Jedes Mal, wenn Gabriele Nuß von der städtischen Gleichstellungsstelle von ihrem Schreibtisch im Rathaus aufschaut, muss sie schlucken. "Zweimal, trocken", wie sie sagt. Denn genau vor ihrem Fenster rekelt sich ein Bikinimodel in aufreizender Pose.
Das riesige Werbeplakat zeigt ein brasilianisches Model in "Italian Beachwear". Es steht vor der Hugendubel-Baustelle und hat laut Nuß schon etliche Münchnerinnen und Münchner auf den Plan gerufen. Sie beschweren sich über die monströse, sexualisierte Werbung im Herzen der Innenstadt. Auch der Stadtheimatpfleger tobt.
Über guten Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über schlechten sowieso. Und was darf Werbung generell? Noch dazu an einer städtebaulich hochsensiblen Stelle? Denn das Werbebanner ist nicht an die Fassade des Hugendubel-Hauses gehängt, das derzeit renoviert wird; es steht noch vor dem S-Bahn-Zugang, um die Container vor der Baustelle zu verdecken, also tatsächlich fast in der Mitte des Marienplatzes, des Touristenmagnets schlechthin.
Was das für eine Rolle spielt? Gabriele Nuß sagt, Touristenführer hätten sich bereits beschwert, was dieses Plakat denn für einen Eindruck von der Stadt vermittle. Und sie selbst hat beobachtet, dass Männergruppen sich gegenseitig vor dem Plakat ablichten: im Schritt der Frau stehend, nach oben deutend oder blickend.
Die Einhausung ist noch bis Mitte Oktober vermietet
Das Hugendubel-Haus gehört der Bayerischen Hausbau, einem Unternehmen der Schörghuber-Gruppe. Eine Vermarktungsfirma kümmere sich um die Fassadenwerbung, teilt die Hausbau mit. Sie sei vertraglich verpflichtet, zum Beispiel keine Werbung politischer Parteien oder pornografische oder gewaltverherrlichende Darstellungen anzubringen.
"So weit ich informiert bin, können wir gegen diese Werbung nichts tun", sagt Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD). Auch sie blickt vom Rathaus-Fenster aus auf die halb nackte Schöne. "Ich finde die Werbung nicht prickelnd, ich hab aber auch schon schlimmere, frauenfeindlichere Werbung gesehen", sagt Strobl, räumt aber ein: "An stadtbild-prägender Stelle die Bikini-Werbung, das ist nicht so toll."
Tatsächlich, so teilt Thorsten Vogel vom Planungsreferat mit, hat die Stadt die Einhausung der Baustelle bis zum 15. Oktober genehmigt, ebenso die Größe der Werbeanlage. 114 Quadratmeter messe das Plakat mit der brasilianischen Dame, 120 Quadratmeter wären erlaubt. Auf den Inhalt des Plakates habe die Stadt keinen Einfluss, sagt Vogel. Der Deutsche Werberat bestimme die Richtlinien.
Den will nun die Gleichstellungsstelle der Stadt einschalten und zugleich einen Brief an die Bademodenfirma schreiben. "Aber diese Arbeit ist mühselig - und wird wenig ernst genommen", sagt Lydia Dietrich von den Grünen. Sie stört sich an der Größe des Plakats, an der Platzierung und an der Botschaft: Die Frau posiere aufreizend für den Mann, und jungen Mädchen werde vermittelt, "ihr müsst möglichst dünn und fast magersüchtig sein".
Dietrich fordert seit Jahren vergeblich eine Werbe-Watch-Group für München, bestehend aus Mitgliedern der Verwaltung und der Werbewirtschaft. Die Stadt, sagt sie, sei voll von sexualisierter Werbung. Und nur gelegentlich könne sich die Gleichstellungsstelle durchsetzen. So wie vor Jahren bei der aufreizenden Palmers-Unterwäsche-Werbung an Bus- und Tram-Haltestellen, die damals entfernt wurde.
Das Thema sexualisierte Werbung beschäftigt inzwischen auch die Bundesregierung, die nach den Vorfällen der Silvesternacht in Köln an einem gesetzlichen Verbot arbeitet. Was entsprechende Großplakate betrifft, ist die halb nackt posierende Frau in der Münchner Altstadt derzeit aber eine Ausnahme. Lediglich an der Fürstenfelder Straße ist eine großflächige Werbung für Strumpfhosen zu sehen: Fünf junge Frauen rekeln sich in einem Bett und recken dem Betrachter ihre Hintern entgegen.
Andere Großplakate sind unauffällig. An einer Brandmauer der Weinstraße hängt ein fast drei Stockwerke großes mit einer Frau in schwarzer Jacke, die für eine Parfümerie-Kette wirbt. Gleich daneben gibt es eine Uhrenwerbung mit einem Mann im Sporttrikot. Die wegen Sanierungsarbeiten verhüllte Theatinerkirche hat sich über die falsche Fassade ein zweistöckiges Plakat für die Apple-Watch geklebt. Ein wenig lasziv blickt höchstens noch die Dame in weißem Sakko vom ersten Stock des Swarovski-Ladens an der Neuhauser Straße auf die Passanten.
"Sonst kämpfen wir um jeden Zentimeter bei der Schriftgröße"
Der riesige schwarze Bikini-Slip am Marienplatz ist seit Dienstag zumindest halb bedeckt - von einer Topfpalme. Direkt gegenüber sitzt eine ältere Dame in einem Metallstuhl und genießt die Sonne. "Mir ist das gar ned aufgfallen", sagt sie. Der Mann neben ihr fragt sich dagegen schon, ob so etwas hier am Marienplatz sein muss. "Die ganzen Touristen kriegen doch einen Schreck, wenn sie die nackerte Frau sehen", sagt der Fürstenfeldbrucker.
Pikant an der Werbung ist zudem, dass Stadtheimatpfleger Gert Goergens selbst der Architekt des Hugendubel-Umbaus ist. Er ist "empört und entsetzt" über das Plakat, wie er sagt: "Diese Werbeaktion ist völlig an uns vorbeigelaufen." Die Gefährdung des Stadtbildes durch zu viel Reklame an Fassaden oder auf Baugerüsten ist eines der zentralen Themen von Goergens.
Er könne nicht verstehen, wie die Stadt ein solches Riesenbild am Marienplatz zulasse: "Sonst kämpfen wir um jeden Zentimeter bei der Schriftgröße einer Werbetafel, hier wird es einfach erlaubt, das ist unfassbar."
CSU-Stadträtin Manuela Ohlhausen hingegen äußert den Wunsch, dass als nächstes vielleicht ein männliches Model auf den 114 Quadratmetern erscheint. "Weil ewig wird das Frauenplakat ja wohl nicht hängen", sagt sie. Stimmt. Laut Planungsreferat folgt am 16. Juni ein neues Motiv.