Wetter:Eine Stadt im Fieber

Am bislang heißesten Tag des Jahres lässt sich eindrucksvoll beobachten, dass Bäume das beste Mittel gegen Bruthitze in der Stadt sind. An der Bratpfanne Münchens, der Theresienwiese, werden bis zu 36,2 Grad gemessen

Von Thomas Anlauf

Die Stadt wacht in der Hitze der Nacht. Die Temperaturen fielen nicht unter 21 Grad Celsius, eine Tropennacht. Als der Himmel um halb sechs Uhr glutrot über Thalkirchen leuchtet, packen die ersten Menschen am Campingplatz schon ihre Zelte ein. "Wir wollen so weit fahren wie möglich, bevor die Hitze kommt", sagt ein schwedischer Familienvater. Es geht in die Toskana. Es soll heiß werden an diesem Donnerstag, sehr heiß. Es wird der bislang heißeste Tag des ohnehin schon zu heißen Jahres.

Die Münchner sind früh auf. Ein Kanute paddelt in der Morgensonne im Isarkanal, ein Schwan plustert sich neben ihm. Im schattigen Stadtwald am Flaucher laufen gemächlich Jogger ihre Runden, bloß nicht zu schnell. Die Temperaturen steigen rasant. Um fünf Uhr waren es an der Theresienwiese noch 21,2 Grad, um zehn Uhr schon 30,3 Grad Celsius. Die Wiesn ist die Bratpfanne Münchens. Dort ist auch Angela Burkhardt-Keller schon bei Sonnenaufgang unterwegs. Gemeinsam mit mehreren Teams des Bund Naturschutzes untersucht sie, was die Hitze an einem Tag wie diesem mit der Stadt macht. Zur gleichen Zeit sind Umweltschützer in Coburg und Nürnberg unterwegs. Das Ergebnis aller Hitzemesser zeigt ein gleiches Bild: Bäume sind das wirksamste Mittel gegen Bruthitze in der Stadt.

Angela Burkhardt- Keller (grünes Shirt) vom Bund Naturschutz führt an heutigen Tage mit ihrem Team Hitzemessunge durch

Kühlender Park: Angela Burkhardt-Keller (2. von links) misst im Nußbaumpark mit ihrem Team vom Bund Naturschutz die Temperatur.

(Foto: Corinna Guthknecht)

Angela Burkhardt-Keller macht an diesem Vormittag gerade eine kurze Pause in den kühleren Räumen beim Bund Naturschutz in der Pettenkoferstraße. Stündlich messen sie die Fieberkurve Münchens zwischen Sendlinger Tor und Theresienwiese. Mit einem von der Wissenschaft anerkannten Thermometer, einem Aßmannschen Aspirationspsychrometer, stehen sie Stunde für Stunde im schattigen Nußbaumpark, vor dem baumlosen Eingangsbereich des BN im Klinikviertel, in der Beethovenstraße mit seinen Bäumen und auf der vor Hitze flirrenden Fläche der Theresienwiese. Angela Burkhardt-Keller will die Stadtgesellschaft warnen. "Das, was wir jetzt erleben, ist erst der Vorgeschmack", sagt die Diplom-Forstwirtin.

Der Klimawandel. Er trifft München besonders heftig. Die Stadt ist durch die dichte Bebauung ohnehin eine Hitzeinsel mit bis zu zehn Grad höheren Temperaturen im Vergleich zum Umland. Viele Bäume in München können schon jetzt nicht mehr mit der Hitze und der oftmals extrem trockenen Witterung mithalten. "Wir verlieren hier schon reihenweise Birken", sagt Burkhardt-Keller. Doch nicht nur die: Fichten, Eschen, Ebereschen und auch Buchen sind massiv bedroht in ihrem Bestand. Bei Temperaturen über 30 Grad schließen viele Bäume ihre Spaltöffnungen, die Stomata, und stellen damit die Photosynthese weitgehend ein, um zu überleben. Sie werfen dann teilweise ihre Blätter ab, manche Baumarten auch ganze Äste. Die Bäume sind im Hitzestress.

Angela Burkhardt- Keller (grünes Shirt) vom Bund Naturschutz führt an heutigen Tage mit ihrem Team Hitzemessunge durch

Genaue Messmethode: Mit einem Aspirationspsychrometer kann die Lufttemperatur und die relative Feuchte ziemlich exakt bestimmt werden.

(Foto: Corinna Guthknecht)

Für Angela Burkhardt-Keller ist es deshalb wichtig, den Fokus in der Stadtpolitik verstärkt auf den Baumschutz zu richten. "Stadtbäume sind essenziell für ein gesundes Stadtklima - sie können die gefühlte Temperatur in ihrer Umgebung um bis zu zehn Grad reduzieren". Bei der Stadtplanung müssten Bäume und Grünflächen künftig immer vorrangig berücksichtigt werden. Gerade in Randbereichen Münchens könnten Straßen deutlich mehr begrünt werden, aber auch in der Innenstadt, etwa der weitgehend baumlosen Schwanthalerstraße, wo in diesen Tagen die heißtrockene Luft steht. Eine Allee würde ein gesünderes Mikroklima schaffen mit höherer Luftfeuchtigkeit, kühleren Temperaturen und kleinräumigem Wind. Doch Burghardt-Keller erlebt in ihrer Arbeit ständig, dass jährlich Hunderte Bäume geopfert werden, für Parkplätze oder Neubauten. "Bäume sind in München immer noch Manipulationsmasse", sagt sie.

An der Theresienwiese am Ende der Schwanthalerstraße stieg das Thermometer am Donnerstagnachmittag um 16.13 Uhr nach Messungen des Bund Naturschutz auf 36,2 Grad. Der Deutsche Wetterdienst vermeldete, dass die höchste jemals vom DWD gemessene Temperatur in der Stadt am Donnerstag nicht ganz erreicht wurde. Die lag am 27. Juli 1983 bei 37,5 Grad im Schatten. Eine Stadt im Fieber.

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