Wiesn-Kopie:Bei diesem Oktoberfest geht es nicht ums Bier

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Nadim Khoury ist praktisch der Wiesnchef von Taybeh. (Foto: Jonas Opperskalski/laif)

Schawarma, Plastikbecher und eine Indie-Rock-Band aus Betlehem: Die Westbank-Wiesn gleicht dem Original aus München kaum. Das liegt auch daran, dass die Politik allgegenwärtig ist.

Von Peter Münch, Taybeh

Das Bier, die Bänke, die Bühne - alles ist bereitet fürs große Ereignis. Von der Dorfmitte her nähert sich der Festzug, vorneweg marschieren die Pfadfinder mit Trommelwirbel. Der halbe Ort hat sich auf den Weg gemacht, doch es gebührt Nadim Khoury, zur Schere zu greifen. Ein kleiner Schnitt für ihn, ein großer Schritt fürs Land: Denn als er das Absperrband zum Festgelände durchschneidet, ist wieder die sogenannte Westbank-Wiesn eröffnet, das palästinensische Oktoberfest in Taybeh.

Natürlich zeigt sich der Himmel in passendem Weiß-Blau, natürlich fließt das Bier in Strömen. Doch wenn 3000 Kilometer von der Theresienwiese entfernt die bayerische Gemütlichkeit auf den Orient trifft, dann gilt es doch ein paar Unterschiede im Blick zu behalten. "Das ist hier ein Oktoberfest in palästinensischem Stil", sagt Khoury. Statt Schweinebraten oder Hendl gibt es Falafel und Schawarma, statt in Masskrügen wird das Bier reichlich klein portioniert in Plastikbechern serviert. Aber was zählt, ist neben dem würzigen Geschmack der gute Wille, und davon hat der Organisator gewiss genug.

Oktoberfest-Kopie in China
:O'zapft is mit Steckerlkraken und Plastikdirndl

Das Oktoberfest hat begonnen - nicht das in München, sondern das in China. Die Hafenstadt Qingdao eifert der Wiesn nach und ähnelt dem Original. Beinahe zumindest.

Denn das Oktoberfest ist so etwas wie die Schaumkrone auf seinem Lebenswerk. Im Jahr 1995 - da war der heute 56-jährige Nadim Khoury gerade aus den USA in sein Heimatdorf im Hügelland zwischen Ramallah und Jericho zurückgekehrt - hat er in Taybeh die erste palästinensische Mikro-Brauerei eröffnet. Der Ort wird von 1300 arabischen Christen bewohnt, sie sind eine Zwei-Prozent-Minderheit im muslimischen Westjordanland.

Folglich ist auch der Alkohol eher etwas für eine Minderheit, doch dem Erfolg von Khourys Brauerei hat das nicht im Weg gestanden. 6000 Hektoliter braut er inzwischen im Jahr, nach deutschem Reinheitsgebot, wie er stolz betont, und mit Hopfen aus der Hallertau. 90 Prozent werden in der Region konsumiert, der Rest nach Europa und Japan exportiert. In den hippen Kneipen von Tel Aviv ist "Taybeh Golden" mindestens ein Geheimtipp. Und daheim gibt es für die sittenstrengen Freunde der Hamas inzwischen auch eine alkoholfreie Variante.

Bei einem Besuch der Münchner Wiesn kam Khoury schon 2004 die Idee zum palästinensischen Bier-Festival. In der Heimat tobte gerade noch die Zweite Intifada, "alle haben mich für verrückt erklärt", sagt er. Aber beirren lassen hat er sich nicht, denn erstens wollte er den ewigen Konflikt mal mit ein wenig Fröhlichkeit kontern, und zweitens ist solch ein Fest durchaus ein gutes Geschäft - nicht nur für ihn.

Neben Khourys Bier nämlich können die örtlichen Kooperativen dort Honig und Olivenöl verkaufen oder Keramiken und Stickereien. Seit 2005 findet das "Taybeh Oktoberfest" jährlich statt. Nur 2014 ist es ausgefallen, weil nach dem Gazakrieg wirklich niemandem mehr der Sinn nach Feiern stand.

Mit 16 000 Besuchern ist das zweitägige Oktoberfest in Taybeh mittlerweile zum "größten Festival in Palästina" geworden, wie Khoury sagt, und die Kundschaft strömt auch in diesem Jahr wieder reichlich aufs Brauereigelände. Die Sonne brennt auf den Asphalt, trinkfeste arabische Männer treffen hier auf das Heer der in Israel und den Palästinensergebieten stationierten Ausländer. Botschafter lassen sich von baumlangen Bodyguards begleiten, Familien mit kleinen Kindern freuen sich über die Clowns und Disney-Figuren im Rahmenprogramm.

Zur Eröffnung kommen kirchliche Würdenträger. (Foto: Jonas Opperskalski/laif)

Es ist ein buntes Fest, zu dem sich sogar ein paar wenige jüdische Israelis ins Palästinensergebiet trauen. Maya Eylat ist mit einer Freundin aus Tel Aviv gekommen - anderthalb Stunden Autofahrt in eine andere Welt. "Ich bin neugierig gewesen", sagt sie, "aber wenn mein Vater wüsste, dass ich hier bin, könnte er bestimmt nicht mehr schlafen." Astrid Schareiner ist da entspannter, was gewiss daran liegt, dass sie nicht aus Tel Aviv kommt, sondern aus Köln. Das Oktoberfest in Taybeh gefällt ihr sichtlich gut, selbst wenn sie das Münchner Original nicht kennt. "Ich feiere mehr Karneval", sagt sie, "aber es ist klasse, das hier mal mitzukriegen."

Auch vom Bier ist sie begeistert, und das nicht nur, weil sie ja sonst nur Kölsch bekommt. Als ausgewiesenen Experten hat sie ihren Sohn Lorenz, 22, mitgebracht. Er studiert Brauwesen an der Hochschule Weihenstephan - und ist nach einer Führung am Vortag sehr angetan von der Taybeh-Brauerei. Nächstes Wochenende, nach der Rückkehr, will er dann trotzdem auf die wahre Wiesn gehen.

Für einen anderen Besucher im dunklen Sakko ist es hier dagegen schon fast zu bierselig, um wahr zu sein. Xavier Abu Eid ist als Vertreter der PLO zugegen, der Palästinensischen Befreiungsorganisation von Präsident Mahmud Abbas. Mit einem Bier in der Hand legt er jedenfalls Wert darauf, dass dies hier "kein Bierfest ist, sondern ein Taybeh-Fest".

Er verweist auf Theater- und Tanz-Vorführungen und auf den Falafel-Mann, der hier an einem Wochenende mehr verkaufen könne als sonst in einem halben Jahr. "Das Thema hier ist nicht das Bier", resümiert er, "sondern es geht darum, dass ein palästinensisches Dorf zeigt, welches Potenzial wir hätten, wenn es keine israelische Besatzung gäbe". So ist dann auch die Politik wie immer allgegenwärtig, und aus den Lautsprechern hat schon zur Eröffnung ein kräftiges "Biladi, Biladi" geschallt. Das heißt "Mein Land, mein Land" und ist die palästinensische Hymne, weshalb dann auch, oans, zwoa, alle gleich mal aufgestanden sind.

Das Masskrugstemmen ist ein Höhepunkt der Westjordanland-Wiesn. (Foto: Jonas Opperskalski/laif)

Die zum Oktoberfest passende Stimmungsmusik soll dann, nachdem in der Vergangenheit auch schon bayerische Blaskapellen aufgetreten waren, das österreichische Duo Aliada spielen. Das allerdings erweist sich als Missverständnis, weil sich dieses Duo der klassischen Musik verschrieben hat und statt in Bierzelten eher in der New Yorker Carnegie Hall auftritt. Für die angemessene Stimmung müssen schließlich einheimische Techno-DJs, Rapper und eine Indie-Rockband aus Bethlehem sorgen. Die Lautstärke ist in jedem Fall Oktoberfest-tauglich.

Zu den Höhepunkten des Programms zählt zudem der von Khourys Tochter Madees moderierte "Bier-Wettkampf". Die 30-Jährige ist die einzige Braumeisterin im ganzen Land und zuerst muss sie nun klarstellen, dass es sich hier natürlich nicht um ein Wettsaufen handelt. Vielmehr müssen die Teilnehmer einen ehrlich gefüllten Original-Masskrug so lange wie möglich am ausgestreckten Arm halten. Bei den Männern gewinnt ein arabischer Adonis, bei den Frauen eine Amerikanerin im einzigen Dirndl weit und breit. Angestoßen auf den Sieg wird dann wieder mit Plastikbechern. Ein Prosit der Gemütlichkeit.

© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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