"Werther" im Volkstheater:Emotionale Maximalverweigerung

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Premiere im Volkstheater: Goethes "Werther". (Foto: Arno Declair)

Wenn Facebook wichtiger ist als die Sau rauszulassen, kommt vermutlich so eine Inszenierung heraus: Der junge Regisseur Jan Gehler bringt einen emotionslosen "Werther" auf die Bühne des Volkstheaters. Das Ganze geht einem ungefähr so nahe, wie eine missglückte Anmache in der Dorf-Disco.

Von Egbert Tholl

Lotte singt. Singt mit ein bisschen heißerer Stimme "Wicked Game", einen Song von Chris Isaak, der berühmt wurde, weil ihn David Lynch in seinem Film "Wild at Heart" verwendete, was ja gut passt, denn um wilde Herzen soll es hier gehen. Und für einen gewissen Moment entsteht ein trauriger Zauber, weil Mara Widmann die Lotte ist und nun eben singt und man ihr gern in das große Gesicht mit den großen Augen schaut und man ihrer Lotte sofort glaubt, dass die sich nicht mehr verlieben will, nie mehr. Doch dann wird dieser Moment verhunzt, spielen die Schauspieler Band, albern lautmalerische Instrumentalsoli, und der Zauber ist dahin.

Ach, Werther. Jan Gehler inszeniert am Volkstheater Goethes Briefroman, und anders als nach dem Erscheinen des Buches braucht nach dem Besuch der Aufführung niemand auf die Idee kommen, sich umbringen zu müssen. Gehler war 2012 zum "Radikal jung"-Festival des Volkstheaters eingeladen gewesen, mit seiner Adaption von Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick".

Nun kann man sehr deutlich sehen, dass es halt doch etwas anderes ist, ein reizendes Jugendbuch mit viel Charme auf die Bühne zu bringen als einen der größten Herzrausreißer-Stoffe. Doch die vielen Schulklassen, die vermutlich die Aufführung besuchen werden, werden diese lieben, weil sie knapp 90 Minuten dauert, man Goethe dann nicht mehr lesen muss und außerdem viel zeitgenössische Musik erklingt, hip-hopender Pop, und einem das Ganze ungefähr so nahe geht wie eine missglückte Anmache in der Dorf-Disco.

So eine Dorf-Disco-Szene hat Gehler tatsächlich eingebaut, omeiomei. Freilich: Gehler bleibt bei Goethe und hat den Text gut gelüftet. Das ist an sich schön, doch was er dann damit anstellt, ist die Maximalverweigerung großer Gefühle.

Vielleicht ist es altmodisch zu glauben, eine Theateraufführung des Stoffes müsste versuchen, die Dringlichkeit nachzuahmen, die dieser Ende des 18. Jahrhunderts hatte, als die Dichter drängten und stürmten. Aber: Wenn man keine moderne Entsprechung hinkriegt, wieso macht man's dann? Wegen Werthers Begeisterung für die Natur? Wegen "Klopstock"?

Das ist doch Käse, zumal Gehler den Darstellern viel zu viel Geplapper verordnet, als dass Werthers solipsistisches Weltbild als zwanghafte Flucht eines Menschen spürbar würde, der auf dieser Welt kein Zuhause finden kann. Hier passiert nichts, was man nicht dadurch beheben könnte, dass man den Figuren ein bisschen die Ohren lang zöge.

Was hat der Regisseur wohl während der Proben gemacht?

Man fragt sich, was Gehler während der Proben eigentlich gemacht hat. Wenn man die Darsteller ein bisschen kennt, und das ist ja angesichts der Größe des Volkstheater-Ensembles nicht schwer, dann spürt man, dass jeder schöne Moment, jede interessante Nuance von diesen selber kommt. Dafür reicht dann ein buntes Blatt Herbstlaubs, das Mara Widmanns Lotte verlegen in den Händen dreht.

Am schlimmsten trifft es den armen Justin Mühlenhardt, der spielt den Wilhelm und den von Goethe in der zweiten Fassung des Romans eingefügten Mörder aus Leidenschaft, kommt dazu mit blutigen Händen unvermittelt aus dem Off und muss eine Art Verzweiflung mimen - ein grandios sinnloser Moment.

Aber auch den anderen Darstellern geht es nicht viel besser. Lenja Schultze, als Sophie eine Art Beratungshilfe für Lotte, fragt sich wahrscheinlich, weshalb sie überhaupt mit dabei ist, Sohel Altan G. ist als Albert gerade mal so viel skizziert, dass er, wenn er sich nicht gerade um die Musik kümmert, Werther rein physisch im Weg stehen kann.

Überall ungenutztes Potential

Werther selbst ist Pascal Riedel, der ist an sich schon ein flamboyanter Schwärmer, ein Potenzial, das Gehler nicht zu nutzen versteht; gehen Werther die Gefühle über, muss er in die Gasse, weg von der Bühne. Am besten kann sich Mara Widmann behaupten, auch weil die ohnehin eine mit viel Wärme in sich ruhende Person ist, die den Absonderlichkeiten der Welt mit gelassener Neugierde gegenüber steht.

Alle haben sich lieb. Alle haben Werther lieb. Ja, bei Gehler liebt ihn Lotte. Es gibt keine Probleme. Es gibt auch keinen gescheiten Selbstmord. Und was die Schauspieler nicht spielen dürfen, liefert eine pompöse Musik, die sich zwischen den songartigen Gebilden breit macht - aufgemotzter Instrumental-Barock-Pop, der von Pathos kündet, wo Emotionen nötig wären. Vielleicht ist Gehlers Feigheit bezeichnend für eine Generation, die lieber auf Facebook surft, als mal ordentlich die Sau rauszulassen. Falls er dies ausdrücken wollte, ist ihm der Abend gelungen.

© SZ vom 28.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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