Mobilitätsausschuss:Vorfahrt für die Verkehrswende

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Kein schöner Ort: Die Paul-Heyse-Unterführung belegt, dass bei der Verkehrsplanung in München Radfahrer lange nicht im Mittelpunkt standen. (Foto: Gino Dambrowski)

Erstmals tagt der neue Mobilitätsausschuss im Stadtrat. Grün-Rot setzt bei der Verbesserung der Infrastruktur vor allem auf mehr Radwege, Busspuren und neue Tramlinien.

Von Andreas Schubert

Seit Jahrzehnten hat der Autoverkehr in München zugenommen. Also baute man ihm immer mehr breitere Straßen, damit er noch mehr zunehmen konnte. Autofahren in der Stadt war lange sehr bequem. Jetzt sind die Verkehrsadern zunehmend verstopft, es droht der Infarkt. Das gilt übrigens nicht nur für die Straßen: Überfüllte U- und S-Bahnen, Trambahnen und Busse zeigen täglich, dass in der Stadt etwas geschehen muss. Denn München wächst: Bis 2040 sollen laut Prognosen 1,85 Millionen Menschen hier leben, schon von 2030 an erwarten Experten tagsüber eine dauerhafte Rushhour.

Deshalb bekommt München im neuen Jahr ein eigenes Mobilitätsreferat, der neue Mobilitätsausschuss im Stadtrat hat an diesem Mittwoch zum ersten Mal getagt. Die Stadt erhofft sich von der neuen Behörde und dem zugeordneten Gremium im Rathaus, dass Verbesserungen schneller verwirklicht und die akuten Probleme gelöst werden können. Denn bislang sind mit jeder Entscheidung mehrere Referate befasst. Und mit der neuen Machtverteilung im Rathaus mit einer grün-roten Mehrheit ist zu erwarten, dass die schon lange angepeilte Verkehrswende nun mit Nachdruck angegangen wird.

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Von Andreas Schubert

Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) hob zu Beginn der Sitzung, die zunächst eine gemeinsame mit dem Planungsausschuss war, die Bedeutung des neuen Ausschusses hervor. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, sagte sie, und zwar unabhängig von der politischen Couleur. Es gehe darum, die Menschen wieder mobil zu machen, sehr maßgeblich dabei sei der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Umsetzung des Radentscheids und die Umverteilung des Straßenraums. In dieser Transformationsphase müsse man auch an diejenigen denken, die aufs Auto nicht verzichten können - etwa Handwerker und Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Wichtig sei, "dass wir keine Verkehrsmittel gegeneinander ausspielen, sondern die besten Lösungen diskutieren", sagte Habenschaden. Man könne diskutieren, "gerne auch streiten, aber uns immer an der Sache orientieren".

Und Streit wird es geben, vor allem wenn es um den Radentscheid geht. Bekanntermaßen haben vergangenes Jahr 90 000 Münchnerinnen und Münchner für ein flächendeckendes Netz aus breiten Radwegen unterschrieben, weitere 70 000 waren es für den sogenannten Altstadt-Radlring. Während die beiden großen Fraktionen aus Grünen/Rosa Liste und SPD/Volt zusammen mit ÖDP und Freien Wählern die Umsetzung vorantreiben, ist die konservative Opposition um die CSU vor allem um das Wohl der Autofahrer besorgt.

Denn die neue Ausrichtung in der Verkehrspolitik sieht so aus: Den Autos soll konsequent der Platz weggenommen werden zugunsten von Radwegen, aber auch für Busspuren. Die Tunnelprojekte an der Tegernseer Landstraße, der Landshuter Allee und der Schleißheimer Straße hat die neue Regierungskoalition gestoppt. Sogar einer City-Maut für sämtliche motorisierten Fahrzeuge, welche das ifo-Institut kürzlich unter dem Namen "Anti-Stau-Gebühr" vorgeschlagen hat, stehen die Grünen sehr aufgeschlossen gegenüber, während sich selbst der Koalitionspartner SPD wegen der sozialen Aspekte, die so eine Gebühr mit sich brächte, eher skeptisch zeigt. Die CSU meinte zum Thema nur, es gebe keine rechtliche Grundlage dafür, und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ließ zur City-Maut wissen, bevor man über so etwas nachdenke, müsse sichergestellt sein, dass der ÖPNV auch entsprechend leistungsfähig sei, woran man intensiv arbeite.

Das mit dem leistungsfähigen ÖPNV ist in München so eine Sache: Denn hier treffen Glaubensfragen aufeinander. Die CSU hatte Ende vergangenen Jahres ein Antragspaket geschnürt, in dem sie einen massiven U-Bahnausbau forderte, ergänzend zu den bereits laufenden ersten Planungen für die neue U9, die aber nicht vor Ende der 2030er Jahre kommen wird - ebenso wie die U5 in das neue Siedlungsgebiet Freiham. Immerhin wird bereits an der Verlängerung der U5 nach Pasing gearbeitet, hier sollen von 2028 an die ersten Züge rollen, im selben Jahr übrigens, in dem die zweite S-Bahn-Stammstrecke eingeweiht werden soll.

Im Planungsreferat gibt es ebenfalls schon Visionen für neue U-Bahnstrecken, etwa nach Solln, Planegg, Germering, Heimstetten, Dachau oder Ottobrunn, eine U-Bahn-Spange zwischen Freiham und Moosach und ein U-Bahn-Ringschluss im Norden. Doch das Problem ist, dass die U-Bahn die Verkehrsprobleme nur auf lange Sicht lösen kann. Schnellere Entlastung könnte der Ausbau des Tramnetzes bringen, doch hier haben sich die Christsozialen in der Vergangenheit regelmäßig gesträubt und etwa der Tram-Westtangente und der Tram durch den Englischen Garten erst nach langem Widerstand zugestimmt.

Die Tram wiederum ist ein Lieblingsprojekt der Grünen. Schon vergangenes Jahr haben sie zum Beispiel eine Tramverbindung vom Hauptbahnhof durch die Barer Straße zur Münchner Freiheit vorgeschlagen, drei neue Innenstadtquerungen in Nord-Süd-Richtung oder eine Tram-Südtangente von der Aidenbachstraße zum Ostbahnhof.

Darum wird sich künftig das Mobilitätsreferat kümmern, für dessen Leitung die Grünen das Vorschlagsrecht haben. Die Zeichen stehen also gut für einen Ausbau der Tram. Doch weil auch dieser längere Planungs- und Bauzeiten erfordert, kommen für ganz schnelle Lösungen nur ein erweitertes und beschleunigtes Busnetz und eben auch eine bessere Infrastruktur für das Fahrrad infrage. In diesen beiden Punkten steht den Münchner Autofahrern ein schmerzlicher Verzicht bevor, wenn stadtweit Parkplätze und Fahrspuren entfallen. Doch in der Umverteilung des Straßenraums sieht Grün-Rot - anders als die CSU - die Umsetzung des Wählerwillens. Den ersten großen Streit hätte man also schon am Mittwoch erwartet, als es im Ausschuss um die Umsetzung des Radentscheids gehen sollte. Doch die wurde in die nächste Vollversammlung des Stadtrats vertagt. Andreas Schuster, radpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, erwartet eine "heiße Diskussion". Diese Einschätzung könnte noch untertrieben sein.

© SZ vom 24.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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