Weniger Zuschüsse:"Hier in Italien ist die Oper geboren, und hier läuft sie Gefahr zu sterben"

Weniger Zuschüsse: Die Arena von Verona muss sparen.

Die Arena von Verona muss sparen.

(Foto: Stephan Rumpf)

20 000 Menschen passen in Italiens größtes Freilufttheater in Verona. Trotz ihrer Beliebtheit muss die Arena sparen. Dagegen protestieren die Künstler.

Von Elisa Britzelmeier

Die ersten Töne von Giuseppe Verdis "Aida" wehen durch das Amphitheater, zögerlich, zärtlich, dann mischen sich lautere, dunkle Klänge darunter, Vorzeichen, die an diesem Abend ein wenig düsterer klingen als sonst. Das Licht ist ausgegangen, ein Scheinwerfer hat den Maestro an sein Pult begleitet, auf den oberen Stufen der Arena zünden die Zuschauer Kerzen an. Auf der Bühne dampft eine Weihrauchschale. Zwei Obelisken bilden die Kulisse, vier Sphinxe und acht Säulen mit bunten Hieroglyphen.

Wir sind im alten Ägypten. Und zugleich im alten Italien: Das römische Amphitheater, die Arena von Verona, wurde im ersten Jahrhundert nach Christus erbaut. Seit über hundert Jahren werden hier Opern aufgeführt, 20 000 Zuschauer passen in das größte Freilufttheater Italiens. Verdis "Aida" ist der Klassiker, damit wurden die ersten Opernfestspiele 1913 eröffnet, und noch heute zieht er die meisten Touristen an. Doch eine Frage steht im Raum: Gilt das auch in Zukunft?

Viele Besucher kommen direkt aus München, viele vom Gardasee. Verona hat die perfekte Entfernung für einen Tagesausflug. "Aida" ist vor allem deshalb so beliebt, weil es da diesen Triumphzug gibt, mit einer Melodie, so eingängig, dass sogar Wiesn-Kapellen sie im Repertoire haben.

Im Rund der Arena ist der Triumph ein Riesenspektakel: Noch eine und noch eine Reihe ägyptischer Soldaten strömt dann auf die Bühne, mit Standarten, Zeptern und goldenen Schilden, dazu Tänzer, der Chor, ein goldenes Kalb und vier echte Pferde, die einen eleganten Knicks vor dem Publikum machen, begleitet von den Fanfaren der Trompeten. Gut 300 Menschen stehen dann auf der Bühne.

Doch wenn die Musiker, Tänzer und Sänger hinter den Kulissen verschwinden, ist die Stimmung alles andere als gut. Sie sind traurig, sie sind wütend, und sie haben Angst um ihre Zukunft. "Hier in Italien ist die Oper geboren, und hier läuft sie Gefahr zu sterben", sagt Elena Mazzoni, Bratschistin, seit 1989 fest im Orchester. Wenn alles so weitergehe, werde es bald keine Künstler mehr geben, weil dem Nachwuchs alles verdorben werde.

Die Arena hat Schulden angehäuft, 24 Millionen Euro sind es inzwischen. Zugleich reduzierte der italienische Staat in der Wirtschaftskrise die Ausgaben immer weiter. Nur Griechenland gibt im EU-Vergleich weniger für Kultur aus als Italien. Auch andere große Theater wie die Oper von Rom traf das hart. In Verona sehen Stadt und Trägerstiftung die Lösung im Sparen - am Personal.

In den Augen der Künstler ist Bürgermeister Flavio Tosi darum der böse Gegenspieler in diesem Drama. Zwischenzeitlich drohte er sogar damit, einfach alle Beschäftigten rauszuwerfen, 300 sind es, im Sommer kommen 400 zusätzliche Engagements dazu. Inzwischen steht fest: Die Tänzer des Balletts werden zum Ende der Saison entlassen. Und alle fest angestellten Musiker verzichten für die nächsten drei Jahre auf zwei Monatsgehälter.

Für Künstler und Gewerkschaftsvertreter ist klar: Dass überhaupt so ein großes Minus angehäuft wurde, liegt an Misswirtschaft. Sie sagen: Die Gelder verschwinden in irgendwelchen Löchern - wie kann es sonst sein, dass es einem einzigartigen Theater wie diesem so schlecht geht? Die Zuschauer kommen doch nach wie vor. Im Vergleich zu den Achtzigerjahren sind es zwar weniger geworden, aber in den letzten zehn Jahren blieben die Einnahmen ungefähr konstant.

Die guten Jahre sind vorbei

Weniger Zuschüsse: Die Musiker des Orchesters wehren sich gegen die Sparmaßnahmen - so auch Bratschistin und Gewerkschaftlerin Elena Mazzoni.

Die Musiker des Orchesters wehren sich gegen die Sparmaßnahmen - so auch Bratschistin und Gewerkschaftlerin Elena Mazzoni.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das sagt auch Roberto Bolis, Sprecher der Stadt und zugleich der Opernstiftung. Doch dass Gelder verschwendet wurden, diesen Vorwurf weist er weit von sich. Es liege an den fehlenden Zuschüssen. Und das feste Personal der Arena koste schlicht zu viel, sagt er, 50 Prozent der Ausgaben mache es aus. "Das sind Verträge aus alten Zeiten. Natürlich verzichtet niemand gern auf seine Privilegien. Aber die guten Jahre sind vorbei." Bolis ist um Beruhigung bemüht, alles sei halb so schlimm, die Saison finde statt wie immer.

Doch die Künstler wollen sich nicht beruhigen. Sie erwarten von der Stadt, dass sie zu ihnen steht, die Arena bringt Verona schließlich Glanz und Geld. Am Nachmittag haben sie beschlossen, bei der "Aida" am Samstag auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Nach dem Triumphmarsch soll es eine Unterbrechung geben, mit Flugblättern und Protestgesang.

Denn bislang bekommt das Publikum kaum etwas vom Grollen hinter den Kulissen mit. Wenn man sich umhört an einem Abend in der Arena, sieht man viele ratlose Gesichter, vor allem bei den Touristen. Ein Paar aus Nürnberg ist zum ersten Mal da. Sie waren schon in Bayreuth, haben Anna Netrebko in der Mailänder Scala gesehen, jetzt sind sie von der Arena begeistert. 78 Euro haben sie für ihre Karten bezahlt, mittlere Kategorie. Nein, von den Diskussionen haben sie nichts mitbekommen. Es sei ja immer so, dass die Künstler es als erstes zu spüren bekommen, wenn es der Wirtschaft schlecht gehe, leider.

Die geben sich genauso viel Mühe wie sonst immer, sagt Elena Mazzoni, die Bratschistin. Für ihr Publikum seien sie noch genauso da. "Diese Arbeit ist mehr als eine Arbeit", sagt sie, "es ist Teil unserer Identität. Um Profimusiker zu werden, fängt man ja schon als Kind an, man übt, man verzichtet auf vieles."

Draußen auf der Piazza steht in der Pause eine Gruppe von Opernfreunden aus München beisammen, es gibt Häppchen, es wird angestoßen, aber nein, die Probleme seien kein Thema. Drinnen sitzt ein Paar aus Zürich in der ersten Reihe, sie waren vor Jahren schon einmal da, aber einen Unterschied bemerken sie nicht. "Man kommt ja in erster Linie des Spektakels wegen", sagt der Mann noch. Paolo Seghi dagegen sagt: "Die Qualität wird immer schlechter, das hören wir auch aus Deutschland." In den Augen des Gewerkschaftlers wird nicht mehr ausreichend investiert in Solisten. Im nächsten Jahr ist nur eine Neuproduktion geplant.

Am Nachmittag in der Bar vor dem Theater gibt es kein anderes Thema. Wenige Meter sind es zur Piazza Bra, auf der die Arena rötlich in der Sonne glänzt. Musiker treffen aufeinander, aus allen bricht Ärger heraus. Seit Monaten geht das so. Im Winter hatten sie einen Teil des Teatro filarmonico, wo sie im Winter auftreten, besetzt. Sie protestieren, wie Musiker eben protestieren: mit Gratiskonzerten auf der Piazza. Die Winterspielstätte ist Kern des Streits. Kostet alles zu viel, sagt die Stadt. Ist aber wichtig, sagen die Künstler. Schließlich hat die Stiftung den Auftrag, "kulturelle gemeinnützige Tätigkeiten" auszuführen, heißt es auch auf der offiziellen Homepage.

Angelo Pinciroli, erster Trompeter, hofft, dass sich alles zum Besseren wendet. Er ist in der Gewerkschaft, geht zu Versammlungen, aber eigentlich, sagt er, will er doch nur Musik machen. Er ist seit 1993 im Orchester, für ihn ist die Arena so etwas wie Heimat. Wenn die Musiker in Verona am Samstag Aida für ihre Protestaktion unterbrechen, setzen sie dabei auf ein anderes Opernstück. Aus "Nabucco". Sie wollen den Gefangenenchor singen.

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