Süddeutsche Zeitung

Kritik:Spiel mit vollem Risiko

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Am Gärtnerplatz gelingt mit Jules Massenets "Werther" ein packender Opernabend.

Von Michael Stallknecht

Ja, Goethe kommt auch vor. Ausschnitte aus "Die Leiden des jungen Werther" werden im Gärtnerplatztheater zu den vier Orchestereinleitungen auf den geschlossenen Vorhang projiziert. Natürlich kann Jules Massenets 1892 uraufgeführter "Werther" nicht den philosophischen Hintergrund des Briefromans einlösen. Aber der Oper, hier im originalen Französisch gezeigt, gelingt dramaturgisch etwas ebenso Großes: über vier Akte hinweg eine Nicht-Beziehung zu erzählen, die emotional trotzdem mitnimmt, die zwischen Werther und Charlotte. Wobei Regisseur Herbert Föttinger die Frauenfigur handfester zeichnet als üblich, Charlotte sich vor ihrer unglücklichen Ehe mit Albert fast schon bis zum Sex auf Werther einlässt.

Es passt zu den Stimmcharakteren der beiden. Lucian Krasznec singt den Werther ganz aus der französischen Tradition, weich und mit hohem Kopfstimmenanteil. Manchmal gerät sein Tenor etwas ins Näseln, aber der Übergang in die Höhe, die dynamische Modulationsfähigkeit der Stimme bezaubern. Die Spitzentöne sitzen, dennoch zeichnet Krasznec, näher an Goethe als an dem hier oft zu hörenden Stimmgeprotze, einen sanften Charakter.

Dieser Werther ist ein zärtlicher Zauderer, der sich vor allem in Pianofarben durch die Welt tastet, bevor er an ihr zerbricht. Sophie Rennert dagegen geht die Rolle der Charlotte zunehmend zupackender, dramatischer an. Zu Beginn lotet ihr schön fließender, eher heller Mezzosopran noch etwas unsicher die leisen Farben der Trauer aus. Doch in der zweiten Hälfte entlädt sich die Verzweiflung, steigert sich in glühende Intensität. Was beide gemeinsam haben, ist die Risikobereitschaft, mit der sie sich ins Spiel stürzen.

Getragen werden sie dabei von Föttingers präziser Personenregie, die auf eher subtile Weise Akzente setzt. Etwa wenn der Kinderchor nicht nur glockenklar singt, sondern munter weiter durchs Haus des Amtsmanns (von erfrischender Bürgerlichkeit: Levente Páll) tobt. Oder Albert dort in bedrohlichem Gegenlicht auftaucht, später Charlotte noch vor dem Besuch beim sterbenden Werther ins Ehebett befiehlt. Daniel Gutmann singt ihn mit körnigem, bei Bedarf fiesem Bariton. Auch Ilia Staple ist mit ihrem höhensicheren, fein artikuliertem Sopran ideal besetzt als Charlottes charmante Schwester Sophie.

Alfred Mayerhofer hat sie alle in Kostüme aus der Entstehungszeit der Oper gekleidet, mit offenen Verweisen zur Gegenwart. Dieselbe Mischung findet sich in den vier Bühnenbildern von Walter Vogelweider, die, auch durch das filigrane Licht von Peter Hörtner, vor allem für Atmosphären sorgen.

Folgt der Abend optisch also eher dem elegischen Werther, so schlägt sich das Dirigat sozusagen auf die Seite Charlottes. Anthony Bramall geht die Partitur in zupackender Direktheit an, zeichnet sie in klaren Farben. Die souveräne Tempomodulation sorgt für einen dramatischen Puls, der dennoch Platz lässt für viele gute Soli im Hausorchester.

Im Tod finden beide Seiten zueinander: Lucian Krasznec singt die Sterbeszene fast tonlos, von Sophie Rennert sanft umschlungen. Ein vorderhand unspektakulärer, gerade deshalb packender Opernabend.

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