Der Weltfrauentag, so erzählt die Dolmetscherin, sei in Polen etwas ganz Besonderes. Die Frau werde verwöhnt, verehrt, mit Blumen beschenkt. In der Shishabar an der Sonnenstraße ging im März 2023 bei einer Feier aus Anlass des Ehrentages die geballte polnische Frauenpower allerdings nach hinten los: Es kam zu Beleidigungen, Rangeleien, Haareausreißen, Schlägen und am Ende ging eine 41-Jährige nicht nur mit einem Veilchen nach Hause.
Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft vor dem Amtsgericht auflistet, sind massiv: Natalia G., 25, und Agnieszka W., 24, sollen am 12. März vergangenes Jahr um 5.30 Uhr vor der Royal Shisha Lounge an der Sonnenstraße eine Frau zu Boden geschlagen und auf den Kopf der Wehrlosen eingetreten haben. Das Opfer erlitt unter anderem ein blaues Auge, eine Gehirnerschütterung sowie ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule.
Auf der Anklagebank sitzen zwei Engelsgesichter, die eine in cremefarbenem Blazer mit goldenen Knöpfen, die andere im bauchfreien Zweiteiler mit Perlen bestickt. Getreten, so versichern sie beide, habe wirklich keine. „Wir haben uns geschlagen“, sagt Agnieszka W. vor Gericht – und grinst.
Unstrittig ist, dass sich die Frauen über eine Facebook-Gruppe fanden, um den Frauentag zu feiern. Irgendwann landete man in der Shishabar, und laut übereinstimmenden Aussagen war auch Zofia L. (Name geändert) nach Bier und Wodka alles andere als nüchtern. Sie beleidigte ein Mädchen mit den Worten, sie tanze wie eine Prostituierte an der Stange. Andere Mädchen griffen ein.
Passanten alarmieren die Polizei, die trifft „eine verwirrte Frau“ an
Dann allerdings wird die Lage unübersichtlich. In der Bar soll es eine Schubserei zwischen Zofia L. und den Angeklagten gegeben haben, dann ist von ausgerissenen Haaren die Rede. Zofia L. sagt, sie habe die Bar verlassen und wollte heim, als sie hinterrücks angegriffen worden sei. Die Angeklagten sagen, die Aggression ging von der 41-Jährigen aus. Eine Zeugin erzählt, sie habe gehört, wie der Kopf der älteren Frau auf dem Boden aufschlug, und sie habe gesehen, wie sich eine junge Frau auf sie gestürzt und mit der Faust zugeschlagen habe.
Passanten alarmierten die Polizei, doch als die eintraf, sei man auf „eine verwirrte Frau“ gestoßen, die gewollt habe, dass die Beamten sie heimfahren, berichtet ein Polizist vor Gericht. Zofia L. habe versichert, dass nichts passiert sei. Also habe man sie sich selbst überlassen.
Amtsrichter Martin Schellhase führt mit Staatsanwaltschaft sowie den Verteidigern Oskar Derkacz und Olaf Groborz ein Rechtsgespräch. Ein gemeinschaftliches Treten kann nicht nachgewiesen werden, und so wird das Verfahren gegen Natalia G. gegen Geldauflage eingestellt. Agnieszka W. wird wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu 90 Tagessätzen à 28 Euro verurteilt. Und Richter Schellhase verabschiedet die Angeklagten mit einem „auf Nimmerwiedersehen“.