Westend:Lauter als erlaubt

Die Ehrenamtlichen vom Verein Westend United ermöglichen es 300 Mädchen und Jungen aus dem Viertel, auf der Kazmairwiese zu kicken. Weil sich manche Sportler nicht an die Nutzungszeiten halten, gibt es aber Ärger

Von Katja Gerland, Westend

Auf dem Sportplatz an der Astallerstraße ist an diesem Nachmittag so einiges los. Eine Horde von jungen Fußballerinnen in bunten Trikots - alle zwischen vier und 16 Jahre alt - wuseln über die Wiese. Die einen dribbeln den Ball um Hütchen herum, die anderen kicken ihn durch ein Tor aus zwei Plastikstäben hindurch. Und jedes Mädchen, das neu hinzukommt, ruft erst mal laut "Hallo Ekki".

"Ekki" heißt eigentlich Ekkehard Kissel und steht mit grauem Shirt, Jogginghose und Schildmütze bekleidet auf der Tartanbahn am Rande des Geschehens. Hier auf der Kazmairwiese ist er schon fast eine kleine Berühmtheit. Denn dass sich die Mädchen an diesem Tag mit dem Ball am Fuß auspowern können, ist ihm zu verdanken. 2011 rief er gemeinsam mit anderen Vätern ein Fußballtraining ins Leben, das ganz ohne Leistungsdruck und Pflichtspiele im Ligabetrieb auskommen sollte. Weil das Konzept im ganzen Viertel großen Anklang fand, kam 2014 die Vereinsgründung hinzu. Und so bolzen nun mehr als 300 Mädchen und Jungen im Verein "Westend United", stets angeleitet von Trainerinnen und Trainern um Kissel.

Entsprechend groß ist mittlerweile der Aufwand: Die 300 Kinder in Teams aufteilen, die Trainingszeiten während der Pandemie in einer App koordinieren, das alles geschieht bei Westend United nach Feierabend und ehrenamtlich. Aber die eigentliche Herausforderung, sagt Kissel, liege ohnehin woanders: Bis vor einigen Monaten war das städtische Gelände an der Astallerstraße, auf dem sich der Verein an mehreren Tagen in der Woche zum Fußballspielen trifft, so gar nicht kinderfreundlich. "Man kann gar nicht glauben, was dort alles rumlag", sagt Kissel. Glasscherben, Alkoholflaschen, sogar Stühle habe er gefunden. Gemeinsam mit den anderen Trainerinnen und Trainern sorgte er regelmäßig selbst für Ordnung. Denn: "Es gab niemanden, der sich wirklich darum gekümmert hat." In einem entsprechend miserablen Zustand sei auch der Platz selbst gewesen. Eine vertrocknete Wiese und der schmutzige Basketballplatz luden nicht gerade zum Sporteln ein, sagt Kissel.

Westend United

Kein Ligabetrieb, kein Leistungsdruck, nur Spaß am Fußball: Bei Westend United dürfen alle auf den Platz, und 300 Mädchen und Jungen machen davon eifrig Gebrauch. Auch die Kazmairwiese, den einzigen frei zugänglichen Sportplatz im Viertel, der ursprünglich in miserablem Zustand war, betreut der Verein inzwischen.

(Foto: Florian Peljak)

Also nahm er die Sache selbst in die Hand. "Ich habe mich dann erst mal an die Stadt gewendet und gesagt: Komm, wir machen das." Die Verantwortlichen hätten seinen Vorschlag, die Platzbetreuung mit Westend United zu übernehmen, erst einmal belächelt, erinnert sich Kissel. Ein Treffen vor Ort und eine Powerpoint-Präsentation später stimmten sie dann doch zu. Im April 2021 kam der Vertrag für die Platzbetreuung, und mit ihm kamen die Veränderungen.

Nacheinander meldete Kissel der Stadt, wie vertraglich festgelegt, sämtliche Missstände. Stück für Stück reagierte die Verwaltung mit Taten, schickte die Müllabfuhr an den Platz, reinigte den Boden. "Das hat wirklich gut geklappt", lobt Kissel die Zusammenarbeit mit den städtischen Stellen. Doch er wollte es nicht bei den Mindestanforderungen belassen. Bei einem Rundgang über die Kazmairwiese deutet er auf die vielen Veränderungen, die sein Verein ganz ohne Hilfe geschaffen hat. Da wären etwa die Mülleimer, die an verschiedenen Stellen des Geländes angebracht wurden. Um den kaputten Rasen kümmert sich Westend United ebenfalls in Eigenregie: Seit Kurzem versorgt eine Sprinkleranlage die trockenen Stellen mit Wasser. "Das ist echt was geworden", freut sich Kissel.

Westend United

Seit 2011 trainieren Ekkehard Kissel und andere Eltern ehrenamtlich die kickenden Kinder von der Schwanthalerhöhe.

(Foto: Florian Peljak)

Dieser Meinung sind wohl auch viele Kinder und Jugendliche aus dem Viertel. Denn so langsam kriegen die Fußballerinnen von Westend United Gesellschaft auf der Kazmairwiese. Auf dem Basketballplatz nebenan dribbeln ein paar Hochgewachsene den Ball zum Korb, ihre Weg queren zwei Jungs mit dem runden Leder, das sie sich über den Platz hinweg zupassen. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht blickt Kissel in die Richtung der jungen Sportler. Dass das Gelände so rege genutzt wird, freut ihn sichtlich. Nicht zuletzt, weil der Platz an der Astallerstraße ein Unikat im Westend ist. Ein ähnlich großes, frei zugängliches Sportgelände, so Kissel, gebe es hier nicht. Umso wichtiger sei, dass "es hier auch weiter so bleibt".

Doch seit einigen Tagen werden den sportelnden Jugendlichen Grenzen gesetzt. Das Referat für Bildung und Sport (RBS) hat die Platzbetreuung angewiesen, das Gelände täglich auf- und abzuschließen. "Da es Beschwerden gab, wurde der Verein zuletzt nochmals darauf hingewiesen, diesen Aufgaben Rechnung zu tragen", teilt das RBS auf Anfrage mit. Beschwerden kamen von einer Anwohnerin, die sich zuerst direkt an Kissel gewandt hatte: Immer wieder gebe es Jugendliche, die das Gelände auch außerhalb von hinnehmbaren Zeiten nutzen würden. Kissel, so erzählt er, habe ihr deshalb angeboten, mit Schildern an den Eingängen auf die Nachtruhe zu verweisen. Denn: "Wir wollen ja nicht gegen die Dame arbeiten, sondern gemeinsam eine Lösung finden." Deshalb habe er sie auch in ihrem Vorhaben bestärkt, das Anliegen dem Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe vorzutragen. Hat sie gemacht. Die Lokalpolitiker, die sich explizit positiv zum Wirken des Vereins geäußert haben, gaben die Einzelstimme trotzdem an das Referat für Bildung und Sport weiter und baten Kissel, bei der Bezirksausschusssitzung am Dienstag, 10. August, seine Sicht der Dinge zu schildern.

Kissels Sicht ist ganz klar: Die neue Schließregelung koste den Verein "eine Menge Zeit". Täglich auf- und absperren, das sei neben der ehrenamtlichen Arbeit, die der Platz und der Verein mit sich bringen, einfach nicht drin. Und überhaupt: "So ein Zaun hält ja niemanden davon ab, hier weiterhin zu sein." Das gelte besonders zur Zeit der Pandemie, die den Jugendlichen alternative Treffpunkte nimmt. "Nicht absperren, sondern das Bewusstsein ändern", ist deshalb seine Devise. Das möchte Kissel am Dienstag auch im Bezirksausschuss kundtun. Denn die Zeit drängt: Kommt in naher Zukunft keine Alternative zum täglichen Abschließen zustande, muss der Verein die Platzbetreuung womöglich wieder aufgeben. "Das raubt uns einfach zu viel Zeit", sagt Ekkehard Kissel.

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