich auch nach einem frischen doppelten Kreuzbandriss an das Schöne im Leben glauben lässt. Viel gepostet wird da nicht. Krajak schaut durch seine schmale Panzerknacker-Brille im Eingangsbereich auf die verschiedenen Räume, als Franz Herzog von Bayern in T-Shirt und Trainingshose vorbeiläuft. Der Mann ist einer der scheuesten bekannten Persönlichkeiten der Stadt und der größte Antagonist der Selbstvermarktung. So einer kommt, wenn er sich wohl fühlt und wenn ihm jemand von mehreren Seiten empfohlen wurde.

Es gibt in München Hunderte Reha-Praxen, es gibt Schaufenster-Studios wie etwa das Leo's. Warum aber kommen die Leute zu Krajak und seinen 36 Mitarbeitern? Und, nachdem die Bandbreite von hochprominent bis unbekanntest, von 17 bis 87 Jahren, vom Durchtrainiertesten bis zum Untrainiertesten reicht, was weiß dieser 64-Jährige über München und die Gesundheit seiner Bewohner?

Bevor er gesund machte, war Detlef Krajak selbst kaputt. Er wuchs bei seiner Oma auf, die als vertriebene Schlesierin eines Tages nach dem Krieg in Dingolfing am Bahnhof stand. Der Enkel ging auf die Realschule, wurde Leichtathlet, Hundert Meter und Weitsprung. Später Volleyball, Bayernauswahl, jeden Tag Training, Sprünge mit besagten Bleiwesten von Kästen herunter. Die beste Methode eben, um Gelenke zu zerstören, was damals aber noch keiner so wahrnahm. Krajak verletzte sich, immer wieder, klassische Muskel- und Überlastungsgeschichten, und begann sich zu fragen, wie man Verletzungen heilt oder vermeidet. Er lernte, "wie elend es ist, wenn man nicht teilnehmen kann". Ein Elend, das er Athleten später ersparen wollte.

Vor 45 Jahren sah die Physio-Ausbildung noch keine Männer vor in Deutschland. Also machte Krajak zunächst die zum "Masseur und medizinischen Bademeister". Er wollte mehr wissen über den Körper, nach dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg begann er 1981 die Ausbildung zum Sportphysiotherapeuten. Er war, drei Jahre später, mit Klaus Eder, "dem Ederklaus", wie Krajak sagt, wieder erster Physiotherapeut, "bei Olympischen Spielen". Bis dahin hatten die Sportler Ärzte und Masseure dabei. Eder, wohl durch sein Fußball-Engagement der bekannteste Physiotherapeut des Landes, sei sein Mentor gewesen, sagt Krajak, der dann die Ruderer betreute, weil er über ein paar Ecken den Trainerstab kannte.

Krajak blieb nach Olympia 1984 in den USA, dem damaligen Physio-Mekka. "Die Amerikaner hatten die besten Geräte." Krajak war ein Jahr bei Richard Steadman, dem Operateur, der damals alle wichtigen Kicker-Knie auf den OP-Tisch bekam, lernte weitere Sportler kennen wie Marc Girardelli oder Irene Epple. Die amerikanischen Mediziner nutzten bereits Ultraschall und andere Messgeräte, die in Europa "erst 20 Jahre später üblich waren". Da schon so viel Geld im US-Sport floß, zum Beispiel in der Football-Liga NFL oder beim Basketball, waren die medizinischen Abteilungen hochgerüstet und gut ausgestattet. "Was die aber nicht so gut konnten, war das hands on." Das Manuelle, das Fühlen mit den Fingern. "Ich hatte da bereits die skandinavische Manuelle Therapie gelernt und dabei, wie man Gelenke mobilisiert." Bei jeder Reha ist das Mobilisieren von zuvor ruhig gestellten Gelenken einer, wenn nicht der entscheidende Punkt.

"Jedes Gelenk bewegt sich mit einem Rollen und einem Gleiten", sagt Krajak und legt die rechte Faust in die geöffnete zerfurchte linke Hand. Nach einer Verletzung schrumpfe die Gelenkkapsel um das Gelenk und schränke so dessen Beweglichkeit ein. "Das Rollen bleibt erhalten, aber das Gleiten geht bei immobilen Gelenken verloren." Durch seine Techniken zeigte Krajak den US-Ärzten, wie man Gelenke wieder beweglich macht.

Als er wieder zurückkam, hatte Krajak Glück, weil er Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt kennenlernte, der damals bereits als erste Adresse für Sportler galt. "Der hat alle zu mir geschickt, von Augenthaler bis Matthäus. Das war skurril zum Teil, weil Reporter neben der Liege auf einem Stuhl saßen und während der Behandlung Interviews geführt haben." Krajak zog nach München und eröffnete 1986 sein ambulantes Therapiezentrum.

Neugierde, Ausdauer, Glück. Und eine Besessenheit, wie er es nennt, immer noch mehr zu wissen. Krajak ließ sich weiterbilden, zum Osteopathen, im allerersten Kurs, den es in Deutschland gab. "Da saßen nur Cracks drin." Und der Mann aus Niederbayern, der heute an seinem unbehandelten Holzschreibtisch im Büro mit Blick auf den Maximiliansplatz sagt: "Ich hatte irgendwie immer das Bedürfnis, etwas zu erreichen." Wenn man ohne Eltern bei der Oma aufwächst, deren Mann in russischer Kriegsgefangenschaft starb und deren 600 Mark Rente nicht reichen, entsteht wohl so ein Drang. Und vielleicht auch der nach Miteinander, Anerkennung und Geborgenheit.

Sport-Physiotherapeuten müssen sich fachlich auskennen, müssen Verletzungen ertasten, körperliche Zusammenhänge herstellen. Aber ein vielleicht noch größerer Teil ihrer Aufgabe ist die eines Begleiters für den Sportler. Physiotherapeuten sind in jeder Mannschaft der soziale Mittelpunkt, der Raum mit den Liegen der Treffpunkt. Physiotherapeuten sind Fan und diskrete Zuhörer, Hoffnungsträger bei Verletzungen, sie stehen für das Normale in einer künstlichen Hochleistungswelt. Ohne einen sozial kompetenten medizinischen Staff gibt es keine Erfolge. Dafür ist die Psyche bei Spitzensportlern zu entscheidend.

Krajak wirkt wie die Gestalt gewordene Zuversicht in weiß. Die Stimme, die ruhigen Bewegungen. So wie Müller-Wohlfahrt umgibt ihn allein durch den bekannten Namen die Heiler-Aura. Ein personifizierter Placebo-Effekt, der den Stolz auf sein Werk so gekonnt beiläufig zeigt, dass man ihn beinahe übersieht. Allerdings erwähnt er dafür dann doch zu viele bekannte Namen, die ihn aufsuchen.

Es ist schon eine Edel-Einrichtung, die Krajak anbietet. Für 75 Euro im Monat kann man hier trainieren, im Vergleich zu den Preisen etwa von FittnessFirst (50 Euro). 500 Mitglieder sind es derzeit. Krajaks Mitarbeiter behandeln zu 85 Prozent Privatpatienten. Eine besondere Adresse also mit prominenten Kunden? Wobei das auch der promi-gewöhnte Münchner Blick sein könnte, denn zumindest Markus Norys kennt Krajaks Einrichtung gar nicht. Und Norys ist Vorsitzender des Deutschen Verbands für Physiotherapie in Bayern. Könnte aber auch an der riesigen Zahl liegen. In Bayern gibt es mindestens 6300 Praxen, in ganz Deutschland sind es laut Norys' Verband 197 000 Physiotherapeuten.

Krajak schwärmt gerne. Von Kirill Petrenkos Präsenz und wie austrainiert der stille Dirigent aus Sibirien sei, der Star-Dirigent der Opern-Szene. Von der 800-Meter-Läuferin Christina Hering, an der "kein Gramm Fett" sei, oder erzählt, dass Schauspielerinnen Michaela May oder Gaby Dohm zu seinen Kunden zählen.

"Es gibt viele Geiger, aber wenige Virtuosen", sagt Krajak und meint sich. "Ich habe einen großen Baukasten." So eine Aussage wirkt auf Außenstehende wie Angeberei, auf Athleten oft nicht, sie brauchen vielmehr so ein Selbstbewusstsein ihres Therapeuten, um an die heilende Wirkung seiner Hände und Therapien zu glauben.

"Rücken ist das, womit wir am häufigsten zu tun haben", sagt Krajak. Die Erfahrung aus 30 Jahren und allen Bereichen. Dabei hat er einige Tendenzen festgestellt: "Einzelsportler sind meist mehr mit sich selbst beschäftigt, Italiener sind am schmerzempfindlichsten und Frauen können ihre Leiden besser erklären als Männer, weil sie besser in ihren Körper reinhören können." Er selbst trainiert jeden Morgen um 6.40 Uhr 25 Minuten lang. Dehnen, Yoga, Stabilisation. Krajak hatte vier Bandscheibenvorfälle, zwei nach Stürzen vom Rad und beim Skifahren, zwei als Spätfolgen des Bleiwestentrainings.

Die Bedeutung der Physiotherapie wird größer, sagt Krajak. Die Kasse bezahle mittlerweile mehr für derartige Leistungen, und da die Menschen, vor allem auch im körperbewussten München, immer mehr auf ihre Gesundheit achten würden, kämen sie auch immer häufiger mit der Physiotherapie und dem Training in Berührung. Und müssten dann seltener unters Messer. "Ich bin überzeugt, dass 80 Prozent aller Operationen vermieden werden können." Eine Aussage mit hohem Anteil Geschäftssinn. Denn um als tagsüber gekrümmt sitzender Büromensch nicht irgendwann operiert werden zu müssen, etwa am Rücken, muss man natürlich etwas tun. Zum Beispiel bei Krajak. Da liest man dann Slogans wie "Bleib nicht, wie du bist" oder "Das wichtigste Statussymbol ist der Körperstatus".

Aber über allem hängt immer die eine Frage: Wie bleibt man gesund? Detlef Krajaks Antwort lautet: "Nimm dir Zeit für dich." Wenn der Leidensdruck wegen Schmerzen hoch sei, würde man das ja auch schaffen. Vorher ist es aber deutlich gesünder.

© SZ vom 12.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: