Whitney Houston in München:Und sie singt doch!

In München gelang der einst unnahbaren, dann gefallenen Diva Whitney Houston, was selbst Fans kaum noch zu hoffen gewagt hatten: ein bewegender Abend.

Franziska Seng

Benimmt sich so eine Diva? Bereits nach zwei Songs hat sich auf Whitney Houstons Gesicht ein Schweißfilm gebildet, der im Schweinwerferlicht einen schillernderen Effekt hat als die hautenge Glitzer-Leggins. Die Soul-Sängerin stellt sich mit dem Rücken zum Publikum, trocknet den Schweiß ab, zückt demonstrativ auf der Bühne Schminkspiegel und Puderquaste. Tupft sich eine Maske aus Make-up auf's Antlitz. Ein paar Takte später ist die aber auch wieder den Bach runter.

Whitney Houston In Concert

Whitney Houston kehrt zurück - zwar nicht in den Olymp der Götter, aber immerhin.

(Foto: Getty Images)

Die Geste kann man als beispielhaft für Houstons Show am vergangenen Freitagabend sehen. Eine Diva, eine göttliche Erscheinung, wie sie Whitney Houston vor einigen Jahren zweifellos verkörperte, würde sich nie öffentlich schminken und so auf einen Makel aufmerksam machen. Make-up, das brauchen Menschen. Göttinnen sind übernatürlich, schön, vollkommen. Whitney Houston hat sich jedoch entschlossen, ihrer Zeit als unangefochtene Diva nicht hinter verschlossenen Türen nachzutrauern. Sie wagt sich auf die Bühne, singt Lieder, hauptsächlich von der Liebe, macht auf transpirativer Ebene Joe Cocker Konkurrenz, schüttet ihr Herz aus und stellt das Publikum vor die simple Wahl: Take it or leave it.

"Houston, wir haben ein Problem"

In den vergangenen Tagen musste die 46-Jährige, die in den 80er Jahren bisweilen selbst hartgesottene Musik-Kritiker zu Tränen rührte, viel einstecken: Stimme weg, vergisst Text, wirkt wie benebelt, nach Drogenexzessen und ihrer Ehe mit R'n'B-Sänger Bobby Brown einfach ruiniert, so der Tenor vieler Kritiken. In Berlin buhte das Publikum sie aus. "Houston, wir haben ein Problem" wurde zum Kalauer der Woche.

Die Münchner Olympiahalle war nicht einmal halb gefüllt, jedoch blieben der bunt gemischten Menge - Omas mit Enkeln, solariumgebräunte Fitnessbolzen, Damen in Dirndln, Pommes mampfende Touristen aus den USA - sowie allen Beteiligten auf der Bühne Szenen wie etwa in Berlin erspart. Whitney Houston lieferte mit ihrer Band, was selbst Fans kaum noch zu hoffen gewagt hatten: einen sehr bewegenden Abend. Trotz nicht zu übertünchender Schwächen.

Vor über zehn Jahren war sie zuletzt auf Welttournee. Nun, auf der "Nothing but Love"-Tour hat sie zu kämpfen mit einer Kurzatmigkeit, einer verschlissenen Stimme, die man bei Sängerinnen ihres Alters noch nicht erwarten würde. Die Koloraturen, die ihr früher mit einer unvergleichlichen Leichtigkeit zu gelingen schienen, bleiben in der Kehle stecken, sie sind in den alten Songs nur noch als Abglanz früheren Könnens erahnbar. In den neueren ließ man sie großzügig weg. Und umfasste ihre Stimme früher vier Oktaven, müssen nun, etwa bei ihrem größten Hit "I will always love you" aus dem Film Bodyguard, die oberen Töne eben ausfallen.

Aufblitzen alter Größe

Dem Enthusiasmus des Publikums tat dies keinen Abbruch. Auch nicht, dass sie bisweilen wie eine Statistin in einem Film wirkte, in dem sie die Hauptrolle spielen sollte und unbeholfen über die Bühne tänzelte - immerhin in Pumps, in denen sich einige aus Heidis Model-Zirkus staksiger angestellt haben. Jedes noch so kleine Aufblitzen alter Größe, einer virtuosen Stimmführung, die an frühere Glanzzeiten erinnerte, wurde mit begeisterten Rufen und Beifall begrüßt.

Nach einem Set von Songs aus dem letzten Album schlossen sich ältere Hits an, etwa "My Love is your Love" aus den 90er Jahren, immer noch gefühlvoll gesungen und zum Teil mit kräftigen Akzenten, auch wenn Houston die Töne nur noch halb so lang halten kann wie früher. Doch ihre Leistung mit der Stoppuhr zu messen, so kleinlich möchte an diesem Abend niemand sein, man ist beglückt über den Erinnerungsreigen, den Houstons Melodien anstiften. Nostalgie ist etwas wunderbares.

Gefallene Göttinen werden geliebt

Dann stimmt sie an zu einem Set von Gospel-Songs, in dem sie das Publikum an einer Seelenbeichte teilhaben lässt, einer Soul-Erfahrung im ursprünglichen Sinn - da darf dann auch im Publikum etwas geweint werden. Schließlich wird Houstons suchende Stimme, die anfangs bisweilen wie ein nervöses Vögelchen durch die Halle flatterte, immer öfter fündig, und gegen Ende des Konzertes wirkt die Sängerin weniger abgekämpft als zu Beginn, kurz vor ihrer Schminkeinlage. Beim letzten Song, "Million Dollar Bill", den eine Soul-Sängerin der jüngeren Generation, Alicia Keys, ihr auf den Leib geschrieben hat - ohne hohen Tonlagen und Koloraturen - fegt sie wie erlöst mit den Background-Tänzern über die Bühne. Das Publikum hat sich erhoben und wiegt sich nicht ekstatisch, aber immerhin deutlich bewegt zur Musik.

So kann Whitney Houstons Tour durchaus als eine Art Comeback bezeichnet werden, wenn auch nicht als das der überirdischen Diva früherer Jahre. Das kann, muss man aber nicht bis in alle Ewigkeit bedauern. Denn Göttinnen verehren die Menschen zwar, gefallene Göttinnen aber lieben sie.

Zumindest an diesem Abend.

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